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nmz-archiv
nmz 2004/11 | Seite 4
53. Jahrgang | November
Kulturpolitik
Opernchorsänger im Flow
Von der 1. Bundesversammlung der VdO in Halle
Zu ihrem 45. Geburtstag leistete sich die Vereinigung deutscher
Opernchöre und Bühnentänzer (VdO) zum ersten Mal
eine Bundesversammlung. Vom 10. bis 12. Oktober beschäftigten
sich Chorsänger in Halle an der Saale mit sich selbst: den
Problemen ihres Arbeitsalltags. Das ist schon deshalb bemerkenswert,
weil „der Chor“ – schon im Namen zum Singular
verschmolzener Plural von Individuen – in seinem eigentlichen
Metier eher den Hintergrund für die weltbewegenden Haupt- und
Staatsaktionen bildet.
Gruppenarbeit nach der Flow-
Methode. Foto: Andreas Kolb
An dieser Schnittstelle zwischen Menge und Individuum setzte die
ungewöhnliche Methodik des Kongresses an. Die Zielstellung
bestand nicht in der Vermittlung brandneuer Erkenntnisse Einzelner
an einen Kreis von Interessierten, sondern im Austausch eher unspektakulärer
Erfahrungen. Über sein Metier wusste jeder Teilnehmer bereits
vor dem Kongress hinreichend Bescheid. Es kam darauf an, dieses
Wissen zu aktivieren und produktiv zu machen. Gute Gewohnheiten,
Einrichtungen, Methoden sollten mitgeteilt werden und zu Überlegungen
führen, was – anderenorts bewährt – auch im
eigenen Theater zu Verbesserungen führen könnte. Die Trainer/Entwickler/Berater
Claus Harten und Eberhard Breuninger waren engagiert worden, diesen
Erfahrungsaustausch zu organisieren. Am Ende des Kongresses hatten
sie dieses und einen wichtigen Punkt mehr geleistet: ein Crash-Kurs
zur Entwicklung des Selbstbewusstseins. Zwei Dutzend Tafeln mit
formulierten oder noch zu formulierenden Thesen, Problemen, Fragen
standen am Anfang. Jeder war aufgefordert, kurze Kommentare, Thesen,
Fragen, Verbesserungsvorschläge per Klebezettel an die jeweilige
Tafel zu heften. Sechs Schwerpunkte kristallisierten sich heraus:
Die Wirksamkeit der VdO in den verschiedenen Opernhäusern,
die Ausbildung der Chorsänger, Lobby- und Öffentlichkeitsarbeitarbeit
für den Opernchor, die Verbesserung der Stellung des Chores
im jeweiligen Theater selbst (diese Thematik fand die meisten Interessenten)
Tarif-Fragen, Kulturpolitische Einbindung und finanzielle Ausstattung
vor allem kleinerer Theater in ihren Regionen. Zu jedem dieser Themen
hatten sich Arbeitsgruppen zusammengefunden, die die vermischten
Gedanken geordnet und grafisch präsentierfähig gemacht
hatten. In kurzen Referaten trugen die Sprecher aller Gruppen schließlich
ihre Ergebnisse vor.
Einige Anregungen aus der Fülle: Den deutlichsten Handlungsbedarf
sahen die Versammelten landesweit in der Ausbildung der Chorsänger.
Die verbürokratisierten Hochschulen würden viel zu wenig
Hauptfachunterricht erteilen, viel zu wenig Bühnenpraxis vermitteln,
auch zu wenig dafür tun, die Motivation für den Chorgesang
zu vermitteln. Eine Vertreterin der Staatsoper Dresden stellte zur
allgemeinen Begeisterung die Chorsänger-Ausbildung im hauseigenen
Opernchor-Studio vor. Als wesentlich für die Chor-Situation
in den Theatern kristallisierte sich ein Mitspracherecht bei der
Premieren- und Repertoire-Spielplangestaltung heraus. Hauptschwerpunkt
für die VdO sollte ein höherer Organisationsgrad der Chorsänger
sein, außerdem könnte man Internet und E-Mail zur Informationsverbreitung
intensiver nutzen. Die Gedanken zum schwierigen Kapitel der Tarif-Fragen
liefen darauf hinaus, den bestehenden NV Bühne möglichst
unangetastet zu lassen, um Verschlechterungen auszuschließen.
Zwei Kollegen des Nordharzer Städtebund-Theaters Halberstadt/Ouedlinburg
betonten in ihren Ausführungen denn auch, wie schwer es selbst
gutwillige Kommunalpolitiker haben, die finanziellen Zuschüsse
für ihre Theater zu sichern. Viele Ideen gab es, die Außenwirkung
der Chöre gemäß dem Kongressmotto „Schaut
her, wir sind’s!“ zu verstärken. Kontakte zu Journalisten,
Chorproben mit Publikum und/oder Pressevertretern, Chorkonzert-Reihen
im Spielplan waren nur einige der erörterten Möglichkeiten.
Dass kein chorinteressierter und „chorfähiger“
Regisseur am Kongress teilnahm, wurde als Mangel empfunden. Die
Umsetzung aller Anregungen, die sich in Halle konzentrierten und
konkretisierten, in den jeweiligen Opernhäusern, das wird nun
die langwierigere und schwierigere Aufgabe werden.