[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2004/10 | Seite 6
53. Jahrgang | Oktober
Magazin
Im Dschungel der Zahlen
Musikverlage im Spiegel der Statistiken
„Die Zahlen sprechen für sich“ – Wie oft
haben wir diesen Satz schon gehört. Und trotz eines stetig
wachsenden Bewusstseins für die Problematik von Statistiken
gibt es nach wie vor den Wunsch, die „harten Fakten und Zahlen“
zu benennen. So begibt man sich auf die Suche nach Daten, in der
Absicht ihnen im nächsten Schritt, der Auswertung, all ihre
Geheimnisse zu entlocken und der „Wahrheit“ ins Gesicht
zu blicken. Doch zeigt sich, wie leicht man einer Zahl auf den Leim
gehen kann, wenn man ihren Begleittross an erklärenden und
einschränkenden Worten außer Acht lässt. So kann
auf diesen auch im Folgenden nicht verzichtet werden, um die Aussagekraft
der angeführten Statistiken und Angaben richtig einzuordnen.
G rundsätzlich ist zu beachten, dass Musikverlage durch ihr
teils sehr vielfältiges Angebot, das von Noten über Bücher
und Zeitschriften bis hin zu Tonträgern zu reichen vermag,
bei deren statistischer Erfassung oft in unterschiedliche Rubriken
Einordnung finden. Beispielsweise werden sie teils der Tonträgerindustrie
zugeordnet, da viele Unternehmen in die Produktion von Tonträgern
und audiovisuellen Medien eingebunden sind. Die vom Statistischen
Bundesamt veröffentlichten Ergebnisse ermöglichten es
bis zum Berichtsjahr 2001, die für die Musikwirtschaft angegebenen
Zahlen im Laufe der Jahre in Relation zueinander zu stellen (siehe
Tabellen 1 und 2). In der neuesten Ausgabe jedoch, dem Berichtsjahr
2002, wurden „die Branchenergebnisse der Umsatzsteuerstatistik
erstmals nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige... dargestellt.
Branchenergebnisse sind dadurch nur bedingt mit den Vorjahren vergleichbar“,
wie das Statistische Bundesamt in seiner Pressemitteilung vom 10.
Mai 2004 erklärt. Hier ist also Vorsicht geboten, wenn Zahlen
verschiedener Statistiken und Erfassungssysteme in eine Reihe gestellt
werden sollen; eine gründliche vorherige Prüfung auf ihre
Vergleichbarkeit ist unerlässlich. Im Folgenden wird daher
auf die Zusammenstellungen und Berechnungen von Michael Söndermann
zurückgegriffen, der anhand der Umsatzsteuerstatistik des Statistischen
Bundesamtes die musikwirtschaftlichen Zahlen der Jahre 1996 bis
2001 verfügbar gemacht hat (veröffentlicht im MIZ, Deutsches
Musikinformationszentrum, http://themen.miz.org/musikwirtschaft/soendermann.php).
Für die unten dargestellte Tabelle 1 wurden die Angaben bezüglich
der Musikverlage ausgewählt, Tabelle 2 zeigt die entsprechenden
Zahlen für die „Musikwirtschaft im engeren Sinne“,
der folgende Tätigkeitsfelder zugeordnet werden: Selbstständige
Komponisten/Musikbearbeiter, Musikverlage, Herstellung und Vervielfältigung
von Tonträgern, Tonstudios, Herstellung von Musikinstrumenten,
Einzelhandel mit Musikinstrumenten (einschließlich Tonträgereinzelhandel),
Musik- und Tanzensembles, Theater-/Konzertveranstalter, Theater,
Opernhäuser, Konzerthallen, Clubs.
Wie der auf der Zusammenstellung Michael Söndermanns basierenden
Tabelle 1 zu entnehmen ist, wurden nach der Umsatzsteuerstatistik
2001 1.025 Musikverlage als steuerpflichtige Unternehmen registriert.
Diese erwirtschafteten insgesamt rund 630 Millionen Euro steuerbare
Gesamtumsätze. Die Veränderung der Umsätze von 1996
zu 2001 beträgt damit 23 Prozent. Dem steht gegenüber,
dass die Umsätze noch im Vorjahr, dem Jahr 2000, bei einer
kaum differierenden Anzahl von Unternehmen (1.017) rund 651 Millionen
Euro betragen hat, woraus sich in Bezug auf das Jahr 1996 eine Veränderung
von 27 Prozent ergibt. Es zeichnet sich also ab dem Jahr 2001 ein
Rückgang der Gesamtumsätze ab. Betrachtet man den Konzentrationsgrad
im Musikverlagsgewerbe, so zeigt sich dieser zwar nicht so ausgeprägt
wie am Tonträgermarkt, doch erwirtschafteten auch hier (im
Jahr 2000) nur zwei Prozent der Unternehmen bereits die Hälfte
der Gesamtumsätze aller Musikverlage, so die Auswertung von
Söndermann.
Über die Zusammensetzung und Veränderung der Umsatzzahlen
in jüngerer Vergangenheit geben weitere Veröffentlichungen
(unter anderem des Deutschen Musikverlegerverbandes, DMV) Auskunft
und ermöglichen es, aktuelle Tendenzen auszumachen. Das Augenmerk
auf das traditionelle Geschäft der Musikverlage, die Noten,
richtend, wird von dessen „Basis“ gemeldet, dass die
GEMA mittlerweile 35.000 Komponisten in ihrem Mitgliederverzeichnis
führt; der Anteil derer, die tatsächlich vom Komponieren
leben können, wird jedoch auf lediglich acht Prozent geschätzt.1
Der Anteil des Notensatzes am gesamten Musikverlagswesen liegt mittlerweile
bei etwa 15 Prozent2, der aus dem Verkauf von Noten erzielte
Gesamtabsatz beträgt 60 Millionen Euro.3 Die deutschen
Musikverlage veröffentlichten im Jahr 2003 über 30.000
neue Notenausgaben und Musikbücher, wobei die Schwerpunkte
auf Instrumentalschulen für Klavier, Violine und Blockflöte
sowie Gitarre und Keyboard lagen. Die Chorliteratur ist auf fünf
Prozent Anteil am gesamten Notenbestand zurückgegangen. Insbesondere
durch vielfaches illegales Kopieren des Notenmaterials kam es bei
Chorverlagen zu Einbrüchen auf teils bis zu 60 Prozent.4
Nach Einschätzung des Gesamtverbandes Deutscher Musikfachgeschäfte
(GDM) sei jedoch trotz der tendenziell schwindenden Bedeutung des
Notengeschäfts seit Jahren der Absatz von Noten und Musikbüchern
insgesamt betrachtet stabil geblieben.5 Dort würden
nach dem GDM-Umsatzbarometer sogar häufig die höchsten
Umsatzzuwächse erreicht. Auch die Marktaussagen der Fachverbände
anlässlich der Frankfurter Musikmesse 2004 sprechen von einer
„Fast-Stagnation auf hohem Niveau“ bezüglich des
Notenverkaufs.6 Die Konjunkturflaute der gesamten deutschen
Wirtschaft sei durch einen leichten Abwärts-Trend spürbar,
doch versuche man diesem durch qualitativ hochwertige und kreative
Neuveröffentlichungen von Notenausgaben und Musikbüchern
entgegen zu wirken. Generell ist von einer „leicht rückläufigen
Stagnation“ die Rede.7
Der Löwenanteil der Verlegerumsätze wird nach Auskunft
des DMV mit Lizenzeinnahmen aus Plattenverkäufen und -produktionen,
Radio- und Fernsehsendungen, Konzerten, Film- und Werbemusik und
Synchronisationsrechten oder Klingeltonverkäufen erzielt.8
Nach der Kürzung der CD-Lizenzen von 9,009 auf 5,6 Prozent
sowie rückläufiger CD-Verkaufszahlen (40 Prozent Umsatzrückgang
aufgrund illegaler Raubkopien9) ist in diesem Bereich
jedoch mit weiteren Einbrüchen zu rechnen. Einen Eindruck davon,
welche Dimension inzwischen der Verkauf von Klingeltönen erreicht
hat, geben 350 Millionen Euro Gesamtumsatz im Jahr 2003 in Europa
und den USA.10 Netzbetreiber prognostizieren für
das Jahr 2006, dass 30 Prozent des Umsatzes der Musikwirtschaft
über den Mobilfunk erwirtschaftet werden.11 Die
mobile Musiknutzung wird vom DMV daher als Chance für die Zukunft
gesehen.12 Auch arbeitet der Musikverlegerverband eng
mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels zusammen, um
die technologischen Entwicklungstrends wie Publishing on Demand
oder die Digitalisierung von Noten mit dem zu erwartenden Online-Vertrieb
im Internet in den nächsten Jahren mit in die neuen Vermarktungsstrukturen
einzubinden.13 Immer häufiger kommt es darüber
hinaus zu enger Zusammenarbeit und wirtschaftlicher Verbindung von
Verlegern, Produzenten und jungen Labels, die bis zu 80 Prozent
des Talentscoutings und des Aufbaus von künstlerischen Acts
betreiben.14
Während sich also trotz der aktuellen technologischen Entwicklungen
der Print-Medien-Markt insgesamt gesehen als relativ stabiler Kern
darstellt, kommt es bei den mittlerweile zahlreichen Zusatzgeschäften
und neuen Geschäftsfeldern innerhalb sehr kurzer Zeitspannen
zu großen Umwälzungen und Verlagerungen der Einnahme-Schwerpunkte.
Die dadurch erforderliche Flexibilität der Unternehmen in ihrem
Angebot wird die künftige Erfassung und Auswertung statistischer
Daten im Jahresvergleich wohl zunehmend erschweren.