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nmz-archiv
nmz 2004/11 | Seite 38
53. Jahrgang | November
Rezensionen
Pianisten an der Perlenschnur
Verbier schenkte sich zum zehnjährigen Jubiläum eine
DVD
Höhenmusik in des Wortes doppelter Bedeutung gilt es zu preisen:
Hinreißendes erklingt auf rund 1.500 m Alpenhöhe im schweizerischen
Verbier. Dass sich hier jeden Sommer die „Crème de
la Crème“ der jungen Musikszene versammelt und in Meisterkursen,
Vorlesungen, Proben und Aufführungen die internationale Jugend
zu Höhenflügen animiert, sich aber auch selber mit Begeisterung
ins Musikalische Getümmel stürzt, weiß inzwischen
die ganze Musikwelt. aber wer kommt schon dorthin? Was sich nun
im vergangenen Jahr anläßlich des 10. Geburtstags des
Festivals ab„spielte“, gehört zum Faszinierendsten,
was man als Musikenthusiast erleben kann. Und das weiß ich
nicht, weil ich dabeiwar, sondern weil das Ereignis auf einer DVD-Video
festgehalten wurde, die es im Surroundsound nacherleben lässt.
Vor 15 Jahren hatte ich anlässlich eines beruflichen Aufenthalts
in den USA Gelegenheit, im Public-Radio-Sender WLRH 89,3 in Huntsville/Alabama
zwei Jahre lang an jedem Montagabend eine Sendung mit meinen eigenen
Schallplatten live zu moderieren. Zu meiner Sammlung gehörte
eine CBS-LP (# 73227) mit der Aufzeichnung eines „Monster-Konzerts“
vom 17.01.1972 der Eastman School Of Music in Rochester/New York,
in dem sich - im äußersten Fall - sechzehn Pianisten
bemühten, auf zehn Flügeln mit 160 Fingern gleichzeitig
die Tasten zu treffen. Eines der Stücke - „Stars And
Stripes Forever“ - wurde so oft gewünscht, daß
meiner schwarzen Scheibe Gebrauchsspuren anzuhören sind; aber
auch Rossinis Ouvertüren zu „Semiramis“ und „Wilhelm
Tell“, die Polka „Unter Donner und Blitz“ oder
der Walzer „An der schönen blauen Donau“ von Strauß
wurden ebenso wie ein paar Feuerwerks-Piècen (wie „La
Gallina“ und „Ojos Criollos“ von Gottschalk auf
8 Klavieren vierhändig) immer wieder verlangt.
Wer beschreibt mein freudiges Erstaunen, als ich feststellte,
daß beim Verbier-Jubiläumskonzert vom 22. Juli .2003
eine gleichermaßen „monströse“ Klavierdemonstration
das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinriß, auch wenn’s
nur acht Flügel (vom Typ „Steinway D-724 grand“)
waren – aber 80 Simultan-Finger erreichen auch schon spektakuläre
Hör-Regionen! Vor allem, wenn sie keinen Musikstudenten gehören
wie in Rochester, sondern den Weltbesten ihres Fachs – die
Reihe der Pianistennamen liest sich wie eine exquisite Perlenschnur:
Leif Ove Andsnes, Nicolas Angelich, Martha Argerich, Emanuel Ax,
Claude Frank, Evgeny Kissin, Lang Lang, James Levine (ja, der Chef
der Metropolitan Opera), Mikhail Pletnev und Staffan Scheja.
Was erklingt nun alles? Zu Beginn spielen Martha Argerich und Evgeny
Kissin Mozarts vierhändige C-Dur- Sonate KV 521, wie ich sie
atemberaubender noch nie gehört und noch weniger gesehen habe:
zwei Partner werden zur klavierspielenden Einheit mit vier Händen,
mit gleichem Atemrhythmus, gleicher Körpersprache, gemeinsam
konzentriert und dann wieder anerkennend lächelnd, von einer
der vier Hände zur anderen Motive und Läufe übernehmend
und zurückgebend – hinter den beiden erscheinen fast
leibhaftig Wolfgang und Nannerl und man ist tief ergriffen...
Dann – wunderbares Wiedersehen! - auf nur (!) acht Klavieren
Rossinis „Semiramis“-Ouvertüre, danach Wagners
„Walkürenritt“ und Benjamins bekannter „Jamaican
Rumba“, natürlich auch die wohlbekannten und unverwüstlichen
„Stars And Stripes Forever“, Gottschalks originelle
„Konzert-Paraphrase über Nationalhymnen“, zum Schluß
Rimsky-Korsakoffs virtuoser „Hummelflug“ – das
alles mit 160 Fingern auf acht Flügeln – und als krönenden
Abschluß singt Barbara Hendricks „Happy Birthday“.
Diether Steppuhn
The Verbier Festival & Academy. 10th Anniversary „Piano
Extravaganza“
100 min
RCA RED SEAL DVD-Video 82876 60942