[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2004/11 | Seite 13-14
53. Jahrgang | November
Kulturpolitik
Spannungsfeld Bund-Länder
taktlos aus der Archenhold-Sternwarte Berlin-Treptow
Ende September tagte der Deutsche Kulturrat in der Archenhold-Sternwarte
Berlin-Treptow: „Kulturelle Bildung in der Bildungsreformdiskussion
– Konzeption Kulturelle Bildung“ hieß die Fragestellung
mit der sich Fachleute aus der kulturellen Bildung, Multiplikatoren
aus Bildungs- und Kulturpolitik sowie Verantwortliche aus der Kulturverwaltung
beschäftigten. Zu Gast in der Archenhold-Sternwarte war auch
„taktlos“, die Livesendung des Bayerischen Rundfunks
und der neuen musikzeitung. Moderator Theo Geißler begrüßte
zur 81. Sendung als Gäste: Thomas Goppel (Bayerischer Staatsminister
für Wissenschaft, Forschung und Kunst), Norbert Lammert (Vizepräsident
des Deutschen Bundestages), Olaf Zimmermann (Geschäftsführer
des Deutschen Kulturrates). Die nmz druckt die Diskussionsbeiträge
der Sendung im Wortlaut nach. Die gesamte Sendung kann im Internet
und www.nmz.de/taktlos angehört werden.
v.l.n.r.: Theo Geißler,
Thomas Goppel, Olaf Zimmermann und Norbert Lammert. Foto:
Martin Hufner
Theo Geißler: Bert Brechts „Kaukasischer Kreidekreis“
als ein Symbol für unser heutiges Thema: Zwei Mütter streiten
sich brutal ums Kind. Angeblich aus Liebe. Angeblich lieben Bund
und Länder die Kultur. Thomas Goppel, wie sieht es aus Sicht
der bayerischen Staatsregierung mit der Kultusministerkonferenz
der Länder aus? Wird es mit ihr weitergehen? Thomas Goppel: Es muss mit ihr weitergehen, weil Abstimmungsbedarf
in Fülle da ist. Die Kultusministerkonferenz der Länder
hat in den letzten 40 Jahren viele Schichten angesammelt und braucht
eine ordentliche Kur. Insoweit ist der Alarm von Ministerpräsident
Wulff ganz sinnvoll gewesen. Manches läuft zu zäh und
in viel zu langen Abläufen. Die Rechtschreibreform ist hier
vorläufig das beste und schlechteste Beispiel.
Geißler: Aber keine Radikalkur, die so weit geht,
dass die Kultusministerkonferenz ganz wegfällt? Goppel: Das würde vielleicht manchem gefallen, der an
anderer Stelle darauf wartet, das zu übernehmen. Aber einem
anderen zu Gefallen zu sein, ist nicht meine Aufgabe.
Geißler: Herr Lammert, Kultur ist Ländersache.
Sehen Sie als Bundespolitiker das Schwächeln der Kultusministerkonferenz
vielleicht ein bisschen mit Freude? Norbert Lammert: Nein. Und zugespitzt formuliert kann ich
zwischen dem ersten und dem zweiten Teil Ihrer Frage fast keinen
Zusammenhang erkennen. Die Kultusministerkonferenz, so wie sie sich
jetzt über Jahrzehnte entwickelt hat, beschäftigt sich
mit vielem, aber ganz selten mit Kultur. Sie beschäftigt sich
ganz überwiegend mit Bildungsfragen. Gelegentlich mit Fragen
kultureller Bildung. Ein Gremium zur besonderen Beförderung
von Kunst und Kultur in Deutschland ist die Kultusministerkonferenz
nie gewesen. Schon die Eingangsbemerkung, dass Kultur Ländersache
sei, halte ich in dieser schlichten Form für unzutreffend.
Geißler: Man kann dennoch Bildung im großen
Bogen mit Kultur sehen, ich würde das nicht so ohne weiteres
trennen. Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer der vermutlich
stärksten Kultur-Lobby in der Bundesrepublik und wird auch
wegen seines angeblichen Zentralismus’ ein bisschen angefeindet.
Thomas Goppel sagte eingangs, dass es möglicherweise welche
gibt, die sich freuen würden, wenn die Kultusministerkonferenz
wegfiele. Wäre denn der Deutsche Kulturrat eine Organisation,
die eventuell gerne und kompetent an ihre Stelle träte? Olaf Zimmermann: Mit Sicherheit nicht. Der Deutsche Kulturrat
ist eine Organisation des dritten Sektors, das heißt also,
wir könnten nie an die Stelle der staatlichen Kultusministerkonferenz
treten. Wir wollten das auch gar nicht, weil wir wollen, dass diese
Kultusministerkonferenz weiter existiert. Aber anders als bisher.
Ich finde, dass der Schuss, den Ministerpräsident Wulff der
Kultusministerkonferenz vor den Bug gesetzt hat, längst überfällig
war. Jetzt kann man reformieren und wenn wir Glück haben, wird
es nachher eine bessere Struktur geben. Aber natürlich brauchen
die Länder auch in der Zukunft ein Abstimmungsorgan in bildungspolitischen
Fragen, in schulpolitischen Fragen, in hochschulpolitischen Fragen
und ich würde mich sehr freuen, Herr Lammert, wenn sich die
Kultusministerkonferenz ein bisschen mehr um die Kulturpolitik kümmern
würde.
Geißler: Konkret: Wo sind die nötigen Reformmaßnahmen
anzusiedeln? Zimmermann: Ich glaube, wenn das Einstimmigkeitsprinzip in
der Kultusministerkonferenz fällt, dann ist der größte
Reformschritt gemacht. Es wird schließlich nicht nur bei wichtigen
Punkten die Einstimmigkeit verlangt, sondern es ist egal, wie unwichtig
ein Thema ist, man muss sich einstimmig äußern. Das ist
die Schere im Kopf. Goppel: Wir müssen die Kultusministerkonferenz nicht
unbedingt schlechter reden, als sie ist. Die Kulturpolitiker und
die Kulturschaffenden in Bayern sagen mir, dass die Kultusministerkonferenz
in den letzten 50 Jahren viel geschafft hat, trotz der Einstimmigkeit.
Einstimmigkeit ist ein Zeichen von Kultur und hat einen großen
Vorzug: Es muss nämlich sehr viel mehr geredet werden, und
man muss in den Verhandlungen manches erreichen. Schlagabtausch
und das sich gegenseitige Vorhalten von unterschiedlichen Positionen
hilft hier nicht weiter. Man muss in den Gesprächsrunden dazu
kommen, eine gemeinschaftliche Lösung zu haben. Unser Problem
in der Kultusministerkonferenz ist, dass wir nicht das Bundesratsprinzip
haben und nicht das Mehrheitsprinzip. Wahrscheinlich liegt die Lösung
dazwischen. Wir haben 16 Stimmen von Ländern, von denen die
einen Landkreisgröße haben und die anderen größer
sind als die Mehrzahl der Länder in der Europäischen Union.
Zu diesem Umstand sollten wir uns noch etwas einfallen lassen. Ich
bin aber auch gegen die Fortführung des reinen Einstimmigkeitsprinzips.
Geißler: Herr Goppel, Sie waren lange Zeit Präsident
eines großen Laienmusikverbandes, und damit im ehrenamtlichen
Bereich tätig. Bürgerschaftliches Engagement ist andererseits
ein Feld, um das sich der Bund sehr gerne selber kümmert, in
dem er auch gesetzgeberisch tätig wird. Haben Sie das seinerzeit
als hinderlich empfunden? Goppel: Nein. Wer in der Praxis steckt und die Arbeit macht,
den ärgert allerhöchstens, dass eine bestimmte Zuschussquelle
ausfällt. Alles andere ist letztlich uninteressant. Gelegentlich
kann noch ein Preis reizen, wenn man irgendwo über den eigenen
Landespreis hinaus einen bundesweit ausgeschriebenen Preis gewinnen
kann. Ansonsten kümmern sich, glaube ich, die Verbände
ganz wenig um Kompetenzfragen. Die Frage ist: Muss ich unbedingt
von oben nach unten organisieren? Wenn in der Verfassung steht,
Kultur ist Ländersache, dann sollen sich die anderen raushalten.
Aber darüber, dass der Bund umgekehrt da oder dort hilft, können
wir gerne miteinander diskutieren.
Geißler: War das ein Plädoyer für die Abschaffung
des Staatsministeriums für Kunst und Kultur? Goppel: Ich hielte es für besser, wenn es das Amt nicht
gibt. Wenn es aber da ist, muss man damit leben, das ist keine Frage.
Zimmermann: So wie Herr Goppel das sagt, hört sich das
so locker flockig an, als würde es überhaupt kein Problem
geben. Aber das stimmt so natürlich nicht, denn wir haben im
Moment eine ganz heftige Debatte. Die nennt sich lieblich „Entflechtung“,
aber ist etwas ganz Ernstes. Die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern
sollen gerade auch im Kulturbereich daraufhin untersucht werden,
was denn eigentlich wer machen müsste. Wenn wir nicht aufpassen,
kommen da sehr viele Institutionen unter die Räder. Ein Beispiel:
Die Festspiele in Bayreuth bekommen unter anderem Bundesmittel.
Es ist aber eine strittige Frage, ob sie überhaupt Bundesmittel
bekommen dürfen. So haben wir Land auf, Land ab viele Kulturinstitutionen,
die Gelder aus dem Etat des Bundes bekommen. So wie es jetzt aussieht,
würde Entflechtung bedeuten, dass wieder mehr Verantwortung
und Kosten zurück auf die Länder fallen. Aber die Länder
sind weder bereit, noch höchstwahrscheinlich in der Lage, die
Lücke, die dann gerissen würde, auszufüllen. Deswegen
ist es eben keine „Petitesse“, sondern es handelt sich
um etwas sehr Einschneidendes für uns. Ich finde, wir können
gut damit leben, dass etwas verflochten ist. Goppel: Bei den Bamberger Symphonikern hat sich der Bund
aus der gemeinsamen Finanzierung verabschiedet und wir haben das
voll ersetzt. Zur Entflechtungsdebatte: Der Bund muss im Zuge einer
Entflechtung Mittel, die er heute für Bereiche aufwendet, aus
denen er sich zurückzieht, den Ländern im Ausgleich zurückgeben
und dann werden diese das Geld dort einsetzen, wo es notwendig ist.
Was mich beim Bund stört, ist, dass er sich in etwas einmischt,
was ihn eigentlich nichts angeht.
Geißler: Herr Lammert, hier der Bund als Leuchtturmwärter
für Elite-Universitäten, dort als Petroleumlampen-Anzünder,
wo es in der Kultur ein bisschen kühl ist: Ist das seine Rolle? Lammert: Wenn man die Diskussion so verfolgt, könnte
man fast den Eindruck haben, die deutsche Kulturszene wäre
perfekt organisiert, wenn nicht ständig der Bund dabei störte.
Die Wahrheit ist doch ein bisschen anders. Die Frage, die wir heute
Abend hier diskutieren, hat natürlich sowohl einen praktischen
Aspekt – zuletzt angesprochen von Herrn Goppel als auch von
Herrn Zimmermann – aber auch einen sehr grundsätzlichen.
Deswegen habe ich vorhin gleich Ihren Einleitungssatz moniert. Im
Grundgesetz findet sich der Satz, dass es eine Kulturhoheit der
Länder gäbe, nicht. Ich habe im Übrigen bis heute
unüberwindliche Schwierigkeiten mit dem Begriff „Kulturhoheit“
– ob mit oder ohne Länder. Ein Staat, der der Kultur
mit hoheitlicher Gebärde begegnet, ist sicher kein Kulturstaat.
Nach meinem Verständnis von Kulturstaat ist die Förderung
von Kunst und Kultur eine Gemeinschaftsaufgabe aller öffentlichen
Hände, es ist eine Aufgabe der Kommunen, eine Aufgabe der Länder
und eine Aufgabe des Bundes, was nicht bedeutet, jeder ist für
alles und damit niemand für irgendwas verantwortlich, sondern
alle müssen ihren Teil an dieser Aufgabe leisten. Dabei bin
ich sehr damit einverstanden, wenn Herr Goppel anregt, Verantwortung
lieber von unten nach oben aufzubauen, als von oben nach unten.
Das scheint mir wiederum sowohl unter grundsätzlichen wie unter
praktischen Gesichtspunkten vernünftig. Aber dass der Kulturstaat
Deutschland die gewünschte Vitalität dann am Überzeugendsten
entfalten könnte, wenn sich der Bund da heraushält, halte
ich auch aus den genannten Gründen für eine ziemlich optimistische
Vermutung. Goppel: Man hat nach dem Zweiten Weltkrieg sehr genau unterschieden:
Die zuvor aus Berlin gekommene Vereinheitlichung hat niemandem mehr
Freiraum gelassen und hat ausdrücklich dazu geführt, dass
wir große Schwierigkeiten bekommen haben. Es steht in der
Verfassung ausdrücklich, dass das, was nicht erwähnt ist,
Sache der Länder ist. Und Kultur und Bildung sind nicht erwähnt.
Worin die Bundesaufgaben bestehen, wird dagegen genannt. Kultur
hat mit Austausch, mit Diskussion zu tun. Hier kommt der Begriff
der „Toleranz“ ins Spiel. Ich muss anerkennen, dass
jemand anders denkt. Je weiter ich von daheim weggehe, desto weniger
kennt und erkennt man. Ich möchte nicht in Kiel dreinreden
und ich will auch nicht, dass die Kieler mir dreinreden –
wobei Kiel hier natürlich stellvertretend steht. Lammert: Sie ahnen gar nicht, wie gut mir die beiden Stichworte
„Widerstand“ und „Toleranz“ gefallen. Was
die Vielfalt der Aktivitäten der privat, der ehrenamtlich,
der staatlich organisierten Aktivitäten im Kunst- und Kulturbereich
angeht, sollten wir sie nicht nur tolerieren, sondern wir sollten
sie nach Kräften fördern. Wir sollten gegen jeden Widerstand
organisieren, der sich bemüht, diese Vielfalt einzuschränken.
Das gilt auch, wenn sich solche Versuchungen in der Föderalismus-Kommission
abspielen.
Geißler: Zurück zum Bildungsbereich. Ich nenne
ein paar Schlagwörter: Juniorprofessur, Zentralabitur, das
mögliche Bildungsgefälle zwischen den Bundesländern,
PISA-Studie und so weiter. Drängt sich da nicht gerade auf,
dass Bund und Länder kooperieren, Olaf Zimmermann? Zimmermann: Ich möchte das an einem ganz konkreten Beispiel
zeigen. Da brennt vor wenigen Wochen die Herzogin Anna Amalia-Bibliothek
in Weimar. Ein riesiger Schaden, ein Schaden, wie wir ihn nach dem
Zweiten Weltkrieg noch nicht gehabt haben. Die Kulturstaatsministerin
eilt am nächsten Tag nach Weimar mit vier Millionen Euro im
Gepäck, zur ersten Schadensbegrenzung. Bis heute, Herr Goppel,
hat sich noch kein Bundesland aufgemacht, um Thüringen in dieser
fatalen Situation, die wir in Weimar haben, Unterstützung zu
leisten. Da frage ich mich doch, wo ist denn diese Solidarität
der Bundesländer? Das heißt, Sie übernehmen gar
keine gesamtstaatliche Verantwortung für die Kultur, sondern
Sie übernehmen eine Verantwortung bis zu Ihrer Landesgrenze.
Aber dann bedeutet das auch, wenn die Verantwortung dort aufhört
und die eines anderen Landes beginnt, dass Sie auch etwas Gemeinsames
brauchen. Dann ist es gut, dass es eine Kulturstaatsministerin gibt,
die jetzt gesagt hat, sie unterstützt die Herzogin Anna Amalia-Bibliothek
etwas. Ich würde mir natürlich trotzdem wünschen,
dass auch die Länder untereinander gerade in Kulturfragen viel
mehr Solidarität üben würden. Da könnten Sie
jetzt wirklich auch beweisen, dass es Ihnen ernst ist mit der „Kulturhoheit“. Goppel: Dem Deutschen Kulturrat gefällt natürlich,
dass er in einer solchen Situation sagen kann: Der hat schon und
du hast noch nicht. Ich will Ihnen mal ganz nüchtern sagen,
wir zahlen in den Länderfinanzausgleich eine solche Menge von
Geld, dass es dann darauf ankommt, dass der Betroffene – in
diesem Fall Thüringen – mir sagt, ich brauche unbedingt
noch zusätzliche Hilfe. Wir sollten uns endlich angewöhnen,
uns gegenseitig auch darum zu bitten, uns zu helfen und nicht immer
selbstverständlich damit zu rechnen, dass jeder rennt. Wenn
die Weimarer Bibliothek so ein Problem ist, dann wird man miteinander
darüber reden.
Geißler: Wo es auf jeden Fall brennt, ist offensichtlich
die Bildungspolitik. Goppel: Ich bin auch sehr daran interessiert, dass wir das
diskutieren. Wenn Sie gerne möchten, dass die Länder,
die bei PISA im Mittel der deutschen Länder die besseren Ergebnisse
bringen, warten bis die anderen nachkommen – dann warten wir
zu lange. Es kann nicht die Aufgabe der Kulturpolitik und schon
gar nicht der Politik sein, die Guten aufzuhalten, bis die Schlechteren
nachkommen. Da wären wir alle miteinander nivelliert schlechter.
Das ist genau das Prinzip, das Frau Bulmahn verfolgt, wenn sie sagt,
sie will eine Einheitsschule. Lammert: Trotz des angekündigten Streitgesprächs
bin ich in dem Punkt völlig einer Meinung mit Herrn Goppel.
Ich kann überhaupt keinen Sinn darin sehen, dass wir die Dezentralität,
die wir in unserem Schulsystem, in unserem Bildungssystem und auch
in unserem Hochschulsystem haben, zugunsten einer Zentralisierung
aufgeben. Und diejenigen, die im Lichte in der Tat deprimierender
PISA-Ergebnisse nun eine Zentralisierung als vermeintliche Lösung
proklamieren, unterstellen naiv, dass die Bildungspolitik –
die sie dann in der Regel übrigens nicht beschreiben –,
die dann auf Bundesebene stattfände, diejenige wäre, die
zu besseren Ergebnissen führt. Meine Fantasie reicht aus, um
das genaue Gegenteil für möglich zu halten. Deswegen bin
ich nachdrücklich in der Bildung, wie übrigens im Bereich
der Kultur auch, ein Anhänger dezentraler Strukturen und vor
allem von Wettbewerbsmechanismen. Zimmermann: Keiner will eine Struktur, die auf der Bundesebene
auch noch die Schulpolitik regelt. Das sollen auch in Zukunft die
Länder machen. Aber, Herr Goppel, dann finde ich, muss es eine
wirkliche Vergleichbarkeit geben. Es ist eine Aufgabe eines solchen
gemeinsamen Gremiums wie der Kultusministerkonferenz, so etwas zumindest
in einem Mindestmaß zu organisieren. Da hilft es mir als Vater
überhaupt nichts, zu sagen: „Wenn ich nach Bremen ziehen
muss, weil ich dort Arbeit finden kann, haben meine Kinder eben
Pech gehabt, denn besser wäre es, ich würde nach Bayern
ziehen, da würden sie in der Schule besser ausgebildet.“
Goppel: Ein tolles Beispiel! Denn Bremen, die berühmte
Reformuniversität, ist vor 20 Jahren eine der schwachen Universitäten
in Deutschland gewesen. Heute steht sie unter den Universitäten
in Deutschland vorne. Wenn sie feststellen, dass Ihnen Ihr eigenes
System nicht ausreicht, dann müssen Sie Ihrem System Beine
machen und nicht andere zum Bremsen anhalten. Die Kollegen in der
Kultusministerkonferenz sind sämtlich bereit, mit uns in der
Diskussion über vieles zu reden, aber es geht dann immer am
Kern der Sache vorbei, sobald wir mal ganz konsequent sagen, wir
wollen eine zentrale Überprüfung. PISA hat Europa und
die Bundesregierung dazu gezwungen, wogegen sich die SPD-geführten
Länder 20 Jahre lang geweigert haben: eine bundesweit vergleichende
Untersuchung über die Qualität der Schulergebnisse.
Geißler: Nehmen wir mal die Berliner Opern- oder
Orchesterkultur. Da soll, darf, will, muss der Bund angeblich glänzen
und auch zahlen. Ein Beispiel dafür, dass Kulturpolitik zwischen
Bund und Ländern eigentlich zur simplen Etat-Diskussion verkommen
ist, Herr Goppel? Goppel: Dass in Berlin der Bund finanziell mithilft, ist
eine Selbstverständlichkeit. Wir tun es im Übrigen in
den Landeshauptstädten alle miteinander. Ich finde das den
größten Vorzug des Föderalismus und der 16 Länder,
dass wir 16-fach Wettbewerb haben. So viele Theater gibt es in keinem
anderen Land. Je zentraler, desto weniger Theater. Je differenzierter,
desto vielfältiger ist eine Theaterlandschaft. Und hätten
wir die Neuen Länder nicht, wäre Deutschland ein Stück
ärmer an Fülle und Vielfalt der Theater. Im Moment sind
wir leider dabei, dass diese Vielfalt eher reduziert wird. Ich will
ausdrücklich sagen, ich habe in meinem Haushalt für 2004
mit dem Finanzminister ausgehandelt, dass wir in vielem Geld wegnehmen,
weil es eben hinten und vorne nicht reicht, aber bei den nichtstaatlichen
Theatern in der Fläche des Landes nichts, damit niemand Vorschub
dafür bekommt, sein Theater zu schließen. Lammert: Berlin ist als Hauptstadt unter mancherlei Gesichtspunkten
ein Sonderfall. Und dass sich der Bund jenseits der Generalfrage,
ob er sich überhaupt um Kultur kümmern darf, um die Kultur
in der Hauptstadt offensichtlich kümmern muss, scheint ja nicht
streitig zu sein. Ich erlaube mir nur den Hinweis, wenn der Bund
überhaupt keine Zuständigkeit für Kultur hätte,
könnte er offenkundig auch keine in der Hauptstadt haben. Der
Maßstab für Kulturförderung durch den Bund kann
nicht sein, ob eine Einrichtung ihren Sitz in der Hauptstadt hat,
sondern ob es eine Einrichtung von nationaler beziehungsweise internationaler
Bedeutung ist. Die ganze Wahrheit ist, dass der Bund in den vergangenen
Jahren einige Einrichtungen in Berlin übernommen hat, die ich
nicht missen will, bei denen ich mich aber ausgesprochen schwer
tue, die nationale oder internationale Bedeutung zu erkennen. Unter
diesem Gesichtspunkt wünsche ich mir eine ernsthaftere, eine
seriösere Definition dessen, was Kulturförderung im Verantwortungsbereich
des Bundes ist. Goppel: Was hat der Bund sowieso auf seiner Aufgabenliste?
Da steht die auswärtige Politik, auch in der Kulturpolitik.
Da sind die Goethe-Institute, die der Bund gleichzeitig, während
er sich in unsere Länderkompetenzen einmischt, dauernd im Haushalt
zurückfährt. Wer seine eigenen Hausaufgaben nicht macht,
soll sich bei anderen nicht einmischen. Zimmermann: Bei einer Sache sind wir uns vollkommen einig,
Herr Goppel. Es ist eigentlich unglaublich, dass der Bund in der
auswärtigen Kulturpolitik durch enormes Zurückfahren des
Etats so deutlich seine Verantwortung schleifen lässt. Aber
man muss natürlich auch sehen, das eine ist das Auswärtige
Amt, das ist Joschka Fischer, das andere ist die Kulturstaatsministerin.
Da gibt es Unterschiede. Das andere Problemfeld ist Berlin. Sehr
vieles, was im Moment in Berlin gefördert wird, wird auch deshalb
gefördert, weil die Kulturförderstrukturen auf der Bundesebene
– denkt man etwa an die Kulturstiftung des Bundes –
in vielen Bereichen nicht fördern dürfen. Da haben die
Länder durchgesetzt, dass es keine allgemeine Bundeskulturförderung
in Deutschland geben darf. Sondern da muss sich die Kulturstiftung
des Bundes entweder auf internationale Projekte oder auf Berlin
konzentrieren.
Vielleicht wenn Sie in der Frage liberaler wären, wo denn die
Kulturstiftung des Bundes das Geld ausgeben dürfte, würde
vielleicht gar nicht so viel auf Berlin konzentriert, sondern würde
vielleicht auch viel mehr sinnvoll in Bayern ankommen.
Geißler: Wie geht’s dem Kind Kultur zwischen
diesen liebenden Müttern? – Wir haben viel über
Politik gesprochen, wir haben Standpunkte kennen gelernt, das ist
ein Gespräch, das wir sicher noch lange mit großem Gewinn
fortsetzen könnten.