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nmz-archiv
nmz 2004/10 | Seite 32
53. Jahrgang | Oktober
Jugend musiziert
Barock, Billard und Bali
Der 40. Kammermusikkurs „Jugend musiziert“
Vom 26. bis 29. August 2004 trafen sich 74 der besten Nachwuchsmusiker
und -musikerinnen Deutschlands und des europäischen Auslandes
in der musikalischen Bildungsstätte Weikersheim zum 40. Kammermusikkurs
“Jugend musiziert“. Im folgenden der Bericht einer Teilnehmerin,
der Oboistin Daniela Endmann aus Taura in Sachsen
Wieder einmal flatterte ein Brief von “Jugend musiziert ins
Haus: „Kammermusikkurs in Weikersheim“. Anbei ein großer,
grauer Zettel mit unzähligen Werkbezeichnungen gespickt, vom
Barock bis Dieter Mack, in unterschiedlichen Besetzungen aus Holzblas-
und Streichinstrumenten.
Eine schöne Sache – zumal, wenn man selber noch keine
feste Kammermusikgruppe hat! Allerdings ist sehr viel Einfühlungsvermögen
gefragt, damit man innerhalb von vierzehn Tagen als Gruppe zusammenarbeitet.
Eine echte Herausforderung für jeden einzelnen, denn oft sind
die Altersunterschiede der Teilnehmer in den einzelnen Ensembles
groß.
In Weikersheim auf dem öffentlichen Bahnhof angekommen hieß
es für mich zunächst „Augen auf“, damit ich
mich anderen Trägern von Instrumenten an die Fersen heften
konnte. So wurden bereits auf dem Weg zum Musikhaus die ersten Bekanntschaften
geschlossen. Weikersheim, die Stadt an der Romantischen Strasse
war viel größer als wir vorher geglaubt hatten –
mit historischem Marktplatz und Schlossanlage. In einem Seitenflügel
des Schlosses befindet sich die Musikakademie Weikersheim. Im Musikhaus
wurden wir zunächst von Sabine Clausen und Kristof Gerlach
empfangen, deren Stimmen ich schon vom Telefonieren und „Extrawünsche
anmelden“ kannte. Hilfsbereit waren sie auch hier und die
Zimmereinteilung funktionierte reibungslos. Die Zimmer, meist für
zwei oder drei Personen waren sehr bequem und auch die Verpflegung
ließ kaum einen Wunsch offen, für jeden war etwas dabei,
sogar kulinarische Extrawünsche wurden angenommen.
Früher Vogel…
Die ersten Proben begannen am Dienstag um 9.00 Uhr, für manche
ein wenig zu zeitig, um schon wach zu sein… Dagegen wurden
wir von frischen und fröhlichen Dozenten empfangen, sie hatten
sich uns schon am Vorabend vorgestellt. Unter der künstlerischen
Leitung von Prof. Thomas Brandis aus Berlin waren dies namentlich
Joachim Greiner für Viola, Stephan Haack für Violoncello,
Bernhard Forck für Barock-Violine, Renate Greiss-Armin für
Querflöte, Christoph Kohler für Horn, Raphael Alpermann
für Cembalo, Marianna Shirinyan für Klavier, Lübeck
und schließlich Dieter Mack, gebürtiger Freiburger, der
über die „Pro Musica Viva Maria Stecker-Daelen-Stiftung“
für diesen Kurs gewonnen werden konnte. Er zeigte uns neue
Spieltechniken auf dem eigenen Instrument, was für „klassische“
Musiker doch eher fremd ist. Und er eröffnete uns die Möglichkeit,
die eigene Tonsprache eines zeitgenössischen Komponisten zu
entdecken. Er selbst ist geprägt durch Erfahrungen mit der
indonesischen Kultur auf Bali. Für tiefere Einblicke und um
unsere zunächst höchst kritische Distanz zu Neuer Musik
abzubauen, hielt Dieter Mack zwei interessante Vorträge, die
uns auf die unterschiedlichste Weise mit Bild, Wort und Klangbespielen
für diese Musik öffnen wollten. Ich kann behaupten, es
ist ihm gelungen!
Jeden zweiten Tag gab es vom Ensemble-Leiter neue Anregungen,
wie das vorliegende Werk zu verstehen und umzusetzen sei, es wurde
dabei nicht nur erklärt, sondern auch kräftig vorgespielt.
Und wer wollte, konnte sich außerdem Anregungen für das
jeweilige Werk bei dem Dozenten für das eigene Instrument holen.
Neben den Proben, blieb noch genügend Zeit zum eigenen Üben,
selbstständigen Proben der Ensembles, sowie zum spontanen,
gemeinsamen Musizieren mit Leihmaterial aus der Notenbibliothek.
Wer von der Musik eine Pause brauchte, konnte abschalten beim Tischtennis
und Fußball, oder bei einem Spaziergang durch den zauberhaften
Schlossgarten. Für das Abendvergnügen war im Jeunesseskeller
gesorgt: einfach ein Plausch beim Bierchen (nur für über
16-Jährige!) oder Wettkämpfe beim Tischfussball oder Billard.
Erstaunlich war übrigens die enorm gute Kondition einzelner
Nachtschwärmer!
Das Verhältnis zwischen Kursteilnehmern und Dozenten war
so gut, dass wir alle dem gemeinsamen Ausflug entgegenfieberten
– nicht zuletzt, weil dies für beide Seiten Entspannung
vom Kursalltag bedeutete! Mit dem Bus fuhren wir entlang der Romantischen
Strasse nach Creglingen, besichtigten dort in der Kirche einen Riemschneider-Altar
und setzten die Reise fort, bis Rotenburg ob der Tauber. Den Reiseleiter
gab Thomas Brandis, der uns bestens über alle interessanten
Details dieser Reise informierte. Ein super Service!
Allmählich neigte sich der Kurs seinem Abschluss entgegen und
am Ende der zweiten Woche gab es immer öfter Engpässe
bei den Übezimmern: Jeder bereitete sich nun intensiv auf die
drei Abschlusskonzerte im Gärtnerhaus vor, die am Freitag,
den 27. August, am Samstag, den 28. August und Sonntag den 29. August
stattfinden sollten. Bereits am Donnerstag zuvor fand ein erstes
Werkstatt-Konzert statt. Gespielt wurden Stücke, denen für
eine öffentliche Aufführung noch der letzte Schliff fehlte.
Und dann die bange Frage unter uns Musikerinnen und Musikern:
Drei Konzerte am gleichen Ort, finden sich dafür genügend
Zuhörer? Erleichterung machte sich breit, jedesmal, wenn wir
in den Konzertsaal spähten. Jedes der drei Konzerte war sehr
gut besucht und, nach unserem Gefühl, ein Erfolg. Die Ensembles
bewiesen nicht nur musikalisches Können, sondern auch eine
enorm sichere Bühnenhaltung. Wir alle waren ziemlich stolz
auf unsere Professionalität. Der Höhepunkt bei jedem Konzert
waren die Aufführungen der Werke von Dieter Mack. Erstaunlich
ist, wie selbstverständlich sich die Instrumentalisten nach
so kurzer Zeit in einer so fremdartigen Tonsprache bewegen konnten.
Dazu jeweils ein Extraapplaus für den Komponisten! Und plötzlich
war auch schon Sonntag und die Abreise nach der Matinee stand bevor.
Dem Abschiedsschmerz setzten wir die Freude über das Erreichte
entgegen und verabredeten ein Wiedersehen im nächsten Jahr.