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nmz-archiv
nmz 2004/10 | Seite 45
53. Jahrgang | Oktober
Bücher
Ein Raunen in wagnerisch gefärbter Diktion
Der Dirigent Christian Thielemann und seine einstigen Berliner
Kollegen im Porträt
Kläre
Warnecke: Christian Thielemann – ein Porträt, Henschel
Verlag, Berlin 2003, 288 S., Abb., € 22,00, ISBN 3-89487-465-1
Assistent bei Karajan und Barenboim, mit 29 Jahren Generalmusikdirektor
in Nürnberg, mit 36 in gleicher Position an „seinem“
Haus, der Deutschen Oper Berlin, die er soeben jedoch zum zweiten
Mal und wohl endgültig verließ, umjubelte Gastspiele
in aller Welt – mit 45 Jahren kann Christian Thielemann bereits
auf eine steile Karriere zurückblicken. Dabei ist er bis heute
wohl der umstrittenste Dirigent seiner Generation. Seine Anhänger
verehren ihn als legitimen Nachfolger der großen Alten, sei
es Karajan oder Furtwängler, als Hüter des heiligen Grals
der deutschen Romantik und Retter von Bayreuth. Gerade daran nehmen
seine Gegner Anstoß: an einem dezidierten Traditionsbewusstsein,
das ebenso in manchen Äußerungen heikel ins Nationalistische
hinüberspielt, wie es sich am schmalen, konservativ orientierten
Repertoire ablesen lässt. Gleich den Bewunderern sind aber
auch sie nicht vor heiligen Schauern gefeit, wenn der Maestro am
Dirigentenpult agiert – bei Wagner, Strauss und Bruckner kann
ihm keiner was vormachen, und selbst eher skeptische Kritiker erliegen
dem Klangrausch und schildern „Abende der Trunkenheit und
Überwältigung“. Auf ein Porträt dieses bei
aller Begabung manchmal zwielichtig erscheinenden Künstlers
kann man also besonders gespannt sein. Doch die Hamburger Journalistin
Kläre Warnecke weicht in ihrem schlicht „Christian Thielemann“
betitelten Porträt, 2003 im Berliner Henschel-Verlag erschienen,
allen kniffeligen Fragen aus.
Anhand akribisch aufgelisteter Karriere-Stationen, in umfangreichen
Interviews und zahlreichen Stimmen aus Presse und Kollegenschaft
kommt Thielemanns Gedankenwelt und Arbeitsweise ausführlich
zur Sprache. Wie man etwa unter der Leichtigkeit des Strauss’schen
„Rosenkavaliers“ die Trauer hervorkitzelt, warum langsame
Tempi Beethovens „Neunter“ gut tun, was von Originalklang-Aufführungen
romantischer Werke zu halten ist und wie man mit den akustischen
Tücken des Bayreuther Festspielhauses fertig wird, das dürfte
für viele Musikliebhaber durchaus interessant sein. Die Hintergründe
so mancher Opernproduktion zwischen Berlin und Bayreuth werden hier
lebendig. Dass der Kapellmeister dem dänischen Dogma-Regisseur
Lars von Trier den gesamten „Ring“ eigenhändig
am Klavier vorspielte, um für die künftige – inzwischen
schon wieder abgeblasene – Zusammenarbeit 2006 „besonders
schwierige Stellen“ gleich „pflockartig“ zu klären,
wirft ein bezeichnendes Licht auf sein ambivalentes, umfassend dargestelltes
Verhältnis zum Regietheater. Dass hier ein schwieriger, eigenbrötlerischer
Charakter am Werk ist, lassen Äußerungen wie die von
Detlef Grevesmühl, Konzertmeister an der Deutschen Oper, über
die „manchmal furchtbar schroffe Art“ des Chefs nur
ahnen. Ansonsten wird gerühmt: etwa die Sinnlichkeit und Transparenz
des Orchesterklangs, die schlagtechnische Perfektion, die „authentische
Persönlichkeit“, „unabhängig von jeder Mode
und jedem orthodoxen Stil“, „Intuition, die durch die
Analyse hindurchgegangen ist“.
Ärgerlich aber wird das Buch dadurch, dass es auf der Klaviatur
eines verquasten rechtslastigen Intellektualismus spielt, unter
dem Deckmantel des Kampfes einer unabhängigen, einzig der „musikalischen
Wahrheit und Substanz“ verpflichteten Persönlichkeit
gegen den (linken?) „Zeitgeist“ und eine „medienmächtige
Gesinnungsästhetik“. Dabei redet es jedoch nie richtig
Klartext. Dem „preußischen Werten“ verpflichteten
Elternhaus sind nur im Vorwort ein paar Seiten eingeräumt.
Dort raunt Warnecke von mehr als nur einem „Charakter- und
Lebenswiderspruch, ohne dessen dunkle, labyrinthische Untergründe
und Verwerfungen die schroffe, machtvolle Größe des Musikers
(…) Thielemann aber kaum denkbar wäre“. Insgesamt
herrscht eine hohe, „wagnerisch“ gefärbte Diktion
vor, die alles Kritische verteidigt und verharmlost.
Aufschluss, gar in Richtung Objektivität, darf man sich nicht
erhoffen, wenn es um die „Berliner Schlachten“ geht
– Thielemanns Kämpfe an der Deutschen Oper Berlin mit
den Intendanten Götz Friedrich und Udo Zimmermann, die Rivalität
mit Staatsopernchef Daniel Barenboim, welcher die nie aufgeklärte
Kolportage „Jetzt hat die Juderei in Berlin ein Ende“
– möglicherweise die Krone aufsetzte. Einen anderen Standpunkt
als den des Porträtierten gibt es nicht, der jedoch auch häufig
ins rein Musikalische flüchtet: „Was hat „cis-moll
im
,Palestrina‘ mit Faschismus zu tun?“ heißt es
zum viel kritisierten Antritt mit dem Pfitzner-Werk in Nürnberg
1988. Im Schluss der „Meistersinger“ („Was deutsch
und echt…“) sieht er keinerlei nationalistische Aggressivität:
schließlich habe Wagner dem Wörtchen „deutsch“
stets „piano“ vorgeschrieben. Und wenn es lapidar über
Thielemanns Bayreuth-Debut heißt: „Die Achse Berlin-Bayreuth,
die schon für den Berliner Generalintendanten Heinz Tietjen
bedeutsam geworden war, als Winifred Wagner ihn 1931 an ihre Seite
berief, sollte nun auch für Thielemann zu einer entscheidenden
Lebensbahn werden“, dann ist mit der Beschwörung solch
fataler Kontinuität wohl der Höhepunkt einer – echten
oder gespielten – historisch-politischen Naivität erreicht.
Gegenüber
dem in Wagner-Wolken schwebenden Genie Thielemann scheinen die beiden
anderen bei Henschel porträtierten Dirigenten, Sir Simon Rattle
und Kent Nagano, ganz normale Menschen zu sein. Vor allem „Abenteuer
der Musik – Simon Rattle“ von Nicholas Kenyon (ISBN
3-89487-437-6, € 25,-) betont das Unprätentiöse des
derzeitigen Chefs der Berliner Philharmoniker. Er erscheint hier
als eine Persönlichkeit, der Kommunikation über alles
geht, stets begierig, Neues zu lernen und bestrebt, Schwellenängste
vor der hohen Kunst abzubauen. Darüber hinaus hat das Buch
den Vorzug, neben der üblichen Diskografie sämtliche jemals
von Rattle dirigierten Programme zu dokumentieren, von Anfang an
wundersame, unorthodoxe Mixturen aus Alt und Neu, Bekannt und Unbekannt.
Auch
Habakuk Traber betont mit seinem Nagano-Porträt „Musik
für ein neues Jahrhundert“ (ISBN 3-89487-413-9, €
22,-)den Vorstoß ins Progressive. Wie für Rattle ist
auch für den Chef des Deutschen Symphonie Orchesters Berlin
die Heranführung des Publikums an das Neue, der Kontakt mit
dem Nachwuchs besonders wichtig. Rihm und Brahms, Ives und Bruckner
sind für ihn keine Widersprüche – ebensowenig wie
Unternehmungslust, Zukunftswillen und Traditionsbewusstsein, die
ihn an Berlin faszinieren. Während Warneckes Buch mit dem Ratschlag
der Beschränkung auf Wesentliches und „Zugehöriges“
endet, schließen die Rattle- und Nagano-Porträts mit
unpathetischen Ausblicken auf unbegrenzte Möglichkeiten.