[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2004/12 | Seite 6
53. Jahrgang | Dez./Jan.
Magazin
Öffentlich-rechtlich oder öffentlich bestechlich
Gedanken über das duale System unseres Rundfunks ·
Von Klaus Bernbacher
Am 3. November fand im Bremer Haus der Bürgerschaft eine öffentliche
Anhörung durch die Medienausschüsse der fünf norddeutschen
Bundesländer Schleswig-Hostein, Niedersachsen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern
und Bremen statt. Gemäß §5a Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrages
erstatten alle zwei Jahre ARD, ZDF und Deutschland Radio den Landesparlamenten
einen Bericht über ihre wirtschaftliche und finanzielle Lage.
Auf
dem Podium saßen für die ARD deren stellvertretender
Vorsitzender Fritz Pleitgen (Westdeutscher Rundfunk), für das
ZDF der Intendant Markus Schächter, die Intendanten Heinz Glässgen
(Radio Bremen) und Ernst Elitz (Deutschlandradio/Deutschlandfunk),
vom Norddeutschen Rundfunk der stellvertretende Intendant Joachim
Lampe und seitens der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs
der Rundfunkanstalten (KEF) die Herrn Rainer Conrad und Horst Bachmann.
Also kein unbedeutender Kreis – aber was ist dabei herausgekommen?
In meiner Schilderung konzentriere ich mich auf Eindrücke,
die nicht schon in der Tagespresse aktuell behandelt wurden.
Wo bleibt der Aufschrei?
Grundsatzdebatten erforderlich. Foto: Martin Hufner
Einigkeit bestand in der Ablehnung der Gebühren-Beschlüsse
der Ministerpräsidenten, die durch offenkundig eigene Berechnungen
in die Unabhängigkeit und Kompetenz der KEF eingegriffen haben.
Die Herren Edmund Stoiber, Erwin Teufel, Georg Milbrandt und Peer
Steinbrück verbreiten bekanntlich die Auffassung, dass der
öffentlich-rechtliche Rundfunk genug Geld zur Verfügung
hätte. Die KEF beurteilt den Eingriff in ihre Aufgabe eher
taktisch, denn bei einem erfolgreichen Gang nach Karlsruhe wegen
der Verfassungswidrigkeit oder der Ablehnung durch die Länder
stellt Rainer Conrad die nüchterne Frage „Was dann?“.
Offenbar spielen im Hintergrund Befürchtungen eine Rolle, dass
die Bürger und in Folge auch politische Kreise in Zukunft auf
Grund der Angebote der Privaten, Gebührenzahlungen verweigern
könnten. Laut Fritz Pleitgen werden die Einnahmen des privaten
Rundfunks 2008 die des öffentlich-rechtlichen Rundfunks übersteigen!
Daher auch Fritz Pleitgens wichtige und dringende Forderung nach
einer Grundsatzdiskussion in den Parlamenten über das Thema
„Wie soll in der Zukunft das duale System der BRD aussehen?“.
In diesem Zusammenhang auch die Frage, ob zum Beispiel die USA unser
System oder wir das amerikanische übernehmen? Fritz Pleitgen
sieht ferner in den Beschlüssen der Ministerpräsidenten
Eingriffe, die Programmkürzungen zur Folge haben und zwar in
der Reihenfolge Unterhaltung, Kultur, Sport und Information! Intendant
Ernst Elitz listet die beachtlichen kulturellen Leistungen des Deutschlandfunks/Deutschlandradio
in Kooperation mit den Ländern auf, unter anderem die Präsentation
der ARD-Orchester in Berlin. Im übrigen erfreuen sich beide
nationale Radiosender immer größerer Beliebtheit! Es
ist absolut unverständlich, dass aus dem Gebührentopf
nach wie vor 0,32 Cent an die Landesmedienanstalten für die
Kontrollgremien der Privaten gezahlt werden. Die Privaten können
diese Aufwendungen heute und in Zukunft selbst übernehmen.
Für die Verblödung des Publikums à la „Big
Brother“ ist jeder Cent zu schade und muss kein Rundfunkorchester
sterben!
Für Radio Bremen, das den ersten politischen Schlag der Ministerpräsidenten
durch empfindliche Kürzungen des ARD-Finanzausgleiches hinnehmen
musste, erklärte Intendant Heinz Glässgen, dass die erzwungenen
Einsparungen, Personalabbau und Rationalisierungen weitere Abstriche
existenziell nicht mehr zuließen. Er wies auf die Kooperation
mit dem Norddeutschen Rundfunk und dem Westdeutschen Rundfunk hin
und hoffe auf die zugesagte ARD-Strukturhilfe nach Inkrafttreten
der Gebührenerhöhung.
Intendant Markus Schächter vom ZDF sorgt sich um die Position
des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Dialog mit der EU in
Brüssel. Einmal sei dort ein Generationswechsel der Beamten
zu verzeichnen. Begriffe wie „Rundfunk als Wirtschaftsware“
oder Abweichungen vom Amsterdamer Protokoll zeigen, dass die Europäische
Kommission das deutsche gebührenpflichtige Rundfunksystem im
Blickfeld hat. Hier gilt es seitens der Länder, die Rundfunkhoheit
zu verteidigen, das bewährte System des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks zu erhalten und seine verfassungsrechtlich garantierten
Entwicklungschancen wahrzunehmen.
Letztere Formulierung ist der „Bremer Erklärung“
entnommen, die als Entschließung auf der Tagung verabschiedet
wurde. Der Text erhält natürlich durchaus Richtiges. Es
ist aber bezeichnend, dass der einzige kritische Satz über
die „medienpolitischen Jahrhundertgestalten“ –
... Sie (die Medienausschüsse) kritisieren, dass die Ministerpräsidenten
Bayerns, Sachsens und Nordrhein-Westfalens das verfassungsmäßig
auferlegte staatsferne Verfahren der Gebührenfestsetzung außer
Kraft gesetzt haben – aus dem Entwurf herausgenommen wurde!
Außerdem hätte die Wahrung des Kulturauftrages angesichts
mancher Nervenschwäche der Rundfunkveranstalter schärfer
formuliert werden können!
Liest man die Rede Edmund Stoibers, die er auf der Münchner
Medientagung gehalten hat, so kann man sicherlich vielem zustimmen.
Nur in der politischen Arena wird dann meistens anders gehandelt.
Circa 280 Millionen Euro büßt der öffentlich-rechtliche
Rundfunk durch die jüngste Entscheidung ein.
Wo könnte nun gespart werden? Sicherlich bei den immensen
Sportrechten, der Verwaltungsapparat kann verschlankt werden. Im
Informationsbereich ist die Inflation der Talkshows unerträglich.
In den politischen Runden werden teilweise die „Krisen erst
hergequatscht“. Die Verwirrungen der Moderatoren, Politiker
und Journalisten sind oft nicht zu überbieten, der Überheblichkeit
keine Grenzen gesetzt. Man erlebt dort Quatschköpfe von „kosmischen
Ausmaß“!
Natürlich muss der öffentliche Rundfunk, und nur er ist
dazu in der Lage, die Gesellschaft darstellen. Aber muss bei finanziellen
Engpässen immer die musikalische Kultur als Drohgebärde
von den Chefetagen in Frage gestellt werden.
Man streicht in solchen Situationen gerne, was eigentlich immer
schon geplant war, wie die Gemeinschaftsaufgaben Bayreuther Festspiele,
internationaler ARD-Musikwettbewerb, Institut für Rundfunktechnik,
und immer wieder das Gerede um die hochqualifizierten ARD-Klangkörper,
wobei die Auflösung des tüchtigen und als all-round-Orchester
von den Aufgaben typische Rundfunkorchester des Bayerischen Rundfunks
schon vor der geringeren Gebührenerhöhung beschlossen
wurde.
Es muss auch die Rolle der Rundfunkräte angesprochen werden.
Über die ursprünglich unabhängigen gesellschaftlich
relevanten Kräfte versuchen entweder die politischen Parteien
und die jeweiligen Regierungskoalitionen in die Sender hineinzuregieren
oder die Gremien sind Wachs in den Händen der Intendanz. In
unserer Gesellschaft entstehen bekanntlich die meisten ökonomischen
Katastrophen durch das Versagen der Aufsichts- und Kontrollgremien.
Zur Abwehr von kulturfeindlichen Entscheidungen der Anstalten sind
in erster Linie die Rundfunkräte gefragt!
Es sollte die Sache im Vordergrund stehen und nicht die teilweise
erheblichen Sitzungsgelder! Der Alt-Politiker Heiner Geißler
hat in der Wochenzeitung „Die Zeit“ (Ausgabe Nr. 97,
11.11.2004) einen bemerkenswerten Wutanfall über die gesellschaftliche
und politische Entwicklung mit dem Titel „Wo bleibt der Aufschrei?“
geschrieben. Es ist höchste Zeit, dass ein solcher Aufschrei
der Kultur über die Medienwirklichkeit erfolgt! Kultur ist
mehr als ein wirtschaftlicher Standortfaktor. Darum nochmals zur
Erinnerung.
Adolf Grimme, preußischer Kulturminister a.D., und erster
deutscher Generaldirektor des damaligen Nordwestdeutschenrundfunks
nach dem Zweiten Weltkrieg definiert den öffentlich-rechtlichen
Rundfunk so: Qualität der Programme mit den Säulen Information,
Kultur und Unterhaltung und als Grundlage die Unabhängigkeit
vom Staat – noch Fragen?
Der Autor war bis 1995 Musikchef von Radio Bremen,
1995 bis1999 Abgeordneter der Bremischen Bürgerschaft, seit
1996 Mitglied im Radio Bremen Rundfunkrat