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Ausgabe 2004/11
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nmz 2004/11 | Seite 25
53. Jahrgang | November
Verbandspolitik

Das Feld der Musik-Vermittlung weiter denken als bisher

Vortrag von Theo Geißler auf der Generalversammlung des Deutschen Musikrates in Berlin

Auf der Mitgliederversammlung des Deutschen Musikrates Ende Oktober in Berlin hielt Theo Geißler, Herausgeber der neuen musikzeitung, im Rahmen der Zukunfts- und Strategie-Diskussion des Deutschen Musikrates ein Statement zum Thema „Musikvermittlung”. Im Zentrum seiner Ausführungen stehen Überlegungen zur möglichen Bedeutung der Musikvermittlung für die künftige Arbeit des Musikrates und zur Situation der Musikvermittlung unter besonderer Berücksichtigung des derzeitigen Musikrats-Zustandes. Die nmz druckt den Vortrag im Wortlaut.

Musik und Markt – nicht länger unüberbrückbare Gegensätze? Insellösungen reichen nicht mehr aus. Nicht nur die klassischen Musikvermittler wie Musiker und Musikpädagogen sind gefragt, die Musikverwerter und -vermarkter sollten auch neue Qualitätsbegriffe der Vermittlung entwickeln. Foto:Martin Hufner

Musik und Markt – nicht länger unüberbrückbare Gegensätze? Insellösungen reichen nicht mehr aus. Nicht nur die klassischen Musikvermittler wie Musiker und Musikpädagogen sind gefragt, die Musikverwerter und -vermarkter sollten auch neue Qualitätsbegriffe der Vermittlung entwickeln. Foto:Martin Hufner

Wenn heute der Begriff Musikvermittlung erklingt, denkt man zunächst an den Bereich der Konzert- und Opernpädagogik – sowie an alle anderen Bereiche, in denen außerhalb von Schulmusik und Musikschule ein junges oder – allgemeiner – neues Publikum an eine Musik herangeführt wird, die es bis dahin – aus welchen Gründen auch immer – noch nicht kannte.

Es geht um fantasievolle, so genannte „andere, neue Präsentationsformen“ für einen vermeintlich oder anscheinend sperrigen Gegenstand – gute Musik nämlich.

Inflationär gebrauchtes Wort

Das wäre so ungefähr auch die Definition, die unsere nmz damit in einer eigenen Redaktion bislang verbunden hat. Dazu schrieb die zuständige Redakteurin Barbara Stiller zum Start unserer „Musikvermittlungsrubrik“:

„Musikvermittlung ist ein Mode- und kein Zauberwort, das vielerorts als Platzhalter für all die Angebote steht, die sich mit der Präsentation live gespielter Musik auf praktischer wie theoretischer Ebene befassen. Um jeden Preis möchte man sich damit distanzieren von einer tradierten, ‚verstaubten‘ und unzeitgemäßen Musikpädagogik, aber wer möchte das nicht? Allein die Tatsache, dass sich diverse Expertinnen und Experten bislang vergeblich Gedanken über die eine oder andere noch ‚treffendere‘ Alternative gemacht haben, ist ein gutes Zeichen dafür, dass die Verantwortlichen dieser Zeitung richtig liegen, wenn sie ihre neue Rubrik zunächst auch wieder einmal Musikvermittlung nennen.“ Ende der Schleichwerbung.

Vielerorts wird der Begriff „Musikvermittlung“ nichtsdestotrotz inflationär und schwammig, als flotteres Synonym für die angeblich etwas angestaubten Begriffe „Musikpädagogik“ oder schlimmer „Musikerziehung“ gebraucht. Was unsere Pädagogen – vielleicht zurecht – ein wenig ärgert. Auf den praktischen Musiker angewandt, gibt es die Forderung: „Jeder Musiker muss Musikvermittler sein“. Über die Interpretation hinaus sollte er dazu beitragen, dass von der gespielten Musik mehr beim Zuhörer ankommt als Berieselung oder Tapete. Dass dies funktionieren kann, dafür gibt es viele Best-Practice-Beispiele. Vor etwa sechs Jahren leistete die Jeunesses Musicales Pionierarbeit, als sie zu einem ersten europäischen Kongress nach Weikersheim einlud. Staunend stand man damals vor englischen, amerikanischen und skandinavischen Musikvermittlungsmodellen. Mittlerweile hält sich fast jedes Orchester, fast jeder Verband die Erfindung neuer Zugangswege für gute Musik hin zu jungen Ohren zugute. Schnittmengen zwischen schulischer und außerschulischer Musikvermittlung sind entstanden. Ich erinnere auch an die kürzlich konfigurierte Kooperation zwischen Deutscher Orchestervereinigung und dem Verband deutscher Schulmusikerzieher – stellvertretend für andere Modelle. Aber: Immer noch herrschen Insellösungen vor.

Lassen Sie mich das Ganze weiter komplizieren: Ich will den Begriff Musikvermittlung nämlich viel weiter fassen und alle mit einschließen, die zum Beispiel an der Produktion und Distribution von Musik beteiligt sind. Also Tonträger-Produzenten, Verlage, aber auch die Generatoren von Informationen über Musik, Printmedien, all die Sender, ob privat oder öffentlich-rechtlich, Sie alle, die Sie hier sitzen, und die Klientel, die Sie vertreten.

Wirtschaft und Vermittlung

Wenn man dieses ganze Feld, das ja auch ein erheblicher Wirtschaftsfaktor ist, als ein Feld der Musikvermittlung versteht, akzeptiert und betont man dessen Verantwortung für die ästhetische, die kulturelle Bildung und die Kulturpolitik. Man fordert diese Verantwortung ein. Kann das funktionieren? Passen all diese unterschiedlichen Bausteine, Baustellen zueinander?

Ein kleiner, polemischer Exkurs: Seit Jahren beklagen Soziologen und Politologen, manchmal gar Politiker oder Journalisten, einen zunehmenden Zerfall der Öffentlichkeit, damit eines zentralen Kommunikationsraumes der Bürgerschaft. Sie beklagen damit auch eine Erosion von Institutionen öffentlicher Meinungsbildung. Diese Entwicklung hat sich in den anderthalb Jahrzehnten privaten Medien-Wildwuchses verschärft und sie hat in extremem Maß den kulturellen Sektor erreicht.

Eine doppelte Drift ist dabei zu beobachten. Früher haben sich noch Privatwirtschaft und Anstalten öffentlichen Rechts sowie Verbände in unausgesprochenen Kooperationen verbunden und allgemeine Ziele humanistischen Denkens und der Aufklärung verfolgt. Es gab auf diese Weise ein Treibhaus, in dem Gesellschaften gedeihen und ihre Identität finden konnten. Dieses Bündnis läuft seit einiger Zeit aus. Zwischen Privatwirtschaft einerseits und Verbänden sowie öffentlich-rechtlichen Anstalten andererseits wird Kultur immer stärker nach Begriffen der Zweckmäßigkeit und der Erzielung kurzfristiger Erfolge gehandelt.

Kultur verkommt von einem sich immer wieder neu bildenden Wert faktisch zur bloßen Handels-Ware. Häufig hört man auch von Seiten der Verbände, in jüngerer Zeit gerade auch von Musikpädagogen, dass Musikvermittlung an Kinder wichtig sei, weil Kinder doch die Musikkonsumenten der Zukunft sind. Genau so agieren erfolgreiche private Wirtschaftszweige, wenn beispielsweise soeben das private Forschungsinstitut „Neue Digitale“ vermeldet: „Kinder surfen lieber im Internet als Fernsehen zu gucken – eine hervorragende Nachricht für unsere Branche! Der Siegeszug des Internets ist wohl kaum noch aufzuhalten. Interessant ist dies vor allem für Unternehmen, sind doch die Kinder von heute die kaufkräftigen Konsumenten von morgen.” Wenn man dann noch ganz aktuell wahrnimmt, dass zum Beispiel immer deutlicher auch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten das Niveau ihrer Kulturprogramme bewusst absenken und damit in gleicher Manier wie die Privaten die kulturelle Selbstbestimmung aus ihren Programmen verbannen, dann wird klar, wie knapp die Luft für eine kritische Öffentlichkeit geworden ist.

Man sollte sich im Bereich unserer musikalischen Öffentlichkeit nur einmal die schwindenden Auflagenzahlen von Zeitungen und Zeitschriften ansehen, die sich noch als Katalysator musikkultureller Selbstbestimmung verstehen. Daraus kann man dann nur den Schluss ziehen: Nicht nur Interesse, auch Desinteresse kann geschürt werden.

Genau das nämlich passiert, wenn man Kultur im Wesentlichen als Luxusartikel definiert oder eben nur als Ware, deren Gebrauchswert sich nicht in kontinuierlicher Auseinandersetzung herstellt, sondern jeweils als Marketing-Leistung erfunden werden muss. Der gern zitierte Musikpädagoge Hans Günter Bastian hat das sehr ehrenwert durchschaut, als er im Umfeld der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“ eine marketingtechnische Exegese seiner Forschung wie folgt einordnete (ich zitiere aus dem Protokoll): „Er – Bastian – warne davor, sich unkritisch den Slogan ‚Musik macht klug‘ zu Eigen zu machen. Dieser sei von den Medien zugespitzt worden und so generalisierend nicht zutreffend. Bastian könne unter Verweis auf den Rechtsradikalismus ge- nauso gut für den Satz ‚Musik macht dumm‘ Argumente finden. Seine Studien würden missverstanden, wenn ihnen nachgesagt würde, Musik solle über ihre Transfereffekte gerechtfertigt werden. Musik sei zuallererst Ästhetik, Freude am Musizieren und Schönheit. Der Mehrwert der Persönlichkeitsprägung, ,den wir bildungspolitisch ausschlachten‘, komme danach.“

Vorläufige Zwischenbilanz

Der laute Ruf nach Musikvermittlung – unter Vernachlässigung qualitativer und gesellschaftlicher Kriterien – liefe auf eine blanke Erziehungswirtschaft hinaus. Ich habe vorher behauptet, nicht nur Interesse könne geschürt werden, sondern auch Desinteresse.

Wenn zentrale Elemente unserer Öffentlichkeit – und dazu zählt eine Musikvermittlung, die ihre Existenzberechtigung aus einem aufgeklärt-bürgerlichen Qualitäts- und Wertebewusstsein schöpft – abgegeben werden an rein quantitätsgesteuerte Institutionen oder an die oft genug eige- nen Gesetzen unterliegenden politischen Gremien, dann geht die vierte Kraft in unserem Lande – und sie ist die eigentlich demokratische – verloren. Korrespondiert da vielleicht der Begriff der Politikverdrossenheit mit manchem Zustand der Musikverdrossenheit? Eigentlich ist der Deutsche Musikrat die optimale Plattform, solchen Erosionen entgegen zu wirken, sie durch tragfähige Visionen und Modelle außer Kraft zu setzen. Werfen wir einen kurzen Blick auf seinen aktuellen Zustand unter besonderer Berücksichtigung seiner Musikvermittlungsfähigkeit.

Die Krise der Insolvenz scheint überwunden, aber sie brachte einschneidende organisatorische Konsequenzen. In Bonn gibt es eine – inzwischen wirtschaftlich solide arbeitende – GmbH mit den Projekten, darunter das Bundesjugendorchester, das Bundesjugendjazzorchester oder “Jugend musiziert”. Diese Projekte funktionieren seit langer Zeit. Das heißt aber auch, sie sind in bestimmten Bereichen sicherlich überarbeitungsbedürftig. Wer trägt dafür künftig die inhaltliche Verantwortung? Im Sinne einer von mir als wünschenswert beschriebenen Musikvermittlung könnten diese Projekte die berühmt-berüchtigten Leuchttürme sein, wenn es darum geht, die Bedeutung von Musik unserer Medien-Gesellschaft, der Politik und der Wirtschaft zu „vermitteln“. Einfache Zusatzfrage: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang künftig eigentlich das Deutsche Musikinformationszentrum? Zweite Zusatzfrage: Ist es sinnvoll, dass der Aufsichtsrat der Projekt GmbH von einem Repräsentanten der Bundespolitik geleitet wird? Ein Paranoiker könnte das als Aushebelung der bürgerschaftlichen Grundidee verstehen.

Andererseits gibt es – aus meiner Sicht derzeit etwas zu weit entfernt von der GmbH – den Verein „Deutscher Musikrat“. Dieser Verein sind Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren. Sie sind der Souverän des Deutschen Musikrates. Es ist Ihre Entscheidung, ob Sie die in der GmbH fokussierten Projekte zum Beispiel in eine gewisse Eigendynamik der Musikvermittlung entlassen wollen. Das könnte auch Kräfte frei setzen.

Vor allem aber ist es Ihre Entscheidung, inwieweit Sie die Partikularinteressen Ihrer Mitglieder untereinander vernetzen können: zu einer tragfähigen Plattform für Musikvermittlung im wie ich meine besten Sinne des Wortes. Ansätze dazu gibt es, ich habe eingangs einige Beispiele dafür genannt.

Diese tragfähige Plattform ist naturgemäß der Vereinsteil des „Deutschen Musikrates“. Er hat bislang – und dies schon sehr gültig – seine Rolle als Lobbyist für Ihre Interessen der Politik gegenüber hier in Berlin gefunden. Mit dieser Teilkompetenz ist der Vereinsteil des Deutschen Musikrates möglicherweise in der Lage, Initiativen aus Ihren Verbands-Reihen im Bereich der Musikvermittlung zu stützen und zu transportieren – und nicht zuletzt Projekte, die in diesem Bereich zusammenpassen, zu bündeln. Sie, die Generalversammlung, stehen vor zukunftsgestaltenden Entscheidungen. Es liegt auch in Ihrer Hand, eine bürgerschaftliche Grundlage dafür zu schaffen, als vierte Kraft in diesem Land kulturelle Demontagemaßnahmen wie die Vernichtung gewachsener Kulturinstitutionen (ich nenne jetzt nur das Münchner Rundfunkorchester, die Berliner Sinfoniker oder den ARD-Wettbewerb, alles wertvolle Instrumente der Musikvermittlung) zu verhindern. Sie stehen also vor einer schwierigen verantwortungsvollen Aufgabe. Als Begleiter von außen wünsche ich Ihnen eine gute Hand!

Theo Geißler

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