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nmz-archiv
nmz 2004/10 | Seite 25-26
53. Jahrgang | Oktober
Verbandspolitik
Der Musikrat im Aufwind?
Ein Gespräch mit Christian Höppner, Generalsekretär
des Deutschen Musikrates
Seit einem halben Jahr ist Christian Höppner Generalsekretär
des deutschen Musikrates. Er leitet den „Vereinsteil“
des deutschen Musikrates, der sich in zwei Einrichtungen gliedert.
Zum einen gibt es den eingetragenen Verein mit Sitz in Berlin für
die musikpolitische Arbeit. Zum anderen ist da die gGmbH mit ihrem
Sitz in Bonn, die für die Durchführung und die haushalterische
Abwicklung der Projekte zuständig ist. nmz-Herausgeber Theo
Geißler traf sich mit dem neuen Generalsekretär zum Gespräch.
nmz: Wie ist die Kommunikation zwischen Verein und gGmbH,
den beiden Körperschaften des Musikrates, geregelt? ChristianHöppner: Der Souverän ist die
Mitgliederversammlung. Aus dieser wird das Präsidium gewählt.
Zur Zeit ist es so, dass das Geschäftsführende Präsidium
zugleich Gesellschafter im Aufsichtsrat ist und damit für die
gGmbH die Richtlinien bestimmt. Im Aufsichtsrat sitzen unter anderem
auch die Zuwendungsgeber.
Christian Höppner beim
Musikmagazin taktlos im BR-Studio. Fotos: Martin Hufner
nmz: Ist es nicht eine weite Strecke zwischen Berlin und
Bonn, zwischen der Konstruktion eines Vereins und der Konstruktion
einer gGmbH, die zu Verständnisproblemen führen kann?
Höppner: Von der Ursprungsdefinition her ist die gGmbH
ein Dienstleister für die Durchführung der Projekte und
deren haushalterische Absicherung und Abwicklung. Nach außen
würde keiner verstehen, wenn die gGmbH und der e.V. als eigenständige
Gebilde aufträten. Der Deutsche Musikrat ist eine Firma, ein
Haus, in dem sich die musikpolitische und die fachliche Arbeit vereinen.
Dabei sind die Projekte zum einen ein ideales Medium zur Vermittlung
musikpolitischer Botschaften (um die uns manch andere Dachverbände
beneiden) und zum anderen Impulsgeber für das Musikleben. Kommunikation
lebt ja von dem Geist gemeinsamer Ziele und einer belastbaren Struktur.
In der Strukturfrage gibt es Nachholbedarf, weil ein entscheidendes
Verbindungsglied – vom e.V. in die gGmbH – fehlt. Bei
der derzeitigen Konstruktion wurde nicht bedacht, dass der Generalsekretär,
und damit meine ich jetzt einfach die Funktion als solche, nicht
strukturell in die Lage versetzt worden ist, dass das, was der Souverän
beschlossen hat, also die strategische und inhaltliche Arbeit des
Musikrates, auch eins zu eins in die gGmbH bei den Projekten einbringen
zu können. Diese fehlende Einflussnahme ist ein Mangel.
nmz: Ließe sich das möglicherweise im Rahmen
einer Satzungsänderung reparieren? Denn man könnte auch
die Existenz des kleinen Geschäftsführenden Präsidiums
in Frage stellen, eines Präsidiums, dem es rein von der Quantität
her nie gelingen wird, die ganze Breite des deutschen Musiklebens
widerzuspiegeln. Höppner: Genau in diese Richtung geht auch die aktuelle
Diskussion im Präsidium. Zum einen hat die Satzungskommission
einen Entwurf vorgelegt, der nur noch eine Kompetenzebene, nämlich
das Präsidium, vorsieht und das Geschäftsführende
Präsidium als weitere Ebene nicht mehr enthält. Die Konferenz
der Landesmusikräte hat sich zum anderen bereits zum zweiten
Mal einstimmig für eine steuernde Mitwirkung des e.V. bei den
Projekten ausgesprochen. Diese Themen werden auf der kommenden Mitgliederversammlung
des Musikrates am 22. und 23. Oktober vorgestellt werden.
nmz: Es wird die erste Generalversammlung seit zwei Jahren
sein, die von den düsteren Wolken einer Insolvenz befreit stattfinden
kann. Wenn man sich die Arbeit des Musikrates der letzten Zeit ansieht,
hat man auch den Eindruck, dass wirklich ein frischer Wind weht.
Möchten Sie da ein bisschen bilanzieren, Herr Höppner? Höppner: Der Deutsche Musikrat ist auf einem guten Weg
und bereits zu diesem Zeitpunkt insgesamt gut aufgestellt. Die Insolvenz
war ja nicht nur eine wirtschaftliche Krise, sondern auch eine Sinnkrise,
die im homöopathischen Sinne eine sehr heilsame Medizin darstellte,
weil sie ein anderes Bewusstsein für die Bedeutung und den
Wert der Aufgabe eines solchen Dachverbandes und seiner Mitglieder
gebracht hat.
nmz: Können Sie da ein bisschen konkreter werden? Höppner: Wir haben einen Paradigmenwechsel in unserer
politischen Arbeit vollzogen. Wir haben verstanden, dass Musikpolitik
Gesellschaftspolitik ist. Damit nehmen wir ein Stück gesamtgesellschaftliche
Verantwortung war, weil wir unser Denken und Handeln an der Frage
ausrichten, „was nutzt es unserer Gesellschaft?“. Daraus
ergibt sich auch eine permanente Überprüfung und gegebenenfalls
Neuausrichtung der strategischen Arbeit, der wir etwa mit der Einrichtung
der Strategiekommission Rechnung tragen. Die aktuellen Schwerpunktthemen
sind die musikalische Bildung, wobei hier der musikalische Bildungstag
auf der Frankfurter Musikmesse und der Königsteiner Kongress
zur Musik in der Ganztagsschule hervorzuheben sind, die Öffnung
zur populären Musik, die Entflechtungsdebatte der Föderalismuskommission
und die geplante UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt mit
einem breiten Themenkanon. Für 2005 planen wir zwei Schwerpunktthemen:
„Kulturelle Identität und interkultureller Dialog“
und „Musikvermittlung“. Wir sind – die Wirksamkeit
auf der politischen Bühne betreffend – auf einem guten
Steigflug. Die alten und neuen Partnerschaften, gründen auf
der Erkenntnis, dass es in dieser Zeit im Interesse größtmöglicher
Wirksamkeit eines Schulterschlusses bedarf. Selbstverständlich
braucht es dazu eine intensive Diskussion im Vorfeld über Inhalte
und Ziele unserer Arbeit. Hier sind die Bundesfachausschüsse
und Beiräte sehr wertvolle Kompetenzzentren.
nmz: Ist unter diesen Voraussetzungen oder unter diesen
eben genannten Zielsetzungen nicht auch ein Nachdenken über
die Konfiguration bestimmter Projekte notwendig? Ich nenne zum Beispiel
„Jugend musiziert“. Ist es noch zeitgemäß,
einen Wettbewerb der Spitzenkräfte in aller Breite auszuschreiben,
mit ständig neuen Teilnehmer-Rekorden? Oder: Wettbewerb nicht
als Konkurrenz im „kapitalistischen“ Sinn, sondern als
Wettstreit zu einer Qualifizierung auch im sozialen Sinn, auch im
gesellschaftspolitischen Sinn. Höppner: Jedes Projekt muss sich immer wieder die Frage
gefallen lassen: „Passt es eigentlich ganz grundsätzlich
noch in die Landschaft?“ Was „Jugend musiziert“
anbetrifft, ist es für mich ein sehr lebendiges Projekt, das
aufgrund seiner Größe und auch seiner Struktur naturgemäß
nicht immer mit der Geschwindigkeit gesellschaftlicher Veränderungen
standhalten kann, sich aber in der Vergangenheit seinen Standort
in der Gesellschaft immer wieder bewusst gemacht hat und mit entsprechenden
Neuerungen/Korrekturen Zeichen gesetzt hat. „Jugend musiziert“
sagt ja im Wortsinne nicht aus, welche Jugend wir ansprechen und
welche Musik. Wir haben innerhalb der Beratungsgremien von „Jugend
musiziert“ einen intensiven inhaltlichen Austausch, über
die Frage: „Wo wollen wir eigentlich hin?“ Konsens gibt
es darüber, dass wir Breite und Spitze bei „Jugend musiziert“
vereint wissen wollen. Es ist gerade im Sinne sozialer und gesellschaftspolitischer
Wirkung ungeheuer wichtig, „Jugend musiziert“ als eine
Marke für das ganze Jahr zu entwickeln. Das heißt, es
nicht zu reduzieren auf den naturgemäß im Mittelpunkt
stehenden Wettbewerb, sondern die Anschlussmaßnahmen, die
Vorbereitungsmaßnahmen, aber auch Veranstaltungen selbst bis
hin zu musikpolitischen Botschaften noch viel mehr zu integrieren.
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Migration und Bevölkerungsstruktur
bei uns in Deutschland lässt „Jugend musiziert“
noch vollkommen aus dem Blick. Es gibt Bewegung in Nordrhein-Westfalen,
es gibt das Pilotprojekt des Landesmusikrates Berlin mit der Einführung
der türkischen Langhals-Laute als eigenständige Kategorie.
Auf Bundesebene aber haben wir diese Diskussion noch nicht. Wir
haben sie im Bereich der populären Musik. Natürlich stellt
sich bei diesem Wachstum mehr und mehr die Frage, wie wir das finanzieren
wollen und mit ehrenamtlicher Arbeit noch bewältigen können.
Ich meine aber, dass wir uns hier erst über die Ziele verständigen
müssen und dann die Frage der Umsetzung angehen können.
Sonst blockieren wir unter Umständen wichtige Weichenstellungen
für ein Mehr an gesellschaftlicher Gestaltungskraft. „Jugend
musiziert“ leistet einen Beitrag für das Funktionieren
unserer Gesellschaft der noch größer sein könnte,
wenn wir einen größeren Teil der Kinder und Jugendlichen
mit ihren kulturellen Erlebniswelten ansprechen würden.
nmz: Würde es sich nicht anbieten, dass man die existenten
verschiedenen Musikwettbewerbe im deutschen Musikrat, von „Jugend
musiziert“ bis zum Dirigentenwettbewerb inhaltlich viel stärker
vernetzt. Höppner: Ja, absolut. Da fehlt noch ein roter Faden.
Hier das zusammenzuführen, was Mitgliederversammlung und Präsidium
beschließen, und das was die hochkompetenten Beratungsgremien,
Bundesfachausschüsse und Beiräte, auch die Projektleiter
für eine Arbeit tun, das ist für mich die klassische Aufgabe,
die dem Generalsekretär, der ja in der Satzung als eigenes
Organ geführt wird, zuzuordnen wäre. Damit würde
an dieser Stelle zusammenwachsen, was zusammengehört –
auch im Sinne einer künstlerischen Geschäftsführung.
nmz: Bleiben wir noch einen Moment bei den Projekten. Vor
einem Jahr schien vor allen Dingen die Förderung der Neuen
Musik in die Bedrängnis geraten zu sein… Höppner: Die Neue Musik ist ein komplexer Eckpfeiler
der inhaltlichen Musikratsarbeit. Die sich andeutenden Bedrängnisse
konnten aufgelöst werden.
nmz: Gerade diese Projektgruppe hat doch Pionierarbeit
geleistet, im Rahmen der EU-Erweiterung Kontakte zu knüpfen.
Ich erinnere an das soeben beendete Treffen der Landesmusikräte
mit polnischen Woiwodschaften. Wie sieht das der Generalsekretär,
wie das Präsidium? Höppner: Auslandskulturarbeit wird naturgemäß
sehr stark über die Landesmusikräte mit ihren Begegnungsprogrammen
in Verbindung mit dem Goetheinstitut durchgeführt. Neben dieser
so wichtigen Basis kultureller Begegnungen müssen wir als Dachverband
des Musiklebens ein zweites Standbein musikpolitischer Arbeit aufbauen,
weil immer mehr Entscheidungen auf die europäische oder internationale
Ebene verlagert werden. GATS, die UNESCO-Konvention zur kulturellen
Vielfalt und das Urheberrecht sind Themen, von der auch kommunale
Kulturarbeit in einer Weise betroffen sein wird, wie sich das viele
heute noch nicht vorstellen können. Brüssel ist in unserem
realpolitischen Alltag eben noch sehr weit weg. Deshalb bedarf es
zur Durchsetzung gemeinsamer Ziele strategischer Partnerschaften,
die wir aber nur dann aufbauen können, wenn es vergleichbare
Strukturen der Zivilgesellschaft gibt. Die von Ihnen angesprochene
Begegnung in Warschau, hervorragend vorbereitet durch Han-nelore
Thiemer und ihr Team, könnte sich zu einem Musterbeispiel dieser
Zusammenarbeit auf der föderativen und nationalen Ebene entwickeln.
nmz: Schlagen wir den Bogen zum nächsten Projekt,
zum Musikinformationszentrum, der möglichen Öffentlichkeitsarbeits-Zentrale
des Musikrates. Funktioniert diese schon wie geplant? Immerhin ist
Ihnen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit mit dem Musikforum,
ich sage das voller Neid, ein wirklich großer journalistischer
Wurf gelungen. Spüren Sie da positive Rückmeldungen? Höppner: Ich freue mich sehr, dass es gelungen ist,
damit eine Ebene einzuziehen, die die inhaltliche und die politische
Diskussion näher zusammenbringt. Ich habe das immer als Manko
empfunden, wenn sich die verschiedenen Ebenen gar nicht begegnen.
Mit jeder Ausgabe ist die Frage gnach unserer Zielgruppe eine neue
Herausforderung: Denn wir wenden uns sowohl an die Mitglieder des
Deutschen Musikrates, als auch an die Politik und die musikinteressierte
Öffentlichkeit. Wenn Politiker mehr mit Inhalten und Musiker
mehr mit kulturpolitischen Themen in Berührung kommen –
dann ist das ein Zugewinn für beide Seiten. Die Rückmeldungen
zeigen diese Entwicklung eindeutig. Ich freue mich sehr, dass es
gelungen ist, damit eine Ebene einzuziehen, die die inhaltliche
und die politische Diskussion näher zusammenbringt. Ich habe
das immer als Manko empfunden, wenn sich die verschiedenen Ebenen
gar nicht begegnen.
nmz: Ihr nicht in purem Sonnenschein geschiedenes Präsidiumsmitglied
Jens Michow hat als eine Begründung für seinen Rückzug
genannt, dass es möglicherweise Inkompatibilitäten gebe
zwischen musikwirtschaftlich orientierten Persönlichkeiten
und zwischen pädagogisch orientierten. Ist es nicht geradezu
eine Zentralaufgabe für den deutschen Musikrat, solche Grenzen
aus der Welt zu räumen? Höppner: Ich kann diese Grenzen nicht erkennen, weil
sich die Persönlichkeiten innerhalb des Präsidiums ergänzen.
Mit Dieter Gorny haben wir sogar einen Musiker, Musikpädagogen
und Vertreter der Musikwirtschaft in einer Person. Die Musikwirtschaft
ist ein integraler, allerdings auch ausbaufähiger Bestandteil
der Musikratsarbeit.
nmz: Ist es nach Dieter Gornys Berufung nicht so, dass
innerhalb des Musikrates sogar die Pädagogen fürchten
müssen, von der Musikwirtschaft dominiert zu werden? Höppner: Davon habe ich noch nichts bemerkt. Ich wage
die Prognose, dass sich bei der nächsten Präsidiumswahl
im Jahr 2005 das Mitgliedsspektrum, das wir haben, sehr deutlich
abbilden wird. Profis, Laien, Wirtschaft, Musikpädagogik und,
und, und – der Musikrat braucht die ganze Bandbreite an Kompetenzen
und Erfahrungen, um seine Ziele zu erreichen. Selbst bei unterschiedlichen
Interessenlagen ist klar, dass alle in einem Boot sitzen.
Öffnung Richtung Pop
nmz: Der Musikrat hat sich auch insofern neu orientiert,
als alte Bedenken gegenüber der so genannten populären
Musik mehr oder weniger fallen gelassen wurden. Man will sich diesen
Musikrichtungen bewusst öffnen. Ist das vollzogen? Höppner: Wir sind da noch in einem Aufbaustadium mit
hoffnungsvollen und bereits sehr erfolgreichen Projekten wie etwa
SchoolJam. Wir verwenden im Moment relativ viel Zeit darauf, klar
zu machen, dass es hier nicht um einen Verdrängungswettbewerb
geht, sondern dass wir alle Stilrichtungen in unserer Gesellschaft
wahrnehmen müssen. Es gibt inzwischen ganz konkrete Projektpläne,
wie zum Beispiel das Pop-Camp oder die Frage nach der Kategorie
„Populäre Musik“ bei „Jugend musiziert“.
nmz: Nach wie vor sind gesamtgesellschaftlich gesehen immer
noch starke Reibungsverluste bei der Begegnung zwischen einer sehr
wertbewussten Musikpädagogik und der sehr kommerzorientierten
leichten Muse festzustellen. Wie kann man kompetent vermitteln? Höppner: Die erste Aufgabe ist: Diese Welten müssen
sich begegnen können. Wir haben zum Beispiel jetzt eine engere
Verknüpfung von den beiden Bundesfachausschüssen „Neue
Musik“ und „Populäre Musik“. Da findet jetzt
endlich auch ein inhaltlicher Austausch statt und ein fortgesetztes
Gespräch, teilweise auch sehr kontrovers, aber es findet wenigstens
statt. Das ist die erste Voraussetzung, um daraus Veränderungen
ableiten zu können.
nmz: Treffen da nicht zwei wirklich konträre Ambitionen
aufeinander? Auf der einen Seite das Interesse der Musikwirtschaft,
einem musikalisch möglichst ungebildeten Publikum eine globale
Musiksoße billig verkaufen zu können, auf der anderen
Seite das Wissen der im Kultur und im bildungspolitischen Bereich
professionell Tätigen, dass nur ein möglichst hoher Bildungsstandard
dafür sorgen kann, dass die Musik die ihr zustehende Rolle
in der Gesellschaft spielt? Höppner: Da ist der Musikrat ganz auf der Seite der
scharfen Kritiker dieser globalisierten Einflussnahme auf unser
Musikleben durch multinationale Musikkonzerne. Gegen diese Entwicklung
helfen aber nicht ein, sondern nur viele Kräuter. Die Verantwortung
von Politik, Medien und Wirtschaft müssen wir bei diesem Thema
stärker einfordern als bisher. Dazu gehört auch, dass
wir unseren Kindern in der entscheidenden Prägungsphase –
etwa bis zum zwölften Lebensjahr – die Welt der Musik
in einer möglichst großen Bandbreite anbieten. Kinder
sind nicht voreingenommen, sondern bilden ihre Vorlieben aus dem
vorhandenen Angebot. Dieses Angebot muss umfassender sein und früher
einsetzen. Kurz gesagt: musikalische Bildung beginnt neun Monate
vor der Geburt.
nmz: Sie haben als einen kulturpolitischen Schwerpunkt des
Deutschen Musikrates in nächster Zeit die gesamte Problematik
des interkulturellen Diskurses aufgeworfen. Auf der anderen Seite
könnte man eine sehr heiße aktuelle Diskussion, nämlich
die Quotendiskussion im Rundfunk auch als nationalistische Ausgeburt
einer auf schnellen Reibach fixierten Wirtschaft sehen. Wo wird
sich der Deutsche Musikrat in diesem Spannungsfeld positionieren?
Höppner: Wer das Eigene nicht kennt, kann das andere
nicht erkennen, geschweige denn schätzen lernen. Dieses immer
wieder verdrängte Thema unserer kulturellen Identitäten
schwingt subkutan bei vielen Diskussionen mit. Die Verdrängung
bewirkt aber eine Wahrnehmungsblockade gegenüber dem Reichtum
anderer Kulturen. Ich halte überhaupt nichts von dem Begriff
multikulturell, sondern meine, dass wir den interkulturellen Dialog
befördern müssen durch viele Maßnahmen – ein
bescheidener Beitrag wäre etwa, wenn sich „Jugend musiziert“
diesen Welten öffnen würde.
nmz: Wenn ich diese Antwort jetzt transponiere auf die
heiße Diskussion um die Radioquote, dann würde das eher
bedeuten, dass sie zu einer Art freiwilligen Selbstkontrolle neigen.
Höppner: Ganz genau – denn eine Zwangsmaßnahme
wäre kontraproduktiv. Das Bewusstsein für den Wert der
Kreativität wächst auch mit der Qualität und Anzahl
positiver Beispiele.
In diesem Sinne verstärkt der Musikrat positive Beispiele in
der öffentlichen Wahrnehmung, etwa durch die Vergabe des „Inventio“
an Bayern 4 Klassik. Der Westdeutsche Rundfunk ist ein weiteres
Positivbeispiel, für ein breit gefächertes Bildungs- und
Kulturprogramm. So schafft Bewusstsein Ressourcen. Mit Reglementierung
ist es nicht getan, denn da wird es immer wieder Schlupflöcher
geben.
Die Frage nach der Quote
nmz: Was aber nicht heißt, dass sie öffentlich-rechtliche
Sender, die sich sehr bewusst und im Moment wohl populistisch orientiert
und quotenfixiert von der Kultur abwenden, ungeschoren davonkommen
lassen wollen? Höppner: In keiner Weise. Bei jeder Gebührenerhöhung
stellt sich natürlich die Frage: Warum? Erfüllen sie ihren
Auftrag? Da gibt es leider mehr Negativ- als Positiv-Beispiele.
Die privaten Sender dürfen wir dabei auch nicht aus ihrer Verantwortung
entlassen. Die aktuelle Diskussion im Programmausschuss von RTL
lässt aber hoffen, dass es bei den Nachrichten bald ein Kulturfenster
geben wird.
nmz: Der Deutsche Musikrat wird wachsen, bei der nächsten
Generalversammlung werden neue Mitglieder aufgenommen? Höppner: Ja, wir freuen uns, dass zwei bedeutende und
große Organisationen einen Mitgliedsantrag stellen werden.
nmz: Das Verhältnis zwischen dem Deutschen Musikrat
und dem Deutschen Kulturrat war nicht immer ganz konfliktfrei. Der
Deutsche Musikrat ist als kräftigste Gruppierung im deutschen
Kulturrat erstarkt. Wie wirkt sich das aus? Höppner: Ich würde es schon als eine ideale Zusammenarbeit
bezeichnen, die auf breite Akzeptanz bei den Mitgliedern stößt.
Nehmen wir das Beispiel musikalische Bildung: Es reicht eben nicht,
als Einzelkämpfer für mehr und guten Musikunterricht in
der Schule zu kämpfen und dabei nicht zu erkennen, dass das
in einem großen Zusammenhang steht. Wenn wir bereit sind zu
erkennen, dass musikalische Bildung eine Teilmenge musischer und
die musische Bildung eine Teilmenge kultureller Bildung ist, dann
sind wir letztendlich dabei angekommen, dass uns die Konvention
der UNESCO zur kulturellen Vielfalt genauso interessieren muss,
wie die konkreten Arbeitsbedingungen in der Musikschule oder Schule
vor Ort. Diese Zusammenhänge herzustellen, ist eine unglaublich
reizvolle Aufgabe, der sich Kulturrat und Musikrat unter anderem
auch gemeinsam verschrieben haben.
nmz: Nach einem halben Jahr Praxis als Generalsekretär
des deutschen Musikrates – wo liegen Ihre Hoffnungen, Wünsche
und Perspektiven? Höppner: Jeden Tag tut sich ein neues Fenster auf, sinnbildlich
gesprochen. Das ist wahnsinnig reizvoll und unglaublich spannend.
Ich hoffe, dass es gelingen kann im Sinne von inhaltlicher und politischer
Wirksamkeit für die Gesellschaft, die direkte Kommunikation
in allen Bereichen dieses Hauses Deutscher Musik weiter zu verdichten.
nmz: Ich frage frech: Sehen Sie sich näher am Hausmeister oder
näher am Architekten?
Höppner: (lacht) Ganz eindeutig am Architekten, so sehr ich
Hausmeister schätze. Aber sagen wir mal so, Teilfunktionen
eines Hausmeisters, nämlich Türen öffnen, die nehme
ich auch gerne wahr.