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nmz 2004/11 | Seite 1-2
53. Jahrgang | November
Leitartikel
Un-Souverän?
Der Kraftaustausch des Energie-Trios Kultur – Wirtschaft
– Politik zeichnete sich in unserer Gesellschaft fast traditionell
durch hohe temporäre Spannungs-Schwankungen aus. Mal sprühten
die Funken, mal flogen die Fetzen. Was die soziale Hackordnung betrifft,
belegen die Musen nun immer stabiler den dritten Platz. In der zunehmend
elektronischen Flipperkiste unserer durch Spot- und Highlights ausgeleuchteten
Sozietät kommt ihnen die Rolle des Spielballes zu. Verbal geschätzt,
real gerupft wird die Musen-Haut zwangsläufig dünn. Hin
und hergeschussert zwischen Bund und Ländern, zwischen Mäzenen
und Sponsoren, zwischen Selbstbewusstsein und Minderwertigkeitskomplex
stellt sich ein gewisser Identitätsverlust ein.
Zwar versuchen unter dem Siegel der Vernunft seit Jahren kluge
Köpfe aller Sparten im Rahmen zahlloser Symposien Brücken
über die Klüfte zu schlagen. Nachdem sich die zivilgesellschaftliche
Balance realistisch betrachtet zur überwiegend materiellen
Bewertung der Gesamtsituation verschoben hat, wirkt solcher „Austausch“
wie das alte Wipp-Spiel auf dem Kinderspielplatz: Zwei Fette lassen
das scheinbar Leichte hoch in der Luft „verhungern“.
Genau in dieses unausgewuchtete Kraftfeld ist – nach Überwindung
seiner Insolvenz – der Deutsche Musikrat geraten. Was als
heilsames Rezept gedacht war – die Aufteilung in eine wirtschaftlich
solide „handlebare“ Projekt-GmbH und einen konzeptionell
und kulturpolitisch wirksamen Verein – das erweist sich jetzt
als schwerverdauliches Menu.
Mit Norbert Pietrangeli übernahm ein offensichtlich hochkompetenter,
engagierter Geschäftsführer die kaufmännische Leitung
der Projekt-GmbH. Ihm soll nun eine künstlerische Geschäftsführung
zur Seite gestellt werden, eine ausgewiesen eigenständige Persönlichkeit
des Musiklebens. Klingt vernünftig, aber: Beide Geschäftsführer
sind nur dem Aufsichtsrat berichtspflichtig, der zu sieben Zwölfteln
numerisch vom Musikratspräsidium, also einem Organ des Vereins,
majorisiert werden könnte. Fakt ist, dass dieses Gremium aus
vielen Gründen kaum zum Unisono-Gesang taugt – und die
Freiheit von GmbH-Geschäftsführern in Anbetracht ihrer
persönlichen materiellen Verantwortung zu Recht sehr weit reicht.
Und Fakt ist auch, dass man den gewichtigen Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden
– sei es aus Dank für die Rettung des Musikrates, sei
es aus vorauseilendem Gehorsam – dem Vertreter eines geldgebenden
Ministeriums angedient hat. Der nahm dankbar an und generierte so
einen mutmaßlichen Erbhof, dessen von Musikratspräsident
Martin Maria Krüger fürs Jahresende angekündigte
Abschaffung verlustreichen Kampf bedeuten könnte.
Schwerer wiegend allerdings die Frage: Wo bleiben die zivilgesellschaftlichen
Kräfte in diesem Einfluss-Feld mit ihrer fachlichen Kompetenz,
mit ihrem unabhängigen innovativen Potenzial? Können im
Rahmen der vorhandenen Konstruktion Ideen, Vorschläge, Pläne
des eigentlichen Musikrats-Souveräns, der in der Generalversammlung
vertretenen Verbände, wirklich wirksam und kraftvoll in die
Arbeit der teils dringend reformbedürftigen Projekte innerhalb
der GmbH transferiert werden? Einem Versuch der Landesmusikräte,
solch ein Wegerecht satzungstechnisch via Aufsichtsrat und Geschäftsordnung
festzuschreiben, mag man nicht allzuviel Kraft zubilligen. Sehr
bedenklich stimmt, dass Präsident Krüger einen Antrag
aus der Generalversammlung unter Rücktrittsdrohung ins Startloch
zurücktrieb, der die pädagogisch-künstlerische Zuständigkeit
klar dem Souverän zugeordnet hätte. Warum liegt ihm so
viel an der Abkoppelung? Antworten – vielleicht – bei
der notwendigen außerordentlichen Generalversammlung am 21.
Januar kommenden Jahres in Mannheim.