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nmz-archiv
nmz 2004/11 | Seite 15
53. Jahrgang | November
Musikwirtschaft
Keine Antwort, nirgends
Die Popkomm 2004 präsentiert sich im Schlummerschlaf
Die Popkomm 2004 lässt sich mit einem völlig missratenem
Jazzfestival vergleichen. Jede Menge Mainstream-Information ohne
jeden geistigen Nährwert, dazu diverse substanzlose Hypes und
einige wenige Avantgarde-Beiträge für den Kreis der Spezialisten.
Bedeutende aktuelle Fragen wurden im offiziellen Forum nicht gestellt
oder nicht beantwortet, die Stimmung blieb sichtlich gedämpft.
Nur Veranstalter Dieter Gorny trug ein breites Grinsen zur Schau,
als er mit den Besucherzahlen prahlte. Lächerlich! Ist Musik
ein schwarz gekleideter Mann, der mit der Bierflasche des letzten
verbliebenen Sponsors und einer Umhängetasche von O² vergeblich
nach Ansprechpartnern sucht? Man möchte es fast glauben, man
muss es aber nicht. Denn hinter den Kulissen tut sich endlich einiges.
In der Stadt jedenfalls liefen die heißesten Diskurse, wie
das Musikbusiness auf jeder Ebene neu zu organisieren sei.
Im Rahmen der Musikmesse liefen Diskurse über die Branchenzukunft
hauptsächlich auf technischer Ebene und ohne Beteiligung des
gemeinen Volkes ab. Im Konferenzraum Oslo erörterten beispielsweise
sechs (schwarzgekleidete, na klar) Männer (logisch) die Umsatzpotentiale
von Klingeltönen in unterschiedlichen Formaten für unterschiedliche
Endgerätetypen und deren Auswirkungen auf die Bilanzen der
Musikrechtverwerter. Normale Messebesucher durften diesen Panels
nicht beiwohnen. Kurioses Ergebnis: Der Raum mit Platz für
mehrere hundert Zuhörer füllte sich mit zwei Duzend Freunden
und Bekannten der CEO’s, die bei altbekannten Botschaften
wie „Ich glaube nicht an die Zukunft des Handys, die Zukunft
heißt Mobile Device“ friedlich einschlummerten.
Kann es wirklich sein, dass eine Pop-Messe in Duzenden von Panels
das Niveau eines Uni-Tutoriums unterschreitet? Es kann! In vielen
Panels wurden keine Publikumsfragen zugelassen („keine Zeit“)
oder keine gestellt, wie zum Beispiel bei der Diskussion „Music
meets Fashion“. Zu diesem Forum mittags um 12 Uhr mitten auf
dem Popkomm-Gelände erschien nicht ein einziger Musikmanager.
Gleiches Bild beim Forum „Value Added Touring“: Mehrere
im Tournee-Business erfolgreiche schwarzgekleidete Altachtundsechziger
regen sich lautstark über die Kombination von Pink Floyd und
Volkswagen auf, verlieren aber kein Wort über zeitgemäße
Möglichkeiten für Bands und Manager, um Geld für
Tourneen zu beschaffen.
Der Oberhype auf der Popkomm hieß natürlich Quote, der
diesbezügliche Höhepunkt war ein Auftritt der Unionsvorsitzenden
Angela Merkel. Ist das nicht die Partei, die mit dem Begriff „Überfremdung“
einmal das Unwort des Jahres formulierte? Jetzt also die deutsche
Quote im Radio, die Marktbefürworter beschwören plötzlich
den staatlichen Eingriff. Immerhin beweist Frau Merkels Wahlkampfmanager
den richtigen Riecher, als er den vielen jobsuchenden Musikmanagern
das einzige Büffet der Messe spendiert.
Da standen sie nun, die Popkomm-People, mit Schweinshaxe und Sauerkraut
in der Hand: Lauter Menschen die etwas verkaufen wollen und keiner
der es ihnen abnimmt.
Auch der ehemalige Deutschlandchef von Universal, Tim Renner,
beschäftigt sich medienwirksam mit heimischen Musikprodukten,
allerdings wesentlich fachmännischer. Die persönliche
Niederlage, die sein Abgang bei Universal darstellt, wird von Renner
offensiv vermarktet und zur Promotion seiner neuen alten Marke Motor
Music eingesetzt. Das Buch „Kinder der Tod ist gar nicht so
schlimm“ hat der Verlag (Campus) rot (nicht schwarz!) und
mit einem Stich Magenta (die achte Farbe des Spektrums besitzt die
höchsten und schnellsten Schwingungen) eingefärbt. Er
spricht über Musikmanagement als Herausforderung und die darin
enthaltenen Thesen kursierten als Gegenreaktion zur Popkomm lebendig
in der Stadt. Das halbleere „Labelcamp“ auf der Popkomm
konnte diesbezüglich nicht mithalten. Der absolute Großteil
der deutschen Labelszene verzichtete von vorne rein auf eine eigene
Popkomm-Präsenz.
So hatte der Pflichtbesuch der Popkomm-Nacht von Jazzpartners
und Jazzthing im Quasimodo doch noch sein Gutes. Zwar waren die
Bands für Berliner Verhältnisse allzu bekannt und füllten
den Club nur zur Hälfte, dafür entwickelte sich jedoch
eine ganz außergewöhnliche Stimmung. Auslöser für
die Euphorie war das Duett von Joachim und Rolf Kühn, auch
nicht gerade ein zukunftsorientiertes Projekt, wenn man Alter und
Spielweise betrachtet. Aber: Das Zusammenspiel war so menschlich
und beinhaltet eine solch wohltuende Balance zwischen Geben und
Nehmen, dass für einen kurzen Moment die ursprüngliche
Bedeutung von Musik wieder präsent wurde. Die Energie und die
Symbiose zwischen Produzenten und Fans war regelrecht greifbar.
Und das, obwohl von Männern in schwarzen Anzügen vorgetragen!