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nmz-archiv
nmz 2004/10 | Seite 15
53. Jahrgang | Oktober
Musikwirtschaft
Auf der Klaviatur der Beziehungen spielen
Selbstmanagement Serienteil 9 zum Thema Networking
Erst durch PC und Internet ist das Wort „Netzwerk“
so richtig populär geworden, dabei sind funktionierende Netzwerke
in der Musikbranche seit jeher der bestimmende Faktor. Warum? Das
Musikbusiness ist mindestens so stimmungsabhängig wie die Pferderennbahn
und genauso unübersichtlich wie das Börsengeschehen. Niemand
kann ganz allein verlässliche Annahmen über zukünftige
Entwicklungen treffen. Trends entwickeln sich überall und nirgends
und zur Unterscheidung zwischen richtungsweisenden oder irreführende
Nachrichten muss man viele Fragen stellen. Aber wen fragt man und
von wem erhält man die entscheidenden Hinweise? Ganz einfach:
Stets hilft das Netzwerk, zusammengehalten von Bits und Bytes in
Datenbanken, von Ledereinbänden in Adressbüchlein und
von durchsichtigem PVC in Visitenkartenordnern und Ringbüchern.
Ich will diese Behauptung anhand des Beispiels „Plattenvertrag“
belegen.
Immer noch glauben Musiker, dass sie einen Plattenvertrag durch
das tonnenweise Verschicken von Demobändern erhalten. Wenn
man jedoch bei den Empfängern der Demoflut nachhört, ergibt
sich ein enttäuschendes Bild. Die Bänder werden demnach
nur umgestapelt vom Schreibtisch des Musikers in die Kisten der
Talentjäger, wo sie dann Staub ansetzen. Die sogenannten A&R,
die in den Plattenfirmen für den Nachschub von Talenten beziehungsweise
das Abwerben von Hitgaranten zuständig sind, nutzen ganz andere
Quellen als die Post. Sie zappen sich durch die Medien, telefonieren,
verschicken Mails und tauchen immer dort auf, wo sich die Szene
trifft. Während die einen rocken und rollen, tragen sie in
unzähligen kurzen oder langen, förmlichen oder ausgelassenen
Gesprächen diejenigen Informationen zusammen, die sie am nächsten
Tag in ihrem Büro erfolgreicher als die Konkurrenz agieren
lassen.
Ein Musiker, der dieses Schema tabulos zur Kenntnis nimmt, kann
daraus interessante Schlüsse ziehen. Um den A&R zu erreichen,
muss er dessen Schema kopieren und schon ist ihm der Erfolg –
Charisma und musikalische Qualität vorausgesetzt – fast
sicher. Ist das wirklich so? Ja, es ist! Netzwerke leben von Berührung
und irgendwo treffen sich immer die Ausläufer des Talentjägers
mit denen des zukünftigen Stars. Der Ort der Begegnung ist
ebenso wenig vorhersagbar wie der Zeitpunkt. Allerdings kann man
die Dinge gerade als Musiker erheblich beschleunigen, wenn man das
eigene Netzwerk mit System benutzt und im richtigen Rhythmus auf
der Klaviatur der Beziehungen spielt.
Nehmen wir an, Sie sind überzeugt davon einen Hit geschrieben
zu haben, der Ihrer Band oder Ihrem Ensemble zum Durchbruch verhilft.
Der direkte Weg in die Verkaufscharts ist Ihnen bislang verbaut,
weil kein Entscheider aus dem Musikbusiness jemals von Ihnen gehört
hat. Wenn also die Abkürzung nicht funktioniert (nach dem Motto:
„Gehen Sie nicht über Los. Ziehen Sie keine 4.000 Euro
ein“), dann bringen Sie Ihr Netzwerk ins Spiel: Senden Sie
mit aller Kraft Signale in Ihr persönliches Beziehungsgeflecht.
Stellen Sie sich vor, dass Sie der Kopf eines Oktopus’ sind,
der sich vor Begeisterung rot färbt. Langsam wandert die Farbe
in Ihre Arme, die Ihren Bekanntenkreis (also Ihr Netzwerk) darstellen.
Die Menschen, die Sie gut kennen, lassen sich von Ihrem Enthusiasmus
und von der Musik anstecken. Ihr Netzwerk, also Ihre leuchtend roten
langen Krakenarme, berührt nun mit seinen Saugnäpfen andere
Kopffüßler, die andocken und die Farbe weitertragen,
mit der Zeit sogar bis in ein anderes Zentrum: dem Büro des
A&R Ihrer Lieblingsplattenfirma.
Die beiden renommierten Karrieretrainer Hesse/Schrader berichten
von einer statistischen Erhebung, wonach jeder Mensch mindestens
200 andere Personen kennt. Verfolgen Sie diesen Gedanken einmal
weiter: Jede dieser 200 Kontaktpersonen kennt wiederum 200 andere
Menschen. Über den kleinen Umweg von einer Kontaktperson können
Sie also bereits 200 x 200 = 40.000 Menschen erreichen. Das Bild
von der Krake ergibt plötzlich einen Sinn, weil Sie Ihre Signale
tatsächlich viel weiter senden können, als sie bisher
vermuteten.
Übung Nr. 1 – Netzwerk aufzeichnen
Wer sind Ihre 200 Bekannten? Nehmen Sie sich einen sehr großen
Bogen Papier und schreiben Sie in die Mitte Ihren eigenen Namen.
Ziehen Sie einen Kreis um Ihren Namen und beginnen Sie von dem Kreis
aus Arme zu zeichnen, auf die Sie die Namen sämtlicher Personen
auftragen, die Sie kennen. Wenn Ihnen Themen einfallen wie „Schule“
oder „Proberaum“ können Sie diese Schlagwörter
wie bei einem Stammbaum oder einer Mind Map als Hauptarme auftragen
und davon ausgehend Nebenarme mit Namen oder Namensstämmen
(Familienzweige, Abteilungen, Ensembles und so weiter) verzweigen.
Bewerten Sie Ihre Einfälle nicht nach Qualitätsmaßstäben.
Hören Sie erst auf, wenn mindestens 200 Namen auf Ihrem Papier
stehen.
In meinen Seminaren führt diese Übung regelmäßig
zu fundamentalen Aha-Erlebnissen. Wir sind erstaunt, wenn wir uns
die Potentiale unseres Bekanntenkreises in vollem Umfang vergegenwärtigen.
Doch wie können wir diese Macht in uns überhaupt vergessen?
Networking hat ähnlich wie im vorhergehenden Serienteil das
Verhandeln viel mit der Wahrung der gemeinsamen Interessen zu tun.
Dieses Thema wird verdrängt in einer Gesellschaft, in der sich
die Gewinner von den Verlierern abheben, um mit Selbstachtung zu
leben. Überwinden Sie Ihre Ängste, indem Sie genau wie
die Verhandlungskünstler und Netzwerkprofis den Geist des Geben
und Nehmens verinnerlichen und strikt danach handeln.
Übung Nr. 2 – Netzwerk systematisieren
Übertragen Sie Ihr sternförmig aufgeschriebenes Netzwerk
aus Übung Nr. 1 in ein System von Karteikarten oder in eine
Computerdatei. Unterschiedliche Bezugsgruppen erfordern unterschiedliche
Tabellengestaltungen. Wichtige Eigenschaften sind beispielsweise
Namen, Titel, Geburtsdatum, Internetadresse, Privatnummer, Dienstanschluss
et cetera. Notieren Sie zu jeder Person auch deren Interessen und
andere wissenswerte Hintergrundinformationen. Bei Computerdateien
sind Vorüberlegungen zur späteren Anwendung (zum Beispiel
personalisierte Serienbriefe) notwendig.
Die Übungen Nr. 1 und Nr. 2 zeigen neben den Potentialen auch
unerbittlich präzise an, wo es uns an Kontakten mangelt. Möglicherweise
kennen wir Musiker, aber keinen A&R, wir kennen Techniker, aber
wenige Konzertagenten, wir kennen Grafiker, aber kaum Presswerke,
wir brauchen Sponsoren, kennen aber nicht mal einen Promoter, wir
sprachen mit einem Rechtsanwalt über Verwertungsfragen ohne
je einen Verlagsleiter getroffen zu haben. Fangen wir also damit
an Farbe durch unsere Arme zu jagen. Wir kennen zwar keinen A&R,
aber Musiker, die einen A&R kennen. Wir sind noch nie einem
Konzertagenten begegnet, aber unser Lieblingstechniker arbeitet
mit vielen Hand in Hand. Wir sprechen mit jedem Menschen den wir
kennen über mögliche Promoter, um über diese Berufsgruppe
später mögliche Sponsoren zu bekommen. Wir befragen uns
bekannte Rechtsanwälte über fähige Verlage.
Zurück zu Ihrem Hit. Um das Netzwerk zum Glühen zu bringen,
müssen Sie unbedingt jede Chance für eine überzeugende
Performance nutzen. Welche Botschaft wollen Sie ins Netzwerk aussenden?
Professionelles Networking ist hochgradig davon abhängig wie
genau Sie Ihre Ziele vorab formulieren können. Networking endet
in Aktionismus und Beliebigkeit, wenn die Ziele schwanken und vielfältig
sind.
Übung Nr. 3 – Networking-Ziele klären
Welche Ziele möchten Sie mit Networking erreichen? Sammeln
Sie so viele Ziele wie Ihnen innerhalb von zehn Minuten unabgelenkten
und entspannten Überlegens einfallen. Nach dem Ablauf von zehn
Minuten wählen Sie ein Ziel aus, das sich zeitlich festlegen
und inhaltlich bewältigen lässt.
Jedes Gespräch auf dem Weg zu Ihrem gewünschten Adressaten
(im Beispiel: der A&R) ist für Ihren Erfolg entscheidend.
Bereiten Sie sich auf diese Gespräche gut vor, indem Sie Ihr
Ziel in eine konkrete Botschaft umformulieren. Diesen Text müssen
Sie verinnerlichen und auch noch nachts um fünf, wenn Sie aus
dem Tiefschlaf erwachen, souverän und unverkrampft vortragen
können. Ihre Botschaft enthält folgende Aspekte:
Ankündigung Ihrer Selbstpräsentation und Spezialthematik
Ihren Geburtsort und Ihre Ausbildung
Ihre besonderen Fähigkeiten und Ihre wichtigsten Erfolge
den Grund Ihrer Kontaktaufnahme
Dieses Grundschema der Selbstpräsentation funktioniert gleichermaßen
erfolgreich auf Partys wie bei Vorstellungsgesprächen. Sie
können sich vollständig darauf verlassen und genau auf
die Reaktionen Ihres Gegenübers achten. Fallen Sie nicht mit
der Tür ins Haus und verlangen Sie nicht von Fremden Leistungen,
die einen Vertrauensvorschuss voraussetzen. Networking ist die ultimative
Power im Musikbusiness, es erfordert jedoch Zeit und bedingt, dass
Sie von Herzen Ihre Möglichkeiten nutzen, um in anderer Form
Gegenleistungen zu bringen.