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nmz-archiv
nmz 2004/11 | Seite 38
53. Jahrgang | November
Rezensionen
Zurück zu den Wurzeln der Popmusik
Endlich als DVD-Box: „Martin Scorsese Presents The Blues“
Eigentlich sollte der Kinosommer 2004 im Zeichen des Blues stehen.
„The Blues“ hieß ein siebenteiliges Filmprojekt,
das „Taxi Driver“-Regisseur und Produzent Martin Scorsese
angeregt hatte. Bereits 2003, im amerikanischen „Jahr des
Blues“, war das Filmpaket im US-Fernsehen zu sehen gewesen.
In Deutschland versuchte man die „Blues“-Filme tröpfchenweise
zu vermarkten. Monat für Monat sollte ein Film der Reihe ins
Kino kommen. Man begann mit Wim Wenders’ „The Soul Of
A Man“, dann folgten Richard Pearces „The Road To Memphis“
und Martin Scorseses „Feel Like Going Home“. „The
Blues“ erwies sich als Flop. Die Reihe wurde abgebrochen.
So kamen die Beiträge von Clint Eastwood oder Mike Figgis nicht
mehr ins Kino. Den enttäuschten Blues-Fans bleibt nun nur doch
der Griff zu der soeben bei McOne erschienenen 7-DVD-Box.
Chris Thomas King als Blind
Willie Johnson im Film. Foto: Reverse-Angle
Eine „Hommage in sieben Akten“ nennt der Anbieter diese
famose „Reise zu den Wurzeln des Blues“. Und man wird
dabei das Gefühl nicht los, dass als DVD – mit Audiokommentaren
der Regisseuren und zahlreichen Bonus Tracks versehen – dieses
Projekt erst seine endgültige Form gefunden hat. Wir wissen
es, der Blues ist die Wurzel aller anglo-amerikanischen Popularmusik.
Auf seine sehr eigene Weise hat es vor ein paar Jahren der „Sparifankal“-Musiker
Carl-Ludwig Reichert in seinem „Blues“-Buch auf den
Punkt gebracht: „Der Blues hat Geschwister in Afrika, Brasilien
und Hawaii und er hatte ein Baby, das nannte man Rock’n’Roll.
Den Blues ziert keine illustre Verwandtschaft, aber zu ihm gehören
ehrliche Leute. Viele seiner Abkömmlinge gingen ins Show-Business:
Boogie, Rhythm & Blues, Dixieland, Skiffle, Blues-Rock.“
All diesen Verwandten und Bastarden begegnen wir in „Martin
Scorsese Presents The Blues“ wieder. Einige der Highlights
dieser Box seien herausgegriffen. Da ist zuerst Wim Wenders’
„The Soul Of A Man“. Seit seiner Münchner Zeit
in den späten Sixties spukt bei Wenders der Blues herum. Einer
seiner Kurzfilme war inspiriert von einem J.B. Lenoir-Song „Alabama“
und eine Komposition von Blind Willie Johnson („Dark Was The
Night“) grundierte Ry Cooders Soundtrack zu „Paris,
Texas“. Zusammen mit Skip James bildeten sie in den Sixties
Wenders’ ganz persönliches Blues-Triumvirat. Mit „Dark
Was The Night“, das die Amerikaner in den siebziger Jahren
als Kulturgut in das Weltall schickten, beginnt Wenders’ Film.
Nachgestellte Szenen mit Blind Willie Johnson und Skip James wechseln
sich ab mit neu entdecktem sensationellen Material von J.B. Lenoir
aus den Sixties. Genau der legendäre J.B. Lenoir, dessen Tod
damals von dem weißen Bluesman John Mayall beweint wurde,
ist hier putzmunter.
Ein anderer Musikfreak des Kinos ist Martin Scorsese. Schon sein
allererster Film hatte den Titel von einem DooWop-Klassiker geklaut:
„Who’s That Knocking At My Door?“ In „Feel
Like Gong Home“ macht Scorsese sich nun mit dem jungen Bluesgitarristen
Corey Harris auf die Suche nach den Wurzeln des Blues. Auf seiner
Reise trifft er Robert Johnson & Leadbelly, Son House &
John Lee Hooker, Taj Mahal & Willie King. Am Ende seiner langen
Reise durch Raum und Zeit landet er schließlich dort, wo alles
begann: in West Afrika.
Eine Reise zum „Ol’ Man River“, dem Mississippi
unternimmt dagegen Richard Pearce in „The Road To Memphis“.
Dort in den legendären „Sun Records“-Studios nahm
Sam Phillips die ersten Scheiben des „Kings“ auf: Elvis
Presley. Dort entstanden aber auch viele klassische Blues-Aufnahmen,
wie wir von B.B. King und Bobby Rush erfahren.
Amateurpianist Clint Eastwood dagegen widmet sich in seinem Beitrag
dem „Piano Blues“. Eastwood, der als Kind aufgewachsen
ist mit Fats Waller im Ohr, lädt hier ein zu einem pianistischen
Stelldichein mit Dave Brubeck, Dr. John, Jay McShann und dem gerade
verstorbenen Ray Charles, der am Ende „America The Beautiful“
anstimmt. Der vielleicht relaxteste Beitrag zu dieser Reihe dürfte
schließlich von dem Regisseur und Musiker Mike Figgis („Leaving
Las Vegas“ kommen: „Red, White And Blues“. Untertitel:
„Wie Briten den Blues neu erfanden“. Oder: Wie Skiffle,
Chess Records, AFN und Alexis Korner die britische Musiklandschaft
änderten. Fazit: Mit „The Blues” öffnet sich
ein Fenster zur musikalischen Welt des 20. Jahrhunderts.