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Ausgabe 2004/11
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nmz 2004/11 | Seite 38
53. Jahrgang | November
Rezensionen

Amerikanische Helden: Klassiker der Moderne

Orchestermusik des 20. Jahrhunderts bei Naxos

Im Zentrum der orchestralen Aktivitäten des umtriebigen Naxos-Labels steht unangefochten die Serie der in Europa kaum bekannten „American Classics“. Deren teils unbekümmerter Eklektizismus hat zum vergleichsweise geringen Ansehen des Gros der US-amerikanischen Tonsetzer beigetragen – wenn man jedoch Musik stets an ihrer Originalität und Neuartigkeit messen würde, hätten nur die allerwenigsten Komponisten ein Recht darauf, sich öffentlich hören zu lassen.

Einen der typischen „Fälle“ stellt der schon 1920 im Mozartschen Alter von 36 Jahren verstorbene Charles Tomlinson Griffes dar, dem die Philharmoniker von Buffalo unter JoAnn Falletta eine kleine Werkschau gewidmet haben. Griffes war ein zu spät geborener Impressionist, den man darob geneigt ist, prompt mit dem Etikett des Filmmusik-Schöpfers „avant la lettre“ zu bekleben – und dies nur, weil er eine natürliche Abneigung gegen Disharmonie mit einer exotischen Vorliebe für Ganztonleitern verband. Leider muss man zugeben, dass es Griffes’ halb verdauten, aber in der Regel nach früheren Klaviervorlagen hübsch instrumentierten Debussysmen (er studierte in Berlin bei Engelbert Humperdinck) nicht immer gelingt, am Kitsch vorbeizuschrammen. Trotzdem konnte er für die Erstaufführungen seiner Tondichtungen renommierte Dirigenten wie Monteux oder Stokowski gewinnen.
Ebenfalls eine Frau, nämlich Marin Alsop, dirigiert unsere nächste CD: Es ist ihre fünfte mit Orchesterwerken von Samuel Barber (1910-1981). Nachdem die Sinfonien und großen Instrumentalkonzerte bereits vorliegen, beschäftigte sich das Royal Scottish National Orchestra unter Alsops Stabführung diesmal mit den Essays 2 und 3 sowie „Knoxville: Summer of 1915“, einer lyrischen Rhapsodie für Sopran und Kammerensemble. Gerade dieses Stück aus dem Jahre 1947 scheint mir wie Coplands „Appalachian Spring“ idealtypisch den Klang US-amerikanischer Musik um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts zu verkörpern. Der knappe zweite Essay wirkt dagegen abstrakt, beliebig, geschäftig – was den Eindruck verstärkt, dass „absolute“ symphonische Musik nicht Barbers größte Stärke war. Die CD endet mit der bombastischen, eine konzertierende Orgel auffahrende „Toccata festiva“ enttäuschend; doch wenigstens klangfarblich vermochte zuvor manch postimpressionistische Passage im dritten Essay zu fesseln.

Alan Hovhaness, ein Jahr nach Barber geborener Sohn armenisch-schottischer Eltern, wurde fast neunzig. In seinem langen Leben schuf er über sechzig Symphonien und kam auf mehrere hundert Opusnummern. Dabei vernichtete er in einem Anfall von Selbstkritik 1940 fast tausend Werke, die er bis dahin bereits geschaffen hatte. Eines der wenigen, die diesem Autodafé entkamen, war das Cellokonzert op. 17 – hier wunderbar gestaltet von Janos Starker. Darin, wie generell in Hovhaness’ besten Werken, obwaltet eine fast schon himmlische Ruhe, welche dem überwiegend konsonanten und melodiebetonten Charakter seiner Musik vollkommen entspricht. Dass man als Hörer nie den Eindruck bekommt, unterfordert oder für dumm verkauft zu werden, verdankt sich dem spirituellen Urquell, aus dem sich Hovhaness’ Schaffen speist. Die vom greisen Komponisten selbst geleitete Aufführung seiner Symphony Nr. 22 von 1971 (mit fugiertem Schlusssatz) belegt die erstaunliche innere Kontinuität der einmal gefundenen Haltung; seit Feldman ist man gegenüber Wiederholungen ja etwas toleranter geworden.

Eine echte Entdeckung ist auch von George Rochberg (Jahrgang 1918) zu vermelden: Sein monumentales, fünfsätziges Violinkonzert von 1974 ist nun erstmalig in der Originalfassung zugänglich, nachdem Isaac Stern in den siebziger Jahren auf einschneidenden Kürzungen und Vereinfachungen bestanden hatte.

Wir verdanken es der Initiative des Dirigenten der Aufnahme, Christopher Lyndon-Gee, der in mühseliger Kleinarbeit und nach steter Rücksprache mit dem Komponisten die ursprüngliche Struktur wiederherstellte, aber auch nach der Uraufführung angebrachte Verbesserungen berücksichtigte, dass der nicht genug zu lobende Solist Peter Sheppard Skaerved und das RSO Saarbrücken mit einem Vierteljahrhundert Verspätung die Absichten Rochbergs umsetzen konnten. Bleibt zu hoffen, dass andere Geiger sich von Skaerveds schlackenloser Pionierleistung inspirieren lassen und das Konzert in der Traditionslinie Alban Bergs in ihr Repertoire aufnehmen.

Der jüngste der hier vorgestellten „American Classics“ ist auch schon 66 Jahre alt: Es handelt sich um den namhaften, aus Uruguay stammenden Dirigenten José Serebrier, der als Vierzehnjähriger mit der hier ersteingespielten, für die Stimmung seines Frühwerks emblematischen „Elegie für Streicher“ als Komponist schlagartig bekannt wurde. Die schon immer pfeilschnelle Arbeitsweise des Copland- und Dorati-Schülers und späteren Assistenten Stokowskis kam ihm auch für diese Produktion zugute, als ihm die Akkordeonsolistin für „Passacaglia and Perpetuum Mobile“ (1966) kurzfristig absprang und er fürchtete, die Laufzeit der CD werde nun teilweise ungenutzt bleiben: So schrieb und orchestrierte er binnen einer Woche (!) eine ausgewachsene Sinfonie – mit dem Ergebnis, dass sich überraschend eine begabte Schülerin der verhinderten Solistin zur Aufnahme bereit erklärte und die vorgesehenen Titel im Endeffekt nur mit knapper Not alle auf die CD passten. Die eher kurzen, jeweils ein Instrument in den Vordergrund rückenden Stücke sind vielleicht kein Ausbund an Originalität (höre ich etwa den Vorwurf „Kapellmeistermusik“?), aber eine interessante Ausweitung von Hindemiths Projekt, für jedes Mitglied des Orchesters eine Sonate zu komponieren.

In der bislang gut überschaubaren Reihe der „Japanese Classics“ erschien jüngst eine CD mit vier Orchesterwerken, die der Bruch-Schüler Koscak Yamada 1912/13, also noch während seiner Studienjahre in Berlin schrieb.

Den ersten beiden, wohl unter den Augen des Lehrers entstandenen, merkt man die ostasiatische Herkunft des Tonsetzers nirgends an, wohl aber, wie gut dieser die konservativen westlichen Vorbilder studiert und auch verinnerlicht hatte. Nach der Mendelssohn Bartholdy und Dvorák ganz ins Bukolische wendenden, sorgfältig gearbeiteten großen Sinfonie „Triumph und Frieden“ – der allerersten aus der Feder eines japanischen Komponisten – zog es Yamada mächtig in heimatliche Gefilde zurück, was sich sogleich in seiner Tonsprache niederschlug: Wagner, Strauss, Debussy und Skrjabin haben in den sinfonischen Poemen „Das dunkle Tor“ (nach Maeterlinck) und „Madara No Hana“ ihre Spuren hinterlassen. Mit der bereits hier vorgezeichneten, zen-buddhistisch geprägten Wechselwirkung zwischen Klang und Stille avancierte Yamada unter anderem zum Wegbereiter Toru Takemitsus.

Kaum zu glauben, dass sich im Nachlass Dmitri Schostakowitschs immer noch ungehobene Schätze befinden: In der Reihe „Film Music Classics“ legen Dmitri Yablonsky und seine bestens aufgelegten und auch hervorragend eingefangenen Russischen Philharmoniker (wahlweise auf SACD) die erste Gesamtaufnahme des Soundtracks zum „Hamlet“-Film Grigori Kosinzews (1964) vor. Da es zu der vorgesehenen Fassung für den Konzertsaal nicht kam, bildet diese hoch dramatische, durchgehend spannungsgeladene, nirgends banale Gebrauchsmusik erster Güteklasse eine willkommene Ergänzung des gängigen Schostakowitsch-Bildes um eine (thematisch bedingt) in der Düsternis funkelnde Fassette.

Die achte und mutmaßlich letzte Folge von Antoni Wits Lutoslawski-Gesamtschau enthält ein sehr gemischtes Programm, das gleichwohl einen hervorragenden Überblick über alle Stränge seiner kompositorischen Tätigkeit bietet: Während die acht hier eingespielten, entzückenden Kinderlieder für Sopran schon 1947/48 entstanden, markierten die „Tanzpräludien“ für Klarinette und Orchester 1954 seinen „Abschied von der Folklore“. Seine konzertante Seite lebte Lutoslawskis um 1980 mit dem „Grave“ für Cello und Streicher sowie dem für Heinz und Ursula Holliger bestimmten Doppelkonzert aus; das drei Jahre später vollendete, selten gespielte „Chain I“ für vierzehn Spieler repräsentiert die durch den „aleatorischen Kontrapunkt“ geprägte, experimentellere Seite seiner kompositorischen Persona. Im Westen zwar unbekannte, jedoch durchweg idiomatisch sattelfeste Solisten verwandeln diese ohne Schwachpunkte auskommende Anthologie in ein kurzweiliges Hörabenteuer.

Mátyás Kiss

Diskografie

• Charles Tomlinson Griffes: The Pleasure Dome of Kubla Khan u.a. Buffalo Philharmonic Orchestra, JoAnn Falletta. Naxos 8.559164
• Samuel Barber: Knoxville: Summer of 1915; Essays for Orchestra Nos. 2 & 3 u.a. Royal Scottish Nationla Orchestra, Marin Alsop. 8.559134
• Alan Hovhaness: Cello Concerto; Symphony No. 22 „City Of Light“. Janos Starker, Violoncello; Seattle Symphony, Dennis Russell Davies, Alan Hovhaness. 8.559158
• George Rochberg: Violinkonzert. Peter Sheppard Skaerved, Violine; RSO Saarbrücken, Christopher Lyndon-Gee. 8.559129
• José Serebrier: Symphony No. 3, Fantasia etc. Toulouse National Symphony Orchestra, José Serebrier. 8.559183
• Koscak Yamada: Symphonie in F-Dur, Ouvertüre in D-Dur, Symphonische Dichtungen. Ulster Orchestra, Takuo Yuasa. 8.555350
• Dmitri Schostakowitsch: Hamlet. Erste Gesamtaufnahme der veröffentlichten Filmpartitur. Russische Philharmoniker, Dmitri Yablonsky. 8.557446
• Witold Lutoslawski: Tanzpräludien, Doppelkonzert, Grave, Chain I, Kinderlieder. Symphonieorchester des Polnischen Rundfunks, Antoni Wit. 8.555763

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