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nmz-archiv
nmz 2004/11 | Seite 41
53. Jahrgang | November
Noten
Gutes muss nicht teuer sein
Neue Notenausgaben für Violoncello und Klavier
Gabriel Fauré: Anthology of Selected Pieces for Cello
and Piano, ed. by Roy Howat, Edition Peters EP 7571
Wer die vor zehn Jahren erschienene Fauré-Ausgabe mit Elégie
und Sicilienne, betreut von Roy Howat (EP 7385), kennt, der weiß,
was diese neue Anthologie auszeichnet: Sie ist mit einem ausführlichen
Vorwort (engl./dt.) und Kritischem Bericht (nur engl.) ausgestattet
und im äußeren Erscheinungsbild der früheren gleich.
Die Anthologie enthält alle relevanten Stücke für
Cello und Klavier in chronologischer Reihenfolge: Elégie
op. 24, Pièce pour vc (Pappillon) op. 77, Romance op. 69,
Sicilienne op. 78 und Sérénade op. 98. Dazu kommen
als Erstdrucke ein Andante für Cello und Orgel, das die Original(Früh-)fassung
der Romance ist, und ein eher skurriles Stück, nämlich
ein Morceau de lecture für zwei Celli, das Fauré 1897
als Prüfungsstück für Vom-Blatt-Spiel für das
Conservatoire Paris geschrieben hat. Aufgenommen ist auch die Berceuse
op. 16, obwohl Fauré für sie nicht ausdrücklich
einen Cellopart hinterlassen hat.
Diese neue Ausgabe ist rundum vorbildlich gestaltet (mit einer
kleinen Ausnahme: warum kann das nur eine Seite umfassende Blattspiel-Duo
nicht zweimal als Partitur gedruckt werden?) und macht eigentlich
alle vorher entstandenen Hamelle(o.ä.-)Ausgaben entbehrlich.
Im Vergleich zu der vor zehn Jahren erschienenen Ausgabe ist der
Kommentarteil zu opp. 24 und 78 sogar ein wenig erweitert. Der Vergleich
mit der Ausgabe der Fauré-Stücke bei (DDR-)Peters (EP
9570), die 1982 erschienen und von Reiner Zimmermann betreut worden
ist, ergibt übrigens, dass diese ebenfalls einen sehr zuverlässigen
Text bereitstellt. (Diese Ausgabe, mit gewichtigem Nachwort und
Revisionsbericht, ordnet die Stücke nach op.-Zahlen.) Nur die
Cellostimme ist in der neuen Anthologie angenehmer: sie enthält
keinerlei Fingersätze und ist (für op. 77) ausklappbar,
sodass man ohne Blättern das Stück spielen kann.
Claude Debussy: Sonate für Cello und Klavier d-Moll,
hrsg. v. Ernst-Günter Heinemann, Henle Verlag HN 633
Diese Ausgabe ist zwar schon 1998 erschienen, aber es sei noch
einmal auf sie hingewiesen. Sie enthält ein kurzes, aber inhaltsreiches
Vorwort des Debussy-Spezialisten Fr. Lesure, der mit zwei immer
weiter tradierten Irrtümern aufräumt: nämlich einmal
dem der ersten Aufführung (am 4. März 1916 in London und
9. März 1916 in Genf wurde die Sonate vor dem 24. Juli 1917
gespielt), und zum zweiten mit der auch von Boulez verbreiteten
Legende mit dem „Pierrot“-Titel, den Debussy angeblich
im Sinn gehabt hätte. Diese Ausgabe fußt im wesentlichen
auf der Erstausgabe bei Durand, die nur geringfügig vom Autograph
abweicht. Einzelne Zeichen, die in der Erstausgabe wohl nur versehentlich
fehlen, sind kommentarlos aus dem Autograph entnommen. In der Praxis
stellt sich das als unwesentlich dar, die (neueren) Durand-Ausgaben
sind absolut zuverlässig und drucktechnisch gut. Für Henle
spricht vor allem der Revisionsbericht und der Seitenumbruch der
Cellostimme, der blätterfreundlicher ist.
Antonio Vivaldi: Sämtliche Sonaten für Violoncello
und B.c. RV 39-47, hrsg. v. Bettina Hoffmann, Bärenreiter
Verlag BA 6995
Wer diese nicht ganz billige Ausgabe erstanden hat, muss in seinem
Notenschrank Platz machen für: a) einen Umschlag, enthaltend
die Stimme „Violoncello“ als Solostimme im Bass- und
Tenorschlüssel, und die Stimme „Basso continuo“
als Doppelakkolade mit verkleinerter Solostimme; und b) eine „Klavier“-stimme
ebenfalls mit verkleinerter Solostimme. (Dafür darf er den
Notenschrank entrümpeln – aber dazu später.) Bettina
Hoffmann hat ein vierseitiges Vorwort verfasst, das in aller Knappheit
so viel beinhaltet und lehrreich ist, wie man es (leider) selten
erlebt. Alle Quellen der Sonaten – die uns übrigens in
zwei vorzüglichen Facsimiles zugänglich sind, einmal bei
Fuzeau 1996 und neuerdings bei Studio per edizione scelte 2003,
die ein Prachtexemplar ist und auch die Wiesentheider Handschrift
532 enthält, sind erwähnt und einer kritischen Beurteilung
unterzogen. Dabei erweist sich der LeClerc-Druck von 1740, der bisher
die Hauptquelle vieler alter Ausgaben war, als wenig zuverlässig
– um das Mindeste zu sagen. Bettina Hoffmann hat als Hauptquelle
ihrer Ausgabe für jede Sonate jeweils diejenige gewählt,
die mutmaßlich Vivaldi am nächsten steht. Aufgeschlüsselt
ist die Quellenhierarchie im siebenseitigen Kritischen Bericht am
Ende des Bandes. (Vorwort und Kritischer Bericht sind auch in englischer
Übersetzung gedruckt.)
Bleibt die praktische Seite der Ausgabe: Keine Sonate kann von
der Cellostimme, die sehr sauber gedruckt ist, ohne Blättern
gespielt werden, bei fünf der neun Sonaten muss sogar zweimal
geblättert werden. Die Continuostimme ist so großzügig
gedruckt, dass man sich ohne Lupe Bass-Ziffern eintragen kann (die
Ziffern des LeClerc-Druckes sind nicht wiedergegeben, weil sie nach
Hoffmann weder von Vivaldi stammen noch wahrscheinlich seine Billigung
gefunden hätten). In der Klavierstimme muss mitunter im Satz
geblättert werden. Dass die Cellostimme keine spielpraktische
Einrichtung hat, versteht sich bei einer solchen Ausgabe von selbst.
Weitere vollständige (also alle neun Sonaten enthaltende)
Ausgaben sind: editiert von Gian Francesco Malipiero (Ricordi 1968,
die Cellostimme 1988), die aber für die Sonaten 1 bis 6 vor
allem auf dem Erstdruck fußt und heutigen Ansprüchen
nicht mehr gerecht wird. Die Ausgabe von Árpád Pejtsik
(EMB 1995) muss allerdings als ernsthafte Konkurrentin betrachtet
werden, sie ist sehr zuverlässig und nützlich für
den Gebrauch. Pejtsik steht dem LeClerc-Druck durchaus kritisch
gegenüber und benutzt ihn nicht als alleinige Quelle. Der große
Vorzug dieser Ausgabe ist die Tatsache, dass durch einen intelligenten
Druck alle Sonaten ohne Blättern von der Cellostimme spielbar
sind. Außerdem werden es Pädagogen vielleicht schätzen,
dass die Cellostimme durchweg im Bass-Schlüssel notiert ist;
die Fingersätze sind eine Anregung und im übrigen genügend
klein gedruckt, dass man sie ignorieren kann. Alle anderen Ausgaben
(Peters, Schott, Kunzelmann…) dürfen den Notenschrank
getrost verlassen – es sei denn, man möchte aus historischen
Gründen etwa die Continuo-Einrichtung von Luigi Dallapiccola
(bei IMC) behalten, der wirklich sehr inspiriert und verblüffend
verfährt. Die neue BA-Ausgabe ist jedenfalls für diejenigen,
die sich als Praktiker oder Wissenschaftler eingehend mit Vivaldi
beschäftigen möchten, ein absolutes Muss. Für das,
was sie bietet, ist sie übrigens auch nicht wirklich teuer.