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nmz-archiv
nmz 2004/10 | Seite 3
53. Jahrgang | Oktober
Magazin
Für eine Remusikalisierung der Gesellschaft
Dagmar Sikorski über die Aufgaben und Ziele des Deutschen
Musikverlegerverbandes
Am 23. Mai 1829 gründeten 16 Musikalienhändler den „Verein
der Musikverleger gegen den musikalischen Nachdruck“, den
Vorläufer des Deutschen Musikverlegerverbandes, DMV. In den
175 Jahren des Bestehens des Verbandes wandelte sich nicht nur die
Musik, sondern auch der gesamte Konzertbetrieb und Musikmarkt. Theo
Geißler, Herausgeber der neuen musikzeitung, sprach mit Dagmar
Sikorski, Geschäftsführerin und Inhaberin der Sikorski-
Musikverlage sowie Präsidentin des DMV, über Geschichte,
Gegenwart und Zukunft des traditionsreichen Verbandes.
Dagmar Sikorski, DMV-Präsidentin,
und Karl-Heinz Klempnow, DMV-Vizepräsident. Foto: Deutscher
Musikverlegerverband
neue musikzeitung: Als sich vor 175 Jahren der Deutsche
Musikverlegerverband gründete, verstand er sich auch als Schutzverband.
Was gab es denn zu schützen? Dagmar Sikorski: Die Autoren- und Verlagsrechte. Um den Schutz
des Urheberrechts geht es auch heute noch hauptsächlich.
nmz: Da waren Sie der GEMA nahezu ein dreiviertel Jahrhundert
voraus? Sikorski: Die GEMA ist eine Verwertungsgesellschaft, die
gegründet wurde, um Rechte zu verwalten, die nicht mehr individuell
von den Verlagen, sondern nur kollektiv wahrgenommen werden können,
wie etwa Aufführungsrechte. Die Verlage hingegen sind diejenigen,
die den Autoren helfen, ihre Werke auszuwählen, zu schützen
und die sich um die individuelle Rechtewahrnehmung kümmern.
nmz: Eine Verwechslung, die immer wieder stattfindet. Sikorski: Kaum einer weiß so richtig, was eigentlich
ein Musikverlag macht. Denn die Bandbreite ist riesengroß.
Fragen Sie zum Beispiel mal jemanden in der Tonträgerindustrie,
was Verlage machen, dann werden Sie ganz was anderes hören,
als wenn Sie einen Verlag für Chormusik fragen.
nmz: Worin bestehen heute die Hauptaufgaben des Musikverlagwesens? Sikorski: Die Aufgaben des Musikverlagswesens liegen immer
noch darin, dass wir ein Dienstleister für die Autoren sind.
Der Autor soll sich hauptsächlich damit beschäftigen,
wunderschöne Werke zu schreiben, und soll im besten Falle davon
leben können. Dass er davon leben kann, dafür sorgt der
Verleger. Er hilft auch, diese Werke publik zu machen. Dabei gibt
es unterschiedliche Wege. Im Bereich der „Ernsten Musik“
müssen Noten gedruckt werden, damit ein Werk aufgeführt
werden kann. In der Unterhaltungsmusik ist es heute der Tonträger,
der das Werk bekannt macht.
nmz: Wo liegen die Probleme des mittelständischen Verlegertums
heute? Sikorski: Im Moment sehe ich eher eine große Chance
für die Mittelständler, denn da es der Tonträgerindustrie
im Augenblick nicht so gut geht, ist sie auch nicht bereit, viel
in neue Werke zu investieren. Am liebsten ist es der Phono-Industrie,
wenn sie fertige Produkte 1:1 aus dem angloamerikanischen Raum übernehmen
kann. Dabei ist Deutschland einer der kreativsten Böden für
Neue Musik in jeder Richtung: Sei es zeitgenössische Ernste
Musik, sei es Unterhaltungsmusik. Ich sehe eine Chance für
den Mittelständler, das aufzufangen, was die Tonträgerindustrie
nicht mehr übernimmt.
nmz: Aktuell war zu lesen, dass die OECD Deutschland im
Bildungsbereich zurück gestuft hat. Dabei predigen wir alle
seit vielen Jahren, dass in die Bildung und speziell auch in die
musikalische Bildung viel mehr investiert werden muss. Wo sehen
Sie denn da den Beitrag der Verlage? Sikorski: Die Verlage betreiben hier eine enorme Lobbyarbeit:
Jeder Verleger versucht in seinem Umfeld, Einfluss auf die Bundes-
beziehungsweise Landespolitik zu nehmen. Wir gehören zu den
ersten, die gesehen haben, was für ein Problem auf die Jugendmusikschulen
und auf die Konservatorien zukommt, wenn die Ganztagsschule eingeführt
wird. Man muss die Verantwortlichen dazu bringen, sich zusammenzusetzen.
Denn es bringt nichts, Konzerte, Theater und Museen zu subventionieren,
wenn einem die Besucher wegbleiben. Außerdem: Die anderen
Kompetenzen, die aus dem Musikunterricht heraus kommen, sind elementar
wichtig für unsere Gesellschaft!
nmz: Soziale Kompetenz, kommunikative Kompetenz? Sikorski: Alles was in der Wirtschaft heute gebraucht wird,
wird auch durch das Musizieren erlernt.
nmz: Es gibt inzwischen einige Programme, die eben Verlage
Ihrer Größenordnung gestartet haben, speziell mit so
einem musikalischen Bildungsziel. Können Sie darüber noch
ein bisschen was erzählen? Sikorski: Ein Ansatz unter vielen ist der: „Musiker
an die Schulen“ und das Klassenmusizieren. Wir haben mitgeholfen,
dass die Bastian-Studie damals einem breiten Publikum bekannt gemacht
werden konnte. Hier sehe ich ein weiteres Problem: Bei der PISA-Studie
ist überhaupt nicht untersucht worden, welchen Einfluss die
Fächer Musik, Kunst und Literatur auf den Bildungsstand haben.
Das ist sehr schade, weil nämlich gerade in den Ländern,
die bei der PISA-Studie sehr gut abgeschnitten haben, die musischen
Fächer auch ernst genommen werden. Wenn Lehrerknappheit herrscht,
ist leider das Erste, woran gespart wird, der Musikunterricht. Auch
müsste man die Lehrpläne ändern, denn die familiären
Voraussetzungen sind nicht mehr so wie früher. Die Schere zwischen
den Kindern, die privaten Musikunterricht haben, und denen die vorher
noch nie eine Note gesehen haben, ist so groß, dass es für
einen Lehrer mit dem jetzt existierenden Lehrplan nicht möglich
ist, die Anforderungen beider Gruppen unter einen Hut zu bringen.
Vom Singen und Abholen
nmz: Das Ziel ist also, die Kinder jeweils da abzuholen,
wo sie auf Grund ihrer Sozialisation stehen. Wir haben erlebt, dass
das Abhol-Niveau auf einer viel niedrigeren Stufe steht als früher. Sikorski: Ja, das liegt auch schon daran, dass eben das Thema
Musik im Kindergarten oder in der Früherziehung, die schon
vor der Schule beginnt, überhaupt keine Rolle spielt. Und Sie
kennen selbst, Herr Geißler, mein Lieblingsthema: das einfache
Singen. Es ist nicht teuer, jeder kann es zu Hause machen. Man muss
wieder den Mut haben, selbst zu singen und zu musizieren, und nicht
nur daran denken, dass es nicht so klingt wie im Radio oder im Fernsehen.
nmz: Das, was wir im Bildungssektor in den letzten Jahrzehnten
erlebt haben, erleben wir jetzt auch im Kultursektor. Welche Maßnahmen
gegen den „Kulturabbau“ hat der Verband ergriffen? Sikorski: Wir haben einige Preise und Auszeichnungen geschaffen,
die Kultur unterstützen und fördern.
nmz: Wer sind denn Ihre wichtigsten Bündnispartner
bei dieser qualitätsvollen Musikalisierung unserer Deutschen
Musiklandschaft? Sikorski: Unsere wichtigsten Partner sind natürlich
die Musiklehrer aller Schularten, einschließlich der Musikschulen.
Unsere wichtigsten Partner sind die Kulturminister. Unsere wichtigsten
Partner sind die Mitglieder der Orchester, aber natürlich auch
die Dirigenten und Solisten.
nmz: Einer der wichtigsten Distributionspartner, was Musik
betrifft, sind die Anstalten des Öffentlichen Rechts, der Rundfunk,
das Fernsehen. Wird dort noch genug getan für das Wohl unserer
Musiklandschaft? Sikorski: Da gibt es eine klare Antwort: Nein! Schauen Sie
sich die Umgestaltung der so genannten klassischen oder der sich
mit klassischer Musik beschäftigenden Radiostationen an. So
hat es etwa der NDR geschafft, gerade noch 45 Minuten in der Woche
für zeitgenössische Musik bereitzustellen. Der NDR hat
keine tägliche Kindersendung mehr, die länger als fünf
Minuten dauert. Das ist nicht das, was wir uns unter Förderung
von musikalischer Bildung vorstellen.
nmz: Die zeitgenössische Musik hat besondere Schwierigkeit,
Verbreitung zu finden. Da waren die Rundfunkanstalten bis vor Jahren
eigentlich immer zuverlässige Partner. Das hat sich wohl auch
dramatisch verändert. Wieso? Sikorski: Ganz einfach, weil den Orchestern immer wieder
gesagt wird: „Ihr müsst selbst dafür sorgen, dass
ihr nicht nur von den Rundfunkgebühren lebt, sondern auch von
den verkauften Eintrittskarten.“ Die Eintrittskarten, so meint
nun jeder, würden sich nur verkaufen, wenn das so genannte
„gewohnte Repertoire“ gespielt würde.
nmz: Wo sind Ihre aktuellen Gesprächspunkte mit der
Politik? In welchen Detailbereichen sind Sie in besonders intensivem
Kontakt? Sikorski: Wir sind im Augenblick stark mit dem zweiten Korb
zur Urheberrechtsnovelle beschäftigt. Es geht um das Kopieren
im privaten Bereich, wie weit das erlaubt werden soll. Ein ganz
wichtiges Thema ist die Diskussion darüber, was mit „noch
nicht bekannten Nutzungsarten“ passieren soll. Ob man diese
beispielsweise schon vorab übertragen kann, das wäre für
die Verlage sehr wichtig. Ein jahrelanger Streit etwa, der vom Bundesgerichtshof
jetzt erst entschieden worden ist, ging darüber, ob die CD
eine neue Nutzungsart gegenüber der Schallplatte ist. Es wird
weitergehen mit dem Thema Archivrechte. Was passiert mit den ganzen
Tonarchiven? Darf zum Beispiel der Rundfunk daraus einfach neue
Tonträger machen, ohne mit den Verlagen Rücksprache zu
nehmen?
nmz: Ein ewiger Zwist zwischen den Rundfunkanstalten und
den Verlagen ist die so genannte Materialgebühr. Wie stehen
die Verleger dazu? Sikorski: Entfiele die pro Sendung zu zahlende Materialgebühr,
dann müssten wir bei der ersten Aufnahme so viel Geld vom Rundfunk
kassieren, wie die Herstellung des Materials gekostet hat. Das würde
richtig teuer. Ich finde die Lösung, die Kosten auf mehrere
Sendungen zu verteilen, dem Rundfunk gegenüber fair.
Partner Musikalienhandel
nmz: Es gibt den pauschalen Generalvorschlag, ob man allen
Noten-Piraten nicht einen Streich spielen könnte, indem man
das Noten und Partitur-Portal aller Musikverlage gemeinsam gründet.
Sikorski: Für Popmusik mag das sicher gehen. Aber wenn
Sie sich eine ganze Taschenpartitur einer Sinfonie ausdrucken lassen,
wünsche ich ihnen viel Vergnügen. Es muss einfach dabei
bleiben, dass die Noten zu kaufen sind. Und deswegen sind wir auch
so froh, dass wir noch einen funktionierenden Musikalienhandel in
Deutschland haben, dem wir in enger Partnerschaft verbunden sind.
nmz: Die Musikalienhändler sind derzeit mit großen
Herausforderungen konfrontiert. Gibt es da Kooperationen, gibt es
Beratungen? Sikorski: Ja, natürlich gibt es das. Wir wissen, wie
wichtig für uns der Musikalienhandel ist, denn er ist unser
Tor zur Öffentlichkeit. Doch der Musikalienhandel funktioniert
anders als etwa der Buchhandel. Nehmen wir zum Beispiel den so genannten
Backkatalog. Der ist enorm. Dazu kommen dann immer noch die vielen
Neuheiten. Für eine Musikalienhandlung ist es unheimlich schwierig
und kostenintensiv, ein breites Spektrum vor Ort zu haben. Der Deutsche
Musikverleger-Verband hat in Kooperation mit dem Händlerverband
GDM eine Datenbank sämtlicher lieferbaren Noten erstellt, und
diese Datenbank kann dann auch dazu benutzt werden, Bestellungen
auf elektronischem Weg an die Musikverlage zu senden. Jetzt sind
wir zusammen mit dem GDM dabei, das elektronische Bestellwesen mit
den gängigen Lagerwirtschaftssystemen kompatibel zu machen.
Dieses würde die Kosten sowohl bei den Händlern als auch
bei den Verlagen senken.
nmz: Kehren wir noch einmal kurz zum Kerngeschäft zurück,
dem Schutz der Autorenrechte. Ist es zu befürchten, dass durch
Veränderungen
des Urheberrechtverständnisses Verschlechterungen in Aussicht
stehen? Sikorski: Also ich hoffe es nicht. Hier sind wir wieder bei
unserem Anfangsthema, den Schulen. Es muss dazu kommen, dass in
den Schulen das Thema „geistiges Eigentum“ und „Schutz
des geistigen Eigentums“, überhaupt mal auf das Tableau
gebracht wird. Es kann nicht sein, dass heute in den Schulen Lehrer
gebrannte CD-Roms mit Englisch-Kursen den Schülern zur Verfügung
stellen, so wie ich es neulich auf einem Elternabend erlebt habe.
Es muss schon den Kindern ein klares Unrechtsbewusstsein beigebracht
werden. Die Schulen dürfen zum Teil Noten kopieren, weil dafür
eine pauschale Abgabe bezahlt wird. Das wissen die meisten nicht.
Sie denken, wenn ich Noten in der Schule kopieren darf, darf ich
das auch zu Hause. Es kann nicht angehen, dass Musiklehrer an den
Musikschulen an ihre Schüler Fotokopien zum Unkostenbeitrag
abgeben, statt dass sie die Schüler dazu anregen, diese Noten
zu kaufen. Man muss den Musiklehrern klar machen, wie viele Leute
von dieser Ausgabe wirklich leben. Heute kostet eine gute Klavierschule
so um 20 Euro, aber eine gute Klavierstunde liegt zwischen 50 und
100 Euro. Kopieren darf kein Kavaliersdelikt mehr sein, sondern
ist ein Straftatbestand. Wir sind sehr froh, dass dies im Urheberrecht
so verankert ist.
nmz: Hätten Sie zum 175. Geburtstag drei Wünsche
frei für Ihren Verband, welche wären das? Sikorski: Erstens wünsche ich mir, dass der Schutz des
geistigen Eigentums als etwas ganz Normales in die Köpfe der
Menschen eingeht. Das Zweite ist: Ich wünsche mir, dass wieder
viel mehr Leute selbst Musik machen und nicht nur konsumieren, dass
wieder der Spaß an der Musik entdeckt wird. Und als Drittes
wünsche ich mir, dass wir in Deutschland den Willen haben,
die Kultur in allen ihren Formen und Ausprägungen zu fördern.
nmz: Diese Wünsche haben wir gemeinsam. Danke für
das Gespräch