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nmz-archiv
nmz 2004/11 | Seite 46
53. Jahrgang | November
Oper & Konzert
Radikaler Entwurf, der Entschlossenheit verlangt
Das Hamburger Musikfest 2004: 24-Stunden-Programm für müde
Ohren
Vom 10. bis 11. September fand in der Musikhalle am Johannes-Brahms-Platz
das diesjährige Hamburger Musikfest statt, das letzte unter
der künstlerischen Leitung von Ingo Metzmacher. Und wie bei
diesem Festival inzwischen üblich, gab es auch in diesem Jahr
wieder reichlich finanzielle und organisatorische Probleme. So hatte
etwa der Hauptförderer, die Zeit-Stiftung, die sonst die Hälfte
des Etats beisteuerte, ihr Engagement fast vollständig eingestellt.
– Die Stiftung eröffnet in Kooperation mit dem NDR in
diesem Jahr ihr eigenes Festival.
Ob das Musikfest überhaupt würde stattfinden können,
hing somit ganz von der Zusage der Kulturbehörde ab. Die aber
erfolgte erst im Februar, womit den Organisatoren nur ein halbes
Jahr Vorlauf blieb; was umso schwerer wog, als Generalmusikdirektor
Metzmacher fest entschlossen war, seine zu Ende gehende Amtszeit
mit dem Riesenprojekt einer Hamburger Erstaufführung des „Prometeo“
zu krönen. Alle Mittel wurden also auf zwei abendliche Aufführungen
von Nonos Opus summum konzentriert, während man das Rest-Musikfest
auf die Nacht und den Tag zwischen den beiden Hauptevents komprimierte.
Die reizvolle Idee, ein 24-Stunden-Programm in allen Sälen
der ehrwürdigen Laeisz-Halle anzubieten, wurde vom Publikum
leider nicht angenommen. Nach einer verhaltenen Premiere des „Prometeo“
am Abend des 10. leerten sich die Reihen merklich. Die Verbliebenen
konnten als krasses Kontrastprogramm zu Nono den angejazzten Mozart-
und Bachbearbeitungen der Swingle Singers lauschen, die ihren Auftritt
im Schatten des Titanen professionell absolvierten. Passend zur
fortgeschrittenen Stunde waren die meditativen Kornett-Klänge
von Markus Stockhausen und seiner Band, die eine gut 70-minütige
Raga improvisierten.
Vom Eingehen auf das Publikum, wie es zu Stockhausens Konzept gehört,
konnte allerdings kaum mehr die Rede sein, weil dieses – sofern
vorhanden – müde aber glücklich vor sich hindämmerte.
Die Solo-Perkussionistin Robyn Schulkowsky schließlich spielte
bis vier Uhr nachts einzig zum höheren Ruhme der Kunst.
Den Hartgesottenen hatten die Organisatoren, die hier mit gutem
Beispiel vorangingen, im Probensaal eine Schlafstatt eingerichtet.
Trotzdem waren am 11. vormittags nur wenige vom erlebnisorientierten
Hörertypus schon wieder vor Ort. Das Ensemble Resonanz, das
auch in Nonos „Tragödie des Hörens“ spielte
und somit die musikalische Hauptlast des Festes trug, nutzte den
aufwändig installierten Prometeo-Parcours, um unter anderem
Scelsis Raummusik „Elohim“ und Cages „Living room
music“ zu realisieren. Als echte Entdeckungen erwiesen sich
der israelische Jazz-Saxophonist Gilad Atzmon mit seinem Orient
House Ensemble und der Pianist Gianluca Cascioli. Atzmon konnte
mit seiner bulligen Physis, George W. Bush gewidmeten Mackie-Messer-Parodien
und schreiend-grellen Saxophontönen geradezu als Verkörperung
des Festivalmottos „Auflehnung“ gelten. Feinsinnig und
intellektuell klang das Prometheische dagegen in Casciolis Konzert
durch, der unter anderem Skrjabins „Vers la Flamme“
und Beethovens „Eroica-Variationen“ aufführte.
Vor dem Musentempel sammelten sich unterdessen Polizei-Hundertschaften
und Wasserwerfer – allerdings galt der Einsatz der geballten
Staatsmacht nicht der „Auflehnung“ der Ästheten,
sondern einer Demonstration der Bambule-Bauwagen-Bewohner.
Unstreitiger Höhepunkt des Musikfestes 2004 war dann die
zweite Aufführung von Nonos „Prometeo“ durch Ingo
Metzmacher als ersten und Baldur Brönnimann als zweiten Dirigenten
sowie das Ensemble Resonanz, den Solistenchor Freiburg und das Team
um Klangregisseur André Richard. Hatte sich die erste Aufführung
dieser 140 Minuten lose aneinander gereihter und durch den Raum
wandernder Klänge für den Rezensenten noch als echte Hörtragödie
dargestellt, waren bei der Reprise 20 Stunden später die cerebralen
Aktivitäten eingeschränkt genug, um sich dem beinahe sakralen
Ereignis ganz zu überlassen. Nun lebte die Wüste, weite
Flächen aus fragilen Streicher- und Holzbläserklängen
subtil gemischt und wunderschöne Chorstellen taten sich den
müden Ohren auf.
Dass dieser radikale Entwurf eine ebensolche Entschlossenheit
und einen unglaublich langen Atem verlangt, wird Metzmacher gewusst
haben, und dass die Hansestadt nach vier vergeblichen Anläufen
nun endlich einen „Prometeo“ bekommen hat, für
den das Warten sich gelohnt hat, kann er sich als bleibendes Verdienst
anrechnen. Auch die Idee, diese extrem langsame Raummusik mit der
Premiere von Wilsons statischer „Parsifal“-Inszenierung
an der Staatoper zu koppeln, zeugt von einer groß angelegten
Planung des GMD. Ob man aber mit dem kostbaren Gut Musikfest trotz
solch ambitionierter Projekte nicht etwas vorsichtiger hätte
umgehen können, muss immerhin gefragt werden. Im Jahr 2005
wird das Musikfest jedenfalls erneut – nach der Pause Mitte
der 90er-Jahre – ein Jahr aussetzen, um dann 2006 mit neuem
Konzept und unter der Leitung von Simone Young in sein drittes Leben
zu starten.