[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2004/11 | Seite 8
53. Jahrgang | November
Magazin
Ruhe erzwingt, was sonst nicht gelingt
R.E.M. über das neue Album, das Wachrütteln der demokratischen
Basis und Außenseiter
Schön ist es geworden, das neue R.E.M.-Album. Schön ruhig.
Schön wäre es, könnten wir uns in Deutschland über
derart engagierte Musiker wie Michael Stipe (Gesang), Peter Buck
(Gitarre) und Mike Mills (Bass) freuen, die politische Ansichten
deutlich und nicht nur plakativ vertreten. Bei R.E.M. mündet
das ungeachtet einer bevorstehenden Veröffentlichung des neuen
Albums „Around the Sun“ in der glatten Forderung: „Wählt
George W. Bush am 2. November ab“. Dieses aktive Politik-Engagement
klingt bei R.E.M., immerhin die Einheimser des lukrativsten Plattenvertrages
aller Zeiten (70 Millionen Dollar für fünf Alben), um
Welten gewichtiger als die zarten Versuche deutscher Kollegen in
Kamera-Nähe.
nmz: Mike, jedes neue R.E.M.- Album scheint das Gegenteil
von dem zu sein, was die Kritiker erwarten. Mike Mills: (schmunzelt) Ja, da könntest du recht haben.
Irgendwie laufen die Ansichten da konträr. Aber nachdem wir
selbst nie wissen, was wir vorhaben und wohin uns eine Platte führen
soll, ist es müßig darüber zu diskutieren, wer gerne
was hätte.
nmz: Im Vorfeld der Veröffentlichung gab es Gerüchte,
das Album wäre komplett von der politischen Situation in Amerika
beeinflusst. Mike Mills: Ich würde sagen, dass drei oder vier politische
Songs auf der Platte sind, aber von der gesamten Platte zu sprechen
wäre übertrieben.
nmz: Dennoch lässt sich eine nachdenkliche Stimmung
vernehmen. Mike Mills: Diese Umschreibung trifft es ziemlich exakt.
Wenn man sich mal die Situation in Amerika und in der gesamten Welt
ansieht, hielten wir es für angebracht, diesen nachdenklichen
Unterton hinzubringen.
Dieser Unterton kommt mitunter symbolisch zum Vorschein. Ich denke
an den Refrain von „The Outsiders“. Am Ende setzen die
Drums aus um zu warten bis Michael (Stipe, Anm. d. Red.), der „The
Day that the music stopped“ singt, den Refrain zu Ende bringt.
Exakt von dieser Stelle geht unheimlich viel Kraft aus. Ich bin
mir nicht sicher, wohin Michael bei diesem Refrain wollte. Ich möchte
ihn da eher nicht fragen, was dahinter steckt. Lieber sähe
ich diese Stelle weiterhin als mysteriösen Moment dieser Platte.
nmz: Doch Bedrohliches liegt schon in „The Outsiders“. Mike Mills: Ja und Nein. Michaels Songs sind letztendlich
immer optimistisch und wenden sich dem Guten zu. Selbst wenn sich
„The Outsiders“ im Song erst „sammeln und finden“
müssen, ist das gleichbedeutend mit der Aussage, dass eine
neue Zeit anbrechen wird. Unter den „Outsidern“ verstehe
ich jene Menschen, die die Welt auf eine positive Art ändern
wollen.
nmz: Bis auf den Song „Wanderlust“ sind die
Songs ruhig gehalten. Keine Balladen, aber mittleres Tempo. Mike Mills: Stimmt. Wir hatten zwar mehrere schnelle Nummern,
die uns aber nicht ins Konzept passten und erst mal in der Schublade
landeten. Vergessen sind sie deswegen aber noch nicht.
nmz: Du hast erwähnt, dass ihr dem Album Freiraum schenken
wolltet. Wenig Bombast, puristische Ausrichtung, hier ein Akkord,
da ein Beat, etwas Bass und übersichtlicher Gesang. Mike Mills: Ja, die Platte brauchte Luft zum Atmen. Wir fühlten
uns danach, die Songs nicht zu sehr zu füllen. Es gibt Platten,
die diese Vorgehensweise benötigen und sogar rechtfertigen
nmz: Habt ihr vorher darüber gesprochen. Mike Mills: In der Tat war das eine der wenigen Sachen, über
die wir im Vorfeld diskutierten. Eigentlich legen wir uns keinerlei
Beschränkungen auf, bevor wir in den Aufnahmeprozess eintreten.
Doch bei „Around the Sun“ war uns das größte
Anliegen, die Soundanhäufungen zu minimieren und den Song in
den Mittelpunkt zu rücken.
nmz: Wirkung ist ein gutes Stichwort. Ihr setzt deutliche
politische Signale und spielt auf der „Vote For Change“-
Tour um Bushs Abwahl zu forcieren. Mike Mills: Zusammen mit Pearl Jam, Bruce Springsteen, Dave
Matthews und den Dixie Chicks.
Wir beschlossen unsere Meinung den Leuten vor den Wahlen mitzuteilen.
Für uns war es wichtig, bei dieser Tour engagiert zu sein.
Jede Band spielte an einem Abend in einem Bundesstaat aber in fünf
verschiedenen Städten. So konnten wir flächendeckend in
einer Nacht für unser Anliegen werben.
nmz: Gibt es bereits Empörungen und Zuspruch? Mike Mills: Wir bekamen jede Menge Presse im Rahmen der Tour.
Die Reaktionen waren positiv als auch negativ. Aber ich denke doch,
dass wir insbesondere die demokratische Basis wach rütteln
und sie überzeugen konnten unbedingt zu wählen.