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nmz-archiv
nmz 2005/02 | Seite 8
54. Jahrgang | Februar
Magazin
Auslaufmodell Rundfunkklangkörper
Perspektiven für das Musikland Deutschland
Am 19. Januar 2005 lud der Deutsche Musikrat in Zusammenarbeit
mit dem WDR Pressevertreter zu einer Podiumsdiskussion ein. Teilnehmer
waren Monika Griefahn, Vorsitzende des Bundestagssausschusses für
Kultur und Medien, Martin Maria Krüger, Präsident des
Deutschen Musikrats, Thomas Schmidt-Ott, Chefmanager des Symphonieorchesters
und Chores des Bayerischen Rundfunks und Claus Strulick, Stellvertretender
Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung. Zugeschaltet
via Bildschirm war Fritz Pleitgen, Intendant des Westdeutschen Rundfunks.
Es moderierte Albrecht Dümling, Musikwissenschaftler und -kritiker.
Schließen,
Kürzen und Strukturveränderung sind die Stichworte in
der aktuellen Nachrichtenlage zum Thema Rundfunkklangkörper.
Der Beschluss der Ministerpräsidenten, die Gebührenanhebung
deutlich unterhalb der von der KEF empfohlenen Erhöhung anzusiedeln,
hat drastische Auswirkungen auf den Bildungs- und Kulturauftrag
des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Rundfunkklangkörper,
seit jeher tragende Säulen des Kulturlebens, werden in ihrem
Wirkungsprofil und ihrer Existenz mehr und mehr in Frage gestellt.
Im Interesse der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft ist
die Sicherung eines lebendigen Kulturlebens durch Politik und Kulturträger
dringend erforderlich.
Weltweit lebt Deutschlands guter Ruf als Kulturnation mit einer
reichen Musiklandschaft vom immer rascher verblassenden Ruhm vergangener
Zeiten. Seit längerem ist Sparen der Trend. Die Zahl der Berufsorchester
hat sich seit 1992 von 168 auf nunmehr 136 verringert, und ein Ende
der Durststrecke ist bisher nicht in Sicht. So eröffnete Dümling
seine Moderation. Bedrohen die allseits um sich greifenden Auflösungs-,
Verschlankungs- und Zusammenlegungsüberlegungen der Sender
die Substanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Werden hier
nicht in vorauseilendem Gehorsam Entscheidungen erwogen oder bereits
gefällt, die zu einer Kahlschlagsanierung vor allem im musikalischen
Sektor führen? Schwingt sich die Sparknute dort am leichtesten,
wo Volkesaufschrei eher ein schmerzvolles Stöhnen ist, weil
die Masse der Zuschauer und -hörer sich eher mit Sport- und
Talkprogrammen unterhält, denn mit Orchesterdarbietungen?
Monika Griefahn bestätigte den Bildungsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen.
Dazu gehört unverzichtbar die Arbeit der Rundfunkorchester
und -chöre, die insbesondere in theaterfernen ländlichen
Gegenden Leuchtturmfunktion haben. Gemäß dem alten Grundsatz
„Wer will, dass alles so bleibt, wie es ist, muss etwas ändern“,
hat beim Verteilungskampf um die Gebühren nur der eine reelle
Chance, der zu Zugeständnissen bereit ist. Abgesichert durch
großzügige Tarifverträge, behütet von moderaten
Arbeitsbedingungen haben sich viele Orchester über Jahrzehnte
ihres Bestehens komfortabel eingerichtet. In Zeiten knappen Geldes
ist aber das Kürzen satter Privilegien dem Streichen ganzer
Orchester vorzuziehen. Der Ruf nach finanzieller Unterstützung
durch den Bund ist kurzsichtig. Wer mitbezahlt, will auch mitbestimmen.
Die vielbeschworene Länderhoheit im kulturellen Bereich wird
so via pecunia ausgehöhlt.
Der Präsident des Deutschen Musikrats, Martin Maria Krüger,
kam in seinen Diskussionsbeiträgen immer wieder auf das Thema
Jugendarbeit zu sprechen. Was nützt der Kampf um Orchester-
und Chorbestand, wenn diese einer Vielzahl junger Leute nicht bekannt
sind und ein Absterben in weiten Hörerkreisen gar nicht zur
Kenntnis genommen wird. Was man nicht kennt, vermisst man nicht.
Für den Niedergang musikalischer Erziehung macht Krüger
die Bildungsministerien verantwortlich, deren Lehrpläne die
musischen Unterrichtsfächer fast aus dem Bildungskanon herausgedrängt
haben. Ein unzureichender Musikunterricht durch unfähige –
da unausgebildete – Lehrer tut ein Übriges, um Kindern
und Jugendlichen Musik, wie sie die Schule vermittelt, zu verleiden.
Musikunterricht ist nicht nur Wissensvermittlung durch Lehrbücher,
ist keine staubtrockene Hinführung zu überkommenen musikalischen
Kronjuwelen. Man sollte die Jungen dort abholen, wo sie stehen,
bei Rock und Pop, bei Rap und Disco. Selber zu musizieren ist allemal
wichtiger und beglückender als CDs zu lauschen. Sir Simon Rattle
macht’s uns vor, wie das geht, wie man sogar den Nachwuchs
so genannter „bildungsferner Schichten“ in begeisterte
Musiker verwandelt, an die Hand nimmt und in die weite, mannigfaltige
Musiklandschaft führt. Nur wenn die junge Generation musikalische
Kulturgüter mit Interesse und Engagement vereinnahmt, haben
die Musikprogramme der Sender Berechtigung und Zukunft. Das Heer
der Silberlocken gehört gehörig verjüngt. Dass Begeisterung
und der Wille zu harter Probenarbeit vermittelbar sind, zeigen die
jährlichen Young-Euro-Classic-Konzerte, Höchstleistungen
auf der Bühne, volle Säle, freudige und allem Neuen gegenüber
aufgeschlossene Begegnung mit der Musik bei den jungen Künstlern
und dem ebenso jungen Publikum. Doch musikalische Bildung tut nicht
nur Not, sie kostet auch Geld, PISA-Sieger Finnland gibt 3,2 Prozent
des Etats für Bildung und Kultur aus, Deutschland gerade einmal
0,8 Prozent. Rundfunkorchester und -chöre sind manchen Politikern
ein Dorn im Auge. Pleitgen rät, Flexibilität zu zeigen
und eine Mischung aus fest angestellten und frei engagierten Ensembles
zu wagen. Das Gespenst der wachsenden Bedrohung durch neue EU-Richtlinien
geistert durch manches Orchester und wird auch gern missbraucht
um machtvollen Drohgebärden größere Wirkung zu verleihen.
Die Privaten können jedoch nur dort Marktanteile erobern, wo
die Sender ihre Klangkörper nicht als nationale Repräsentanten
stabilisiert haben und bereit sind, sie auch zu schützen. Überholte
Strukturen zeitgemäß zu verändern, Ängste der
Betroffenen zu verringern, indem man gewandelte aber sichere Arbeitsbedingungen
schafft, sind vordringliche Aufgaben, die rasch und individuell
angepasst gelöst werden müssen. Rundfunkklangkörper
sind, so Fritz Pleitgen, bei Bereitschaft zur Umstrukturierung kein
Auslaufmodell.