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Ausgabe 2004/11
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nmz 2004/11 | Seite 3
53. Jahrgang | November
Magazin

Beschwingter Gang zur Wahl-Urne

Amerikanische Pop- und Rockgruppen engagieren sich für Kerry

Dass bei Wahlkämpfen und besonders denen, in denen es um das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten geht, Musik eine Rolle spielt, ist nichts Neues. Schon George Washington zog zu den Klängen von „God Save George Washington“ in den Wahlkampf. Mit dem Aufstieg der Popular-Musik zum massenwirksamen Entertainment versuchten die amerikanischen Präsidentschaftskandidaten, sich mit Ohrwürmern und swingenden Polit-Slogans in den Gehörwindungen potentieller Wähler einzunisten. Franklin D. Roosevelt versprach vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre „Happy Days Are Here Again“. Für Dwight D. Eisenhower ließen sich die reimenden Wahlkampfstrategen vom Spitznamen des Kandidaten inspirieren: Das zumindest eingängige „I Like Ike“ war die Folge. John F. Kennedy – als US-Präsident und Politiker selbst so etwas wie ein Pop-Star – wurde 1960 von Frank Sinatra mit „High Hopes“ beworben.

The Boss, Bruce Springsteen rockt für ein neues Amerika. Foto: Archiv

The Boss, Bruce Springsteen rockt für ein neues Amerika. Foto: Archiv

Mit dem Aufkommen von Rock und Pop wurden die Karten neu gemischt. Popularmusik war plötzlich so jugendlich und rebellisch wie nie zuvor. Sie war selbst – auf andere, spannendere Art als die Politik – politisch oder erhob zumindest den Anspruch, es zu sein. Insofern war Pop-Musik in ihren Anfängen eher ein Konkurrent als ein geeignetes Wahlkampfinstrument der Politik. Von Dauer konnte dies jedoch nicht sein, schon deshalb, weil der zunehmend domestizierte Rock ein attraktives Mittel darstellte, um an junge, politikferne Wähler heranzukommen. Erst recht seit 1972, dem Jahr, in dem in den USA das Wahlalter auf 18 Jahre gesenkt wurde.

Der Besuch des King of Rock ‘n‘ Roll bei Präsident Nixon oder ein mit Bob Dylan-Zitaten um sich werfender Jimmy Carter sind Wegmarken dieser Annäherung, die stets auch ihre politischen Grenzen hatte: Als das Team von Ronald Reagan den Republikaner 1984 gerne zu den vermeintlich patriotischen Klängen von „Born In The USA“ in den Wahlkampf schicken wollte, blitzte Reagan bei Bruce Springsteen ab.

28 Prozent aller 18- bis 29-jährigen Amerikaner bezeichnen sich als Hip-Hop-Fans. Sie würden nach einer Umfrage von CNN und USA-Today vom vergangenen Jahr mehrheitlich demokratisch wählen. 27 Prozent ihrer Alterskollegen sahen sich als Country-Fans, von denen die Mehrheit republikanisch wählt. Die meisten Wechselwähler waren bei den Fans der Rockmusik – 40 Prozent aller Amerikaner – zu finden.

Währenddessen ging es mit der Wahlbeteiligung junger Amerikaner stetig bergab. Um dem gegen zusteuern, aber auch um eigene Interessen – zum Beispiel die Abwehr von Zensur im Gewande des Jugendschutzes – besser vertreten zu können, gründeten Repräsentanten der Musikindustrie 1990 „Rock The Vote“: Ein Bündel von Motivations-Maßnahmen, um junge Wähler mittels MTV und Pop dahin zu bringen, sich für die Präsidentenwahlen genauso stark zu interessieren wie für die nächste Single ihrer Lieblingsband.

Die Wahlen von 1992 schienen „Rock the Vote“ zu bestätigen: 42 Prozent der 18- bis 24-jährigen Amerikaner gingen wählen – 20 Prozent mehr als bei den vorherigen Wahlen. Und mit Bill Cinton wurde ein Mann Präsident, der es im Wahlkampf verstanden hatte, die Nähe des Pop und des Entertainment zu suchen und sich dabei immer wieder selbst ins richtige Rock- und Pop-Licht zu rücken: Clinton trötete juvenil ins Saxophon, beantwortete im MTV-Interview auch Fragen nach seinen Unterhosen und eignete sich „Don’t Stop (Thinking About Tomorrow)“ so erfolgreich als Wahlkampfsong an, dass viele den Titel noch heute eher mit Clinton als „Fleetwood Mac“ verbinden. Weniger Bestand hatte die Wahlbeteiligung der Jung-Wähler: Trotz „Rock the Vote“ sank sie 1996 und 2000 auf rund 30 Prozent ab.

In diesem Jahr nun hat Amerika eine so noch nie da gewesene Wahlmobilmachung durch die Rock- und Popmaschinerie erlebt.

Dabei gab es erst einmal erwartbare Konstellationen: Das Rock- und Pop-Establishment erklärte sich in seiner großen Mehrheit für die Demokraten. Was von John Kerry erwidert wurde: Als ehemaliger College-Rocker und Freund von Stars wie Bruce Springsteen, Peter Yarrow („Peter, Paul and Mary“) und Stephen Stills gab er sich pop- und rock-affin. An Hip Hop zeigte er sich zumindest freundlich interessiert, eine deutliche Neuerung gegenüber den Vorgängern Al Gore und Joe Lieberman, die 2000 über Rap und Hip Hop herzogen, um sich als moralisch besonders gefestigte Kandidaten präsentieren zu können. George W. Bush, der gerne ZZ Top, Van Morrison und Lee Greenwood, den Lieblings-Country-Sänger aller Republikaner hört, hielt sich dagegen im Großen und Ganzen an das, was er vor vier Jahren sagte, als er auf Madonna angesprochen wurde: „I don’t follow pop music.“

Während der radiotagliche, „ehrliche“ Mainstream-Rock den Sound der demokratischen Kampagne bestimmte – mit Titeln wie „Small Town“ von John Cougar Mellencamp, einem der Wahlkampfsongs des designierten John Kerry-Vize John Edwards –, konnten die Republikaner gar nicht anders, als bei ihren Veranstaltungen vorwiegend patriotische Country- und christliche Popular-Musiker zu präsentieren. Zu klein und inaktiv ist die Gruppe erklärt republikanischer Rock- und Popstars, darunter die Südstaaten-Rocker von Lynyrd Skynard, Texaner wie der Blues-Gitarrist Jimmie Vaughan oder der stramm rechte Hard-Rocker Ted Nugent, der mit dem Schießeisen ebenso gerne rumfuchtelt wie mit der E-Gitarre.

In Form und Größe neu waren 2004 Initiativen wie punkvoter.com, die mit Konzerten und „Rock against Bush“-CDs alles daran setzten, die Wiederwahl des Republikaners zu verhindern. Vor allem die von Springsteen – dem Vorzeige-Rocker schlechthin – angeführte „Vote For Change“-Kampagne sprengte den bisherigen Rahmen: Größen wie die Dixie Chicks, R.E.M. oder Pearl Jam rockten im Oktober mit 34 Konzerten für Bushs Abwahl unterstützten dabei den Kerry-Wahlkampf finanziell. Unter den Rockfans gibt es traditionell den größten Anteil an Wechselwählern.

Erstmals organisiert in den Wahlkampf eingeklinkt hatte sich dieses Jahr der Hip Hop – mit dem erklärten Ziel die Wahlbeteiligung hochzurappen. Und dem unerklärten Ziel, Bush aus dem Amt zu hieven. Vor vier Jahren, als für die Demokraten Al Gore und Joe Lieberman antraten, fanden es die meisten Hip Hopper noch cool, Wahlen mit einem lässigen Schulterzucken abzutun. Typisch etwa die Antwort eines „Wu-Tang Clan“-Rappers: „Gore und Lieber-who? Ach, Al Gore? Geht mich nichts an. Unser neues Album kommt in der Wahlwoche raus. Wenn Ihr also jemand wählen wollt, gebt Eure Stimme dem Wu-Tang Clan.“
Dieses Jahr warben millionenschwere Rap-Promis wie Jay-Z oder Eminem, die sich sonst für Turnschuhe, Jeeps oder Kognac-Marken stark machen, dafür wählen zu gehen. Dass viele selbst noch nie gewählt hatten, trug bei vielen Fans, auf die dies ebenfalls zutrifft, eher zur Glaubwürdigkeit bei, als dass es der Werbebotschaft abträglich gewesen wäre.

Hinter der neuen Hip-Hop-Wahlfreudigkeit verbirgt sich das 2001 gegründete „Hip Hop Summit Action Network“ (HSAN), das den Stempel seines Hauptinitiators Russell Simmons trägt. Der Rap-Mogul war als Gründer des Labels Def Jam die treibende Kraft hinter den Karrieren von Run DMC, den Beastie Boys oder Public Enemy, und machte den Hip Hop maßgeblich zu dem, was er heute darstellt: Eine Jugendkultur, die die Grenzen schwarzer Ghettos hinter sich gelassen hat, pro Jahr zehn Millarden Dollar umsetzt, 28 Prozent aller 18- bis 28-jährigen Amerikaner erreicht, und in Sachen Marketing zum ultimativen Verkaufstool für alles geworden ist, was gerne hip, jung und authentisch rüberkommen möchte.

„Täglich bringen wir Kids dazu, in einen Laden zu gehen und eine CD zu kaufen. Lasst uns den Konsumenten-Dollar in politische Kraft verwandeln. Wer eine Platte kaufen kann, der kann auch jemanden in ein Amt wählen und ihn für seine Politik verantwortlich machen“, brachte Kevin Liles, Präsident des Hip Hop-Labels Def Jam, das Ziel des HSAN auf den Punkt. Mit den gleichen Mitteln, mit denen der Hip Hop Jeeps oder Energiedrinks erfolgreich vermarktet, sollte auch politisches Bewusstsein verkauft werden. Ganz nach dem Vorbild von Russell Simmons, der seine Turnschuh-Marke mit der Forderung nach Reparationszahlungen für die Spätfolgen der Sklaverei beworben hat.

Auch die Kampagne des HSAN synchronisierte Geschäft mit Politik und Politik mit Entertainment: Neuwähler wurden mit Entertainment geködert. Fans kamen kostenlos in Rap-Events, wenn sie sich als Wähler hatten registrieren lassen. Zwei Millionen Erstwähler hatte Simmons bis zum 2. November versprochen.

Welchen Effekt all die Initiativen auf den Wahlausgang tatsächlich gehabt haben, ist schwer abzuschätzen und bedarf eingehender Analysen. Skeptiker verwiesen im Vorfeld auf die dürftige Bilanz von „Rock the Vote“ seit 1992, bei der allenfalls ein weiteres Absinken der Wahlbeteiligung junger Wähler verhindert werden konnte. Bei einer Umfrage des Branchenblatts Billboard, gaben drei Viertel aller Befragten an, sich nicht von politischen Aussagen bekannter Musiker und anderer Berühmtheiten leiten zu lassen. Acht Prozent sagten, dass sie sich von solchen Statements umstimmen lassen könnten, weitere 17 Prozent, dass ihre politische Meinung nur manchmal von Künstlern und Entertainern beeinflusst werde. Das ist wenig und doch viel – jedenfalls für eine Wahl, bei der eine hauchdünne Mehrheit entscheidend sein könnte.

Claus Lochbihler

 

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