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nmz-archiv
nmz 2004/11 | Seite 12
53. Jahrgang | November
Nachschlag
Popstars
Es liegt da wie ein letzter Akt. Grell, technoid und laut: Popstars
backstage – das offizielle Buch zur emotionalsten Real Life
Show”. Nicht, dass uns „Popstars“ oder der Dauerwichtigmacher
Detlev D! Soost noch Angst einjagen würde, denn „Popstars“
gehört mittlerweile zur TV-Routine wie Beckmanns berüchtigter
Talk-Terror. Auch, dass das Buch einen Marketingeffekt erfüllt
dürfte auf der Hand liegen und kaum beängstigen. Fürchten
muss man dafür die Oberflächlichkeit, Verharmlosung und
Verniedlichung wie „POPSTARS – das Buch” zwar
nicht schwerpunktmäßig aber dennoch unüberlesbar
Zusammenhänge in der Phonoindustrie schildert, Binsenweisheiten
als Businessregeln verkauft und Realitäten verdunkelt werden.
Eigentlich ist es köstlich entlarvend wie „Popstars
– das Buch” mit einem Zitat vom „Senior Direktor”
der Plattenfirma „Universal National Department”, Hannes
Cordes, die Funktionen und Aufgaben einer Plattenfirma schildert:
„Ziel einer Plattenfirma ist es, Künstler zu finden und
aufzubauen, die auch noch in 20 Jahren Alben verkaufen können”.
Dann sind wir bei POPSTARS goldrichtig. Die „No Angels”
wurden nach zweieinhalb Jahren aufgelöst, „Bro’Sis”
verkauften ihre Platten bereits nach einem Jahr nur noch an Freunde
und die jüngsten Kücken „Preluders” beziehungsweise
„Overground” treten mitt-lerweile zur Nachmittags-Belustigung
und weil der vorgesehene Clown krank war in Einkaufszentren auf.
Eine Definition, die gründlich daneben geht. Die Erklärung
warum der Fast Food-Pop langfristig scheitert muss, bleibt „Popstars
– das Buch” mehr als schuldig.
Dafür bagatellisiert man eine Seite weiter die juristischen
Großkonstrukte „Künstlervertrag” und „Bandübernahmevertrag”
in jeweils vier Zeilen. Wo Plattenfirmen mehrstöckige Abteilungen
beschäftigen, Künstler wie George Michael jahrelang prozessieren
und Juristen in Scharen kapitulieren (lieber Baurecht), begnügt
sich „Popstars – das Buch” nicht mal mit ansatzweiser
Verallgemeinerung. Hinsichtlich solch sorgloser Darstellungen scheint
jegliche Debatte über profunderen Musikunterricht an Schulen
überflüssig. Wie möchte man Schülern im Klassenraum
die Kosten, hinter einer Plattenfirma erklären und damit die
Schäden durch illegale Downlaods, wenn „Popstars –
das Buch” in Zusammenhang mit der TV- Staffel und der Wirkung
auf die brennende Zielgruppe jeglichen Neustrukturierungen entgegenwirkt?
Ins gleiche Horn stoßen dabei Binsenweisheiten, die einem
das Blut in den Adern gefrieren lassen. Proben gefällig? „Ein
geiles Video ist Pflicht, ein toller Body muss sein, wer viel unterwegs
ist, kann den Kontakt zu Freunden verlieren”. Exakt jener
Scharfsinn vermittelt den jungen Menschen weiterhin, dass die Phonoindustrie
ein Selbstbedienungsladen mit Maskeradenpflicht ist. Der Wert der
Kreativität tendiert laut „Popstars – das Buch”
gegen Null. Mitunter, weil keiner der Ex- oder künftigen Popstars
auch nur einen Griff auf der Gitarre spielen, geschweige denn einen
Song komponieren kann und somit die Anstrengung hinter Musik in
keiner Weise nachempfindbar wird. Die Songs werden ihnen ja als
pflückbare Äpfel präsentiert, die schnell und ertragreich
für „Popstars“ wachsen. Mangelnde Originalität
kompensiert man durch Ablenkungsmanöver wie Video, durch Aussehen
und Pathos. Wenn zudem ein Kapitel „Styling ist die halbe
Miete…
Willkommen im Jet Set” überschrieben wird, das einer
klaren Zielgruppe präzise vermittelt, wie wichtig es ist wichtig
zu sein, wundert man sich über den destruktiven Zustand der
Jugend kaum mehr. Schwarz auf weiß bekommen es Casting- Teilnehmer
und solche, die es werden wollen, zu lesen: können musst du
wenig, deinen Tellerrand bestimmen wir, Hauptsache du sitzt neben
Verona Feldbusch.
Diese Oberflächlichkeiten reihen sich neben völlig uninteressanten
„Popstars“-Bandbiografien, Fotos, Vorstellung der Coaches
oder Jury derart ignorant auf, dass man direkt fragen muss, ob denn
ein Verlag respektive privater Sender nicht auch eine gewisse erzieherische
Verantwortung hat, derartige irreführende Passagen zu streichen
oder anzugleichen. Wäre es nicht an der Zeit, den Einfluss
einer Sendung wie „Popstars“ genauso zur Korrektur und
Klarstellung heranzuziehen, wie man das gerne von den öffentlich-rechtlichen
Medien verlangt? Denn nicht das Konzept singende Menschen per Fernsehen
zu suchen oder der dauernde Missbrauch des Wortes „Star”
steht hier in der Kritik. Das muss man als Zukunftsmodell akzeptieren
lernen.
Es sind die gesellschaftlichen, moralischen und kulturellen Illusionen,
die mit so einem Buch transportiert werden. Es schadete den Partizipierenden
sicher nicht, die Realitäten bei „Popstars“ gerader
zur rücken: hier sind die wahren Musiker, die ihre Songs selbst
verfassen und kreativ sind. Da seid ihr, die tanzenden Reproduzierer,
die Songs, Styling, Bühnenperformance und Verhalten vorgegeben
bekommen. Und man muss eben mal zugeben, dass Bands wie Preluders
oder Overground komplett versagt haben. Mit allen Beteiligten. Die
Wahnvorstellungen, die „Popstars – das Buch” schildert,
müssten dringend auf den Index oder gekennzeichnet werden,
aber wie soll man ein Buch einordnen, in dem auf Seite zwei Platzhalter
für persönliche Daten warten? Mit Poesie hat das wenig
zu tun.