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nmz 2004/11 | Seite 33
53. Jahrgang | November
ver.die
Fachgruppe Musik
Alles ist Ambient im Soundsteinbruch
Offene Muster zwischen Lärmkampf und Wohlklangdressur ·
Von Udo Feist
Am siebten Tag sollst du chillen, sprach Gott, als er alles soweit
fertig hatte, und richtete schon mal die Lounge dafür ein:
Dämmerlicht, subtiles Sitzmeublement, erdige Farben und eine
Musik, in denen Bässe, wenn überhaupt, nur als leichtes
Donnergrollen weit hinten zu hören sind. „Entspann dich!”,
lautete dazu die Parole und Ambient der Name – Musik, die
angenehm umhüllen, umgeben soll. Und da Gott nun wirklich nicht
alles selber machen konnte, gab er den Musikjob an Brian Eno weiter.
Einen Besseren konnte er auch kaum finden, schließlich hatte
der eine ähnliche Schaffenswut hinter sich.
Der 1948 geborene, in einfachen Verhältnissen aufgewachsene
Brite, hatte mit 14 Jahren ein Hausboot, später einen alten
Doppeldeckerbus bezogen, wo er mit Musik und Drogen experimentierte.
Dann studierte er Kunst und begeisterte sich für Malerei, Klangskulpturen,
Bandmaschinen und Performances ebenso wie für Velvet Underground,
The Who, Steve Reich und John Cage, bis er zur Glam-Rock-Truppe
„Roxy Music“ stieß, mit Federboa und Make-Up einen
Transvestiten gab und soviel Furore machte, dass man ihn hinauswarf.
Das stille Multitalent wurde darauf zum Red Adair aller kreativen
Popbaustellen. Eno vereinte archaische Punk-Rohheit und elaborierten
Artrock mit zeitlosen Klanglandschaften – ein aufgeweckter
Musiksinnenmensch, der in Experimenten, vitalen Sounds und ungewöhnlichen
Wohlklangideen lebte, an der Chartsgrenze ebenso auffindbar wie
im Esoterikbauchladen. Schon die erste Soloplatte („Here Come
The Warm Jets“) lässt im Rückblick Ambient vermuten:
Eno änderte schrittweise Geschwindigkeit und Rhythmus, fügte
Schlagzeug und Kurzwellengeräusche hinzu und schuf aus seltsamen
Fundstücken Atmosphäre. „Emotion ist der Ort, an
dem Musik entsteht“, lautete sein kreatives Credo dazu.
„Discreet Music“ (1975) gilt als erstes Ambient-Werk:
„Ich hörte Regen und dazwischen etwas Musik, die wie
ein kleiner Kristall aus dem Rauschen herauskam – Musik an
der Schwelle zur Nicht-Musik.“ Die Fähigkeit, noch aus
Rasierklingenschwingungen angenehmen Klang zu machen, perfektionierte
sein Album „Another Green World“. Der Meilenstein folgte
mit „Music For Airports“ (1978), der als Auftakt einer
ganzen Serie seither unter „Ambient I“ firmiert und
Klangwelten Eric Saties mit Kaufhaus- und Fahrstuhlmusiken der Firma
Muzak verband: glockenklar, aber dezent umgesetzte Stimmungen rund
ums Fliegen. „Ambient I – Music For Airports“
machte Ambient Music schlagartig zum breit wahrgenommenen Begriff
für gehobene Hintergrundmusik – passend, fast statisch,
aber nicht banal. Sie müsse abgestimmt, Teil des Raumes sein,
für den sie gemacht ist, ohne überhaupt aufzufallen, erklärte
Eno, wobei er das auf solch dezent-hohem Niveau umsetzte, dass die
Grenze von Suggestion und Berieselung zu verschwimmen beginnt. Man
weiß mitunter nicht, ob er den Raum (wie etwa die Steppe auf
„Ambient 4 – On Land“, 1982) musikalisch imitiert
oder ihn quasi als dessen Urbild (als platonische Idee) überhaupt
erst erschafft.
Zwiespältiges Grenzland
Eine Art Feng Shui also, das er in den Popkosmos implantierte
und damit voll den Geist einer utopienmüden Epoche traf, deren
erkaltende 60er-Euphorie gerade mit Wassermann und -pfeife hinüberwaberte
in allerlei New Agiges und sonstwie harmoniebeflissene Nebenwelten.
Ein zwiespältiges Grenzland, in dem sich kosmische Zerstreuung,
Soundstreichelei und die Befriedungsintention von öffentlicher
Muzak-Beschallung einträchtig „Gute Nacht!“ sagten.
Arges hat Eno dabei wohl nicht gedacht, schwülstigen Seelenschwurblern
wie Kitaro aber doch den Weg bereitet. Die Ambient-Fährte lässt
sich indes auch mehr in Avantgarde-Serpentinen denn als Galatreppe
einer abrupten Schöpfung schildern. Entsprechend erzählen
die Evolutionisten eine andere, an Vorgeschichte und Zwischenformen
ungleich reichhaltigere Geschichte, die wie so vieles in den Futuristen-
und Dada-Zirkeln Anfang des 20. Jahrhunderts beginnt. Ganz zentral
steht dort der Italiener Luigi Rossolo, auf dessen Manifest „L’Arte
di Rumori“ (1913) mit der Forderung nach Erweiterung des Orchesterinstrumentariums
durch Maschinen-, Natur- und Schrei-, Stöhn- oder Röchelgeräusche
rasch die Umsetzung folgte.
Legendär ist die Aufführung seiner „Zusammenkunft
von Autos und Flugzeugen“ 1914 in Mailand, bei der elf Personen
krankenhausreif geprügelt wurden, während Rossolo unbeeindruckt
weiter an seinen elektrischen Lärmtönern hantierte.
Sicher näher an Ernst Jüngers Stahlgewitter-Erotik als
an Kitaro oder Eno, aber dennoch Ambient-relevant, denn die Idee,
Geräusche des umgebenden Raums (ob Natur, Stadt, Fabrik oder
Wohnung) zu integrieren, ist Kerngedanke aller Ambient Music, deren
Traditionslinien genauso bei „Tangerine Dream“ in ihrer
späteren Verkitschung wie bei den frühen, metallisch hämmernden
„Einstürzenden Neubauten“ münden können.
Als Stil- oder Genrebegriff taugt Ambient also herzlich wenig. Im
Grunde ist das eine programmatische Soundentscheidung, deren Durchführung
absolut gegensätzlich ausfallen kann. Ob als positivistische
Kunsteuphorie der Futuristen, wonach Neue Musik eben mit den Sounds
einer neuen Welt zu machen sei, an deren Schwelle man stehe, oder
als plausible Protestmimikry eines Frank Zappa: „Die Scheußlichkeiten,
die wir auf der Bühne veranstalteten, waren noch milde im Vergleich
zu denen, die die Regierung in unserem Namen inszenierte. Manchmal
findet man keinen Akkord, der häßlich genug klingt, um
auszudrücken, was man sagen will.“
Ein Ansatz, den in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts der so
genannte Industrial umsetzte und radikalisierte – durchaus
unter Ambient-Vorgaben mit brachialbrutalen Noiseorgien, zu denen
grausliche, semidokumentarische Filme liefen. Dabei diente –
wie schon Zappa und den „Mothers of Invention“ –
auch Pop als Umweltgeräusch, das allerdings, erst einmal durch
den Lärmwolf gedreht, kaum wiederzuerkennen war. Als akustischer
Angriff auf die pervertierte Wirklichkeit war das eindeutig und
für manche ästhetisch sogar zu goutieren, doch steckten
in der Motivation Sehnsuchtsambivalenzen, die einige Industrial-Protagonisten
später ins offen oder halb Faschistische abgleiten ließen.
Am Rande der Ravesociety
Ursprungsauthentizität lautete deren irrlichterndes Zauberwort,
das milde Ambientverschmelzer, wenn auch mit anderer Akzentuierung,
aber ebenfalls stets im Köcher führten.
Keilförmig dazwischen liegen die Ambient-Frickler der Technomoderne
wie Aphex Twin mit seinen „Selected Ambient Works Vol. II“
(1994) und Robin Rimbaud alias Scanner. Er wurde damit bekannt,
dass er in den Clubs live Musik aus Geräuschcollagen mixte,
die er zuvor im Straßenalltag der jeweiligen Stadt als Dokumente
aufgenommen hatte. Beide beweg(t)en sich virtuos am Rand der elektronischen
Ravesociety, deren Signum war, dass durch Sampletechniken nicht
nur die Popgeschichte, sondern die ganze Welt bis ins weiße
Rauschen zu einem Soundsteinbruch geworden war.
Das TakTakTak dieser Klangspechte und -forscher war dabei zwar
stets deutlicher zu hören als Außenstehenden ästhetisch
nachvollziehbar, doch ergab auch ihre Soundarbeit Klangwelten, in
denen viele gern und keineswegs bloß nächtens lebten.
Verschmelzung ließ sich darin ebenso finden wie Zerwürfnisse
mit der Wirklichkeit, Imitation oder meditative Versenkung, die
andere aus dem Einlassen auf Steinschwingungen oder Soundscapes
ziehen. Politischen Aktivisten bietet das Ambient-Feld gleichermaßen
Raum wie mancher vom Establishment begrüßte Muzak-Spannungsdämpfer
oder kosmogonische Schwelger.
Ob Tantrasex für die Ohren, Tauchfahrt in Elementeschwingungen
oder militanter Angriff auf Trommelfelle und alles Selbstverständliche,
Erweiterung, Konzentration oder Statement – in der medialen
Pophochmoderne ist irgendwie alles akustisches Ambiente und Ambient
der Versuch, es kreativ zu bannen oder den weit offenen Mustern
Gestalt zu geben beziehungsweise dort eine zu finden. Ambient ist
insofern nicht zuletzt virtuoses Staunen vor den Klängen der
Welt, das dabei fast jede Richtung einschlagen kann. In den CD-Regalen
der Musikkaufhäuser wird man darunter indes weiterhin vor allem
beruhigend Gefühliges finden, weil man dort nun mal Ordnung
braucht.