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nmz-archiv
nmz 2004/10 | Seite 6
53. Jahrgang | Oktober
Magazin
In der Nische lässt es sich gut leben
Musikverlage abseits der großen Traditionshäuser
Sie sind kleine Unternehmen, David im Schatten Goliaths, der in
Gestalt der namhaften Verlagshäuser vor ihnen steht, und so
suchen sie sich eine ganz spezielle Nische, in der sie in Zeiten
wirtschaftlicher Rezession mehr schlecht als recht überleben.
Ist dies die Realität der „kleinen“ Musikverlage?
Oder hat sich die Forderung nach Spezialisierung im wirtschaftlichen
Alltag als längst überholt erwiesen? Kann tatsächlich
von einem Kampf Davids gegen Goliath gesprochen werden? Einem vermeintlichen
Klischee auf der Spur…
Natürlich gibt es sie, die Spezialisten, die Fachverlage für
ganz bestimmte Bereiche und Aspekte. So beispielsweise der auf Blasmusik
spezialisierte DVO-Verlag (Druck und Verlag Obermayer) mit Sitz
in Buchloe. Das im Jahre 1902 von Hans Obermayer als Druckerei gegründete
Unternehmen mit derzeit etwa 40 Mitarbeitern führt seit 1950
neben dem Druckbetrieb als Schwerpunkt Fachzeitschriften und bietet
zusätzlich Bücher, einen Online-Shop und Web-Design rund
um das Thema Blasmusik an. Vier der fünf herausgegebenen Zeitschriften
sind Organe der Musikbünde und -verbände; mit dem davon
unabhängigen, neugestalteten fünften Magazin, clarino.print,
will DVO nun ausgetretene Pfade verlassen und durch verstärktes
Marketing und mehr Nähe zum Leser auf die noch wenig wahrgenommenen
Trends der Blasmusik in Rock, Pop und Jazz aufmerksam machen. Wie
an Angebot und Web-Auftritt zu erkennen ist, setzt das bereits über
hundertjährige Unternehmen zudem stark auf die Möglichkeiten
des Mediums Internet.
Einen Schwerpunkt zum Spezialgebiet erhoben hat der Furore Verlag
aus Kassel: „Frauen in der Musik“ geben seit der Gründung
durch Renate Matthei im Jahre 1986 die Richtung vor. Von vier Vollzeitkräften
und einer Teilzeitbeschäftigten wird ein Verlagsprogramm bewältigt,
das vom 16. bis zum 21. Jahrhundert reicht und neben Noten, Büchern
und Postkarten seit 1997 auch das eigene Label Salto Records International
führt. Erstveröffentlichungen von Kompositionen aus Renaissance
bis Romantik und Faksimiles haben im Verlagsprogramm ebenso einen
festen Platz und sind genauso mit Editionspreisen bedacht wie die
Ausgaben zeitgenössischer Kompositionen. Für das sich
von Anfang an international präsentierende Unternehmen hat
sich der Weltmarkt als die Chance entwickelt. „Im Inland gelten
wir als ‚der Frauenmusik-Verlag‘, im Ausland als ‚die
Spezialisten für Komponistinnen‘“, berichtet Renate
Matthei. Auch nach knapp zwanzigjährigem Verlagsbestehen kämpfe
man in Deutschland noch immer gegen das Vorurteil, Frauen könnten
nicht komponieren und gegen die geringe Bereitschaft, Unkenntnis
durch Wissen zu ersetzen. Immerhin sei allmählich das Stadium
erreicht, dass man Komponistinnen-Namen kenne, der nächste
Schritt, sich auch mit den Werken zu befassen, sei jedoch vielfach
noch nicht erfolgt. Angesichts dieser Hürden entgegnet Renate
Matthei auf eine eventuelle Kategorisierung als „Nischen-Verlag“:
„Eine Nische ist ein Ort, an dem man leben kann.“ Und
es lebt sich für den Furore Verlag sehr gut, es gibt mehr Arbeit
als zu bewältigen ist. Vom aktiven Einsatz der Editionen im
gegenwärtigen Musikleben zeugen die auf der Website des Verlags
veröffentlichten Konzerttermine in ganz Deutschland.
Den Noten im Konzert Leben einzuhauchen sowie die Nähe zum
aktiven Musikleben ist auch Anliegen von Christoph Dohr. Der Gründer
des Dohr Verlags Köln ist neben seiner Tätigkeit als Verleger
und Autor auch in Kulturmanagement und -konzeption aktiv und hat
– wie er berichtet – mehr Ideen, als er umzusetzen vermag.
Für sein innovatives Gesamtkonzept („integrales Publizieren“)
des Rinck-Festes Köln 2003 mit der Publikation von CDs, Noten
(darunter Neuausgaben der beim Festival erklingenden Werke) und
einem Dokumentationsbuch zu Johann Chr. H. Rinck (1770–1846)
erhielt Dohr einen Deutschen Musikeditions-Preis 2004 als Sonderpreis
für außergewöhnliche Leistung. Durch ein Verlagsprogramm,
das von Noten des 18. bis 21. Jahrhunderts über Bücher
und CDs bis hin zur Zeitschrift „fermate“ reicht, lassen
sich Dohrs Innovationen im eigenen, inzwischen 15 Jahre alten Verlag
mehrfach verwerten. Allerdings sind dafür vielseitige Fähigkeiten
nötig, so ist Dohr als Verleger, Musiker und Musikwissenschaftler
ebenso gefragt wie als Kaufmann und Manager. Von den alten Verlagshäusern
wie auch von deren Problemen könne man als kleinerer und jüngerer
Verlag lernen, von Verlagerungen in deren Programmen, insbesondere
im Bereich der E-Musik, immer öfter profitieren, so Dohr. Im
Musikverlagswesen Negativ-Stimmung zu verbreiten sei nach Auffassung
Dohrs völlig unangebracht. Der Kölner Verleger setzt auf
Gesamtkonzepte für Musik aus unterschiedlichsten Epochen und
arbeitet eng mit zeitgenössischen Komponisten zusammen. Auch
sei es seiner Erfahrung nach wichtig, sich im Angebot nicht einzuschränken,
sondern neben den Top-Sellers auch weniger Gefragtes im Sortiment
zu haben und Auswahl zu bieten.
Tatsächlich werden insbesondere im Notensortiment die Schwerpunkte
kleinerer Verlage stets um eine Bandbreite ergänzt, die von
Alter bis hin zu Neuer Musik reicht, von Instrumental- über
Orchester- zu Vokalmusik, von Aufführungsmaterial zu Unterrichtsliteratur.
Dies spiegelt das bereits 1807 gegründete Leipziger Verlagshaus
Hofmeister ebenso wider wie dessen seit elf Jahren bestehender Kollege,
die Edition Walhall in Magdeburg. „Kolorit“, „originelle
Originale“ und Blick fürs Wesentliche will der 1946 von
Richard Schubert gegründete Eres Verlag in Lilienthal durch
mehrere Schwerpunkte gewährleisten. Das Chormusik-Angebot stellt
die Basis des Programms dar, doch werden weitere Bereiche wie Musikpädagogik
als Aufgabe begriffen. Speziell mit dem Angebot einer eigenen Buchreihe
zum Thema Musiktherapie reagierte man auf den erkannten Bedarf.
Der jüngste Verlag in dieser Reihe ist die Edition Walhall
Magdeburg. Ins Leben gerufen im Jahre 1993 von Franz Biersack, der
zu Zeiten der gerade erst vollzogenen deutschen Wiedervereinigung
in seinem Umfeld eine eher abwartende oder gar gelähmte Haltung
wahrnahm, aber gerade deshalb die Ärmel hochkrempelte und den
viel zitierten „Gründergeist“ besaß. Mit
insgesamt drei Mitarbeitern bietet die Edition heute insgesamt 450
Notentitel und hat neben den bereits angesprochenen Bereichen die
drei Schwerpunkte: Gesang durch die Jahrhunderte, Barockmusik (insbesondere
des süddeutschen Raums) sowie Kirchenmusik. Biersack besucht
Ausstellungen und Messen in ganz Europa und nutzt gerade die dort
entstehende Nähe zu Musikern, Wissenschaftlern und Interessierten,
um Bedarf, Trends und spannende Themen auszumachen und darauf zu
reagieren: „Ich habe die Nase am Bahngleis, da ich mit den
Leuten ins Gespräch komme“, so Biersack. Auf der Internationalen
Musikmesse Frankfurt konnte er in diesem Jahr den Umsatz verdoppeln
und auch generell bestätigt Biersack für sein Unternehmen:
Tendenz steigend.
Mit hohem Arbeitseinsatz und vielseitiger Begabung sind sie aktiv
und präsent, online sowie persönlich, suchen Nähe
zum Kunden wie auch zum gegenwärtigen Musikleben. Kleine Musikverleger
finden tatsächlich ihre „Nischen“, und oft mehr
als nur eine. Selbst in Zeiten „allgemeiner Negativ-Stimmung“
leben sie darin sehr gut. Denn sie versuchen, nicht für den
Notenschrank zu produzieren; vielmehr ist es ihr Anliegen und ihre
Chance, Bedarf zu erkennen und vor allem flexibel, schnell, innovativ
und qualitativ hochwertig darauf zu reagieren. Dies schließt
eine Bandbreite des Angebots nicht aus, ganz im Gegenteil: auch
hier stehen die Zeichen auf „Ganzheitlichkeit“ und Vielfalt.