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nmz-archiv
nmz 2004/10 | Seite 5
53. Jahrgang | Oktober
Magazin
Das ist Arbeit am und mit dem Publikum
Die Edition Peters betreibt aktiv Nachwuchsförderung ·
Von Hans-Jürgen Linke
Die Edition Peters in Frankfurt zählt zu den großen
und traditionsreichen deutschen Musikverlagen. Von den Wänden
im Büro des Geschäftsführers Karl Rarichs und im
Konferenzzimmer blicken mehr als zwei Jahrhunderte mitteleuropäischer
Musikgeschichte. Nachwuchsförderung, sagt Rarichs, war immer
ein besonderes Anliegen des Hauses, weil Nachwuchsförderung
nichts Anderes ist als Arbeit für die eigene Zukunft.
Aber die Arbeit des Verlags hat sich in den vergangenen Jahren
strukturell stark verändert und mit ihr die Idee von Zukunft,
die man sich in einem Musikverlag macht. Das so genannte „Papiergeschäft“,
also das Verlegen und Vermarkten von Notentexten über die klassischen
Infrastrukturen der Branche, ist stark zurück gegangen. Es
leidet unter den zeitgenössischen Kopiertechniken und Speichermedien,
es kann keine Verbreitung der verlegten Werke mehr garantieren und
wird weiterhin an Bedeutung verlieren. Man müsse, sagt Rarichs,
sich also fragen, ob man um dieses traditionelle Kerngeschäft
auf Dauer wirklich noch den Verlag gruppieren kann. Dementsprechend
müsse auch der Zugang zur Nachwuchsförderung sich verändern.
Und schließlich: „Wer ist denn der Nachwuchs“,
fragt Rarichs und gibt sich selbst die Antwort: „Natürlich
die jungen Leute, für einen Musikverlag also die jungen Komponisten.
Und natürlich die Interpreten, die die Musik dieser Komponisten
spielen sollen. Und selbstverständlich das Publikum, das in
ihre Konzerte kommt.“ Was also kann man sich ausdenken, damit
man den Nachwuchs so fördern kann, dass es auch etwas nutzt?
Und zwar dem und dem Verlag und möglichst vielen anderen auch,
weil der Verlag nur als Teil im Organismus des Musikbetriebes funktioniert?
Man kann Wettbewerbe veranstalten, Preise ausloben, junge Komponisten
verlegen, das sind die klassischen Handlungsmöglichkeiten eines
Verlages. Man sollte das allerdings am besten tun, ohne irgendwo
das Etikett „Nachwuchsförderung“ drüber zu
kleben, denn dann meint die Öffentlichkeit: Hier tut endlich
mal jemand was! und niemand hört mehr hin. Und was soll man
machen, wenn niemand die jungen Komponisten spielen und hören
will? Diese Frage beschreibt recht gut den Status quo. Aber dann
fängt Karl Rarichs plötzlich an, über etwas ganz
Anderes zu reden: Amateurwettbewerbe. In Frankfurt, sagt er, habe
man sich das ausgedacht, in einem Verbund aus verschiedenen Institutionen
des Musikbetriebes: Man schreibt einen Wettbewerb aus und ermuntert
Amateure zum Vorspielen, sie können in der Endausscheidung
öffentlich auftreten und bekommen einen Preis. „Was wir
da für Musiker zu hören bekommen“, sagt Rarichs,
„das ist wunderbar!“ Und was für eine Resonanz,
die Bewerbungen gehen in die Hunderte, und da ist kein schlechter
Musiker dabei! In Leipzig hat man diese Idee jetzt auch übernommen,
in Stuttgart wird das vielleicht auch bald geschehen. Das ist Arbeit
am und mit dem Publikum, sagt Rarichs. Amateurmusiker sind das allerbeste
Publikum; ihr Können anzuerkennen, das ist Musik- und also
auch Nachwuchsförderung. – Man sieht: Es ist schwierig,
mit Karl Rarichs über ein isoliertes Thema zu sprechen. Das
Arbeitsfeld des Verlages ist für ihn der Musikbetrieb insgesamt,
und den kann er nach all den Jahren, in denen er dazu gehört,
nur als ein kompliziertes Ganzes mit komplexen Vorgängen und
Abhängigkeiten begreifen. Darum rücken Probleme nie als
Einzelne in sein Blickfeld, und der Verlag, dessen Geschäftsführer
er ist, ist für ihn keine isoliert handelnde Institution und
nicht nur Teil eines anonymen Marktes, sondern einer unter mehreren,
teils kooperierenden, teils konkurrierenden Partnern – was
sich nicht ausschließt –, die zusammen einen guten Teil
des Frankfurter Musiklebens ausmachen. Der informelle Verbund selbst
ist entstanden durch jahrelange Arbeit, durch Projektideen, durch
Höflichkeit, Kontaktpflege und durch die Abschaffung von Berührungsängsten.
Zu ihm zählen in Frankfurt neben der Edition Peters der Hessische
Rundfunk, die Musikhochschulen der Stadt, die Arbeitsgemeinschaft
der Frankfurter Chöre, die Museumsgesellschaft – die
Träger des Orchesters der Frankfurter Oper ist und zudem ein
reger Konzertveranstalter der Stadt –, das Konzerthaus Alte
Oper, die Oper Frankfurt, das Ensemble Modern, verschiedene Bekanntenkreise,
Förderer und überhaupt potenziell jeder, der mitmachen
will und etwas zu bieten hat. Etwas Ähnliches, findet Rarichs,
müsse auch unter den deutschen Musikverlagen entstehen. „Wir
müssen“, findet er, „viel mehr gemeinsam machen,
koproduzieren, Programmpolitik besser abstimmen“.
Das wird einerseits immer dringlicher, andererseits immer einfacher:
Schließlich gebe es gar nicht mehr allzu viele Musikverlage
im Lande. Jede sinnvolle Nachwuchsförderung müsse kooperativ
aufgebaut sein. Die Arbeit eines Verlages aber verändert sich
stark, wenn man sie so begreift, und sie verlässt die herkömmlichen
professionellen Bahnen und das Umfeld der landläufigen gesellschaftlichen
Ereignisketten des Musikbetriebs zwischen dem Verlegen einer Partitur
und ihrer Aufführung. Der Musikbetrieb, das seien nicht die
durchreisenden Eliteorchester und großen Solisten, der Musikbetrieb
sei vor allem das, was in der Stadt seine Wurzeln und seine Praxis
habe. Nachwuchsförderung, das heiße zum Beispiel, sich
mit den Defiziten zu befassen, die der insgesamt rarer werdende
Musikunterricht produziert.
Nur wer früh und einigermaßen gründlich mit Musik
in Berührung komme, werde ihr später einen wichtigen Platz
im Leben einräumen, als Musiker oder als Hörer. Man müsse,
fasst Karl Rarichs zusammen, jungen Komponisten auf den Markt verhelfen,
also ihre Arbeiten verlegen und auch dafür sorgen, dass sie
gespielt und gehört werden. Der E-Musik-Betrieb ist heutzutage
darauf eingestellt, dass die Konzerthäuser kaum mehr selbst
Programme erstellen und Ensembles engagieren, sondern auf Angebotslisten
reagieren, die wiederum von Agenturen mit prominenten Namen bestückt
werden. Musikverlage müssen zukünftig wie Agenturen auftreten.
Sie müssen Konzertprogramme entwerfen, um selbst komplette
Angebotspakete für die Konzerthäuser schnüren zu
können. Eine sinnvolle und wirklich zukunftsträchtige
Nachwuchsförderung, findet Karl Rarichs, könne nur bedeuten,
dass der ganze gegenwärtige Musikbetrieb verändert werden
müsse – unter anderem, solange und weil ihm Nachwuchsförderung
als isoliertes Phänomen erscheint.