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nmz-archiv
nmz 2004/12 | Seite 6
53. Jahrgang | Dez./Jan.
Magazin
In Sorge um die Funk-Kultur
Ein offener Brief an den Intendanten des SWR, Peter Voß
Gestatten Sie mir, namens des Deutschen Musikrates auf Ihr Interview
in der Stuttgarter Zeitung vom 20.10. 2004 und die aktuelle Diskussion
um eine mögliche Neuordnung der SWR-Klangkörper einzugehen.
Der Deutsche Musikrat e.V. mit Sitz in Berlin und Bonn vertritt
als einer der größten Dachverbände in Deutschland
rund acht Millionen Mitglieder aus den Bereichen der Profi- und
Laienmusik, der musikalischen Bildung und der Musikwirtschaft.
Mit
Sorge und Zurückhaltung verfolgen wir die Diskussion um eine
nachhaltige Strukturreform der SWR- Klangkörper, zu deren Optionen
offensichtlich auch die Schließung von Chören und Orchestern
oder deren Zusammenlegung mit anderen musikalischen Einrichtungen
gehören.
Eine Abwägung der Argumente pro und contra einer Schließung
von SWR- Klangkörpern beziehungsweise von Fusionen muss –
auch vor dem Hintergrund unzureichender Gebühreneinnahmen –
zu dem Ergebnis kommen, dass der Schaden, der durch die angedachten
und einschneidenden Strukturmaßnahmen zu erwarten ist, für
alle Beteiligten, insbesondere auch den SWR selbst, deutlich höher
sein wird als der „Gewinn“ durch eine Verwirklichung
von Sparzielen.
Die zu erwartenden Mindereinnahmen des SWR sind in den kommenden
Jahren ohne Zweifel besorgniserregend. Auf der anderen Seite bewegt
sich das kulturelle Engagement des SWR mit 58 Millionen E bei nur
rund 6 Prozent des Gesamtbudgets Ihres Hauses. Herausragende Events
wie die Schwetzinger Festspiele, die Donaueschinger Musiktage, das
Bodensee-Festival, Ihre Beteiligung am ARD- Wettbewerb, Ihre Kammermusik-Konzertreihen
et cetera, aber auch Ihre Klangkörper insgesamt sind in der
oben genannten Summe bereits enthalten. Eines der besten Orchester
Deutschlands, das Radio- Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, macht
beispielsweise weniger als einen Prozent an den Gesamtkosten Ihres
Hauses aus und erwirtschaftet jährlich rund 1,5 Mio E Erträge.
Angesichts dieser Zahlen kann die erstaunte Feststellung doch nur
sein, wie wenig Ihre Klangkörper und sonstigen musikalischen
Aktivitäten kosten, nicht wie viel! Müssen wir in dieser
Situation den Rotstift nun wirklich dort ansetzen, wo eine spezifische
Musikkultur und international herausragendes Renomée entstanden
ist, wo SWR-Orchester- und Chormusik unmittelbar der Programmgestaltung
dient, wo Dialogfunktionen mit Hörern und jungen Menschen wahrgenommen
werden und wo Ihre musikalische Orchester- und Ensemble-Arbeit in
hohem Maße identitätsstiftend ist (war?!)? Ist es so
gleichgültig, was die vielen tausend SWR-Hörer oder die
über 2000 Abonnenten des Stuttgarter SWR Radio- Sinfonieorchesters,
die Fördervereine Ihrer Ensembles, die gesamte Kulturlandschaft
in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz denken werden, wenn
die besten Orchester und Ensembles zur Disposition stehen?
Lassen Sie uns bitte einen kulturpolitischen Scherbenhaufen vermeiden,
der durch eine Aufgabe von SWR- Orchestern oder des SWR-Vokalensembles
entstehen würde. Wir haben in Deutschland ohnehin einen drastischen
Orchesterrückgang zu verzeichnen, allein zwischen 1992 und
2002 wurden 30 Kulturorchester „abgewickelt“. Schon
seines kulturpolitischen Auftrages wegen darf sich der SWR niemals
zum Mitstreiter eines musikalischen Kahlschlages machen.
Hierum bitten wir Sie und die Entscheidungsgremien Ihres Hauses
auf das herzlichste.
Uli Kostenbader, Vizepräsident
Deutscher Musikrat e.V.