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nmz-archiv
nmz 2004/12 | Seite 10
53. Jahrgang | Dez./Jan.
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Humankapital
Mit der Entscheidung der Ministerpräsidenten der Länder,
die Erhöhung der Rundfunkgebühren nicht in der von der
KEF vorgeschlagenen Höhe zu genehmigen, ist der öffentlich-rechtliche
Rundfunk in einen Argumentationsnotstand geraten. Er muss einerseits
begründen, warum die rund 350 Millionen Mehreinnahmen nicht
genügen, und warum er andererseits ausgerechnet beim Kulturauftrag,
der ihn ja von den kommerziellen Sendern unterscheidet, nun den
Rotstift ansetzt und sich von Klangkörpern, Konzertreihen und
Minderheitensendungen trennen will.
Wohin
werden die Mehreinnahmen fließen? In die Personalausgaben
und Honorare sicherlich nicht, denn wie überall in der Wirtschaft
wird hier auch beim Rundfunk tüchtig abgebaut. Wahrscheinlicher
ist, dass ein Teil des Geldes vom ständigen Wettlauf um technische
Neuerungen verschlungen wird. Und noch wahrscheinlicher ist, dass
noch mehr in den Wettbewerb mit den Privaten auf dem Feld der Quotensendungen
fließt.
Vermutlich wird ein weiterer Teil auch in jenem schwarzen Loch
versacken, das wie ein Krebsgeschwür jeden ausschließlich
nach ökonomischen Gesichtspunkten betriebenen Umbau von Großunternehmen
begleitet: in den externen Beraterverträgen, im internen Verwaltungsmehraufwand,
in läppischem Werbeglamour. Und nicht zuletzt in den massiven
Abschreibungen auf das sogenannte Humankapital, bedingt durch eine
Demotivierung der Mitarbeiter, die sich in kommunikativen Reibungsverlusten
und schlechteren Produkten ausdrückt. Solche „Nebenkosten“
können sich zu einer fatalen Hypothek mit Außenwirkung
summieren. Nichts kann bekanntlich das Image eines ganzen Konzerns
so nachhaltig beschädigen wie ein Montagsauto.
In den Bilanzen tauchen diese Nebenkosten nicht auf, weil sie
sich einer buchhalterischen Bewertung entziehen. Wie soll sich die
Frustration eines Mitarbeiters über „die Hierarchen“
in Euro berechnen lassen? Wie schlägt die Häme auf der
Medienseite einer Tageszeitung zu Buche?
Bei den internationalen Multis ist die Lösung dieses Problems
einfach. Öffentlichkeit lässt sich notfalls auch kaufen,
und wenn’s nicht mehr läuft wie geplant, macht man einfach
den Laden dicht und eröffnet ihn in einem andern Land neu.
Das Personal wird kollektiv abgestraft, indem ihm die Existenzbasis
genommen wird. Diese Logik funktioniert nach dem altbekannten Prinzip
der Zerstörung der Ressourcen. Sind sie erschöpft, sucht
man nach neuem Rohstoff, und dann geht das Spiel von vorne los.
Solche Strategien kann sich ein großes Wirtschaftsunternehmen
leisten, dessen einziger Wert die Bilanzen sind. Ein kulturindustrielles
Unternehmen wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat hingegen
eine ökonomisch-kulturelle Doppelexistenz. Seine Entscheidungen
kann es deshalb nicht treffen ohne Rücksicht auf die sozialen
und kulturellen Normen der Gesellschaft, in der es verwurzelt ist.
Das macht die Lage der Öffentlich-Rechtlichen so unbequem.
Einerseits müssen sie – gezwungen durch den Druck der
Politiker, die sich ihrerseits auch Wirtschaftslogik beugen –
sich den ökonomischen Zwängen fügen und unternehmerische
Entscheidungen treffen, die kulturell gesehen sinnlos oder sogar
destruktiv sind. Aus Quotengründen machen sie sich zum Verkäufer
von dummen Seifenserien, endlosem Talkshow-Gequatsche, Klassikgedudel
und irrwitzig teuren Sportevents – selbst wenn diese das Gesamtbudget
ruinieren.
Andererseits müssen sie sich als Vertreter kultureller Interessen
profilieren, soll ihr Anspruch auf Gebührenfinanzierung überhaupt
noch legitim erscheinen.
Es gibt in der ARD zum Glück noch Verantwortliche, die diese
Problematik erkennen und sich nicht mit der kulturellen Blindheit
eines effizienzgeilen Managers über die in fünf Jahrzehnten
sorgsam aufgebauten kulturellen Vermögenswerte des öffentlichen
Rundfunks hermachen, als wären es schrottreife Ladenhüter
aus einer vormodernen Epoche.
Andererseits sind auf allen Ebenen der Hierarchie vermehrt die
aggressiven Töne zu vernehmen, die man aus Politik und Wirtschaft
kennt. Sie stammen von denjenigen, die sich im Einklang mit dem
Fortschritt und der Quote wähnen und Andersdenkende als Störenfriede
und als Deppen von gestern betrachten. Wenn Redakteure, die den
neuen Plaudermodus nicht begeistert unterstützen, in die Isolation
gedrängt werden, wenn Kritiker von außen, die sich für
die Beibehaltung von langen Sendestrecken einsetzen und zu diesem
Zweck eine Initiative „Das
GANZE Werk“ gründen, von Rundfunkverantwortlichen
als „selbsternannte Kultur-Ajatollahs“ apostrophiert
werden, wie in einem Medienmagazin neulich berichtet wurde, so sind
das keine guten Signale.
Dass mit Kommandowirtschaft auf Dauer nichts zu erreichen ist,
hat man in der DDR gesehen, und dass bunte Werbespots die Wirklichkeit
nicht zurechtlügen können, weiß man seit der jüngsten
Börsenblase. Selbst ein Bundeskanzler musste lernen: Nur mit
Dialog und überzeugenden Argumenten lassen sich nötige
Reformschritte dauerhaft in den Köpfen verankern.
Das gilt auch für den Rundfunk, und zwar nach innen und außen.
Wenn es den Öffentlich-Rechtlichen in Zukunft nicht gelingt,
die qualifizierte Minderheit der kulturell bewussten Meinungsträger
für ihre Sache zu mobilisieren, sind sie dem Dauerbeschuss
der Privaten und ihrer publizistischen Hilfstruppen schutzlos ausgeliefert.
Der neulich wieder in Donaueschingen vernehmbare Appell an die „Kollegen
von der Presse“, sich doch mehr für die Belange des Rundfunks
stark zu machen, verdankt sich vermutlich dieser Einsicht.
Die Kollegen von der Presse werden das sicher gerne tun. Doch
zuvor muss ihnen glaubhaft vermittelt werden, dass man ihre Äußerungen
nicht als ungebetene Einmischung in ein abgekartetes Spiel betrachtet,
sondern dass man sie als Dialogpartner ernst nimmt. Das sollte eigentlich
umso leichter fallen, als viele von ihnen auch als freie Mitarbeiter
für den Rundfunk arbeiten. Der Dialog wäre für beide
Seiten nützlich, denn es geht ums Überleben des öffentlichen
Rundfunks.