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nmz-archiv
nmz 2005/03 | Seite 47
54. Jahrgang | März
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Spin Doctors
Zeit ist Geld, heißt der alte Spruch, und seine Wahrheit
beruht auf einer stillschweigenden Voraussetzung: Zeit ist eine
knappe Ressource. Wer sie für etwas investiert, muss dafür
gute Gründe haben. Entweder ist er gezwungen, sie in Arbeit
zu stecken, um das Leben zu reproduzieren. Oder er macht es freiwillig,
das heißt, er investiert seine „Freizeit“ in Form
von Aufmerksamkeit in das Objekt seiner Begierde oder in das, was
er dafür hält. Und weil freie Zeit und Aufmerksamkeit
ein knappes Gut sind, wird um sie ein Dauerkrieg geführt –
von denen, die uns etwas verkaufen wollen und unsere Aufmerksamkeit
dafür beanspruchen. Das ist der Ursprung der Werbung und die
Ursache für all den Wort- und Bilderschrott, der täglich
von den Werbeflächen im öffentlichen Raum und aus den
Medien auf uns einprasselt.
Heute sind ganze Wirtschaftszweige nur damit beschäftigt,
uns im Auftrag anderer etwas einzureden, und neue Wissenschaftsdisziplinen
sind entstanden, die die Methoden der Beeinflussung ständig
weiter perfektionieren. Eine Armee von Spin Doctors, PR-Managern,
Imagepflegern, Kommunikationsberatern, Kampagnenleitern und Pressesprechern
überzieht den öffentlichen und privaten Raum mit einem
Mehltau von Floskeln, die ebenso smart wie inhaltsleer sind und
nur eines bezwecken: uns die Marke eines Produktes einzuhämmern.
Die Marke kann EON, CNN, Bush, Der Kaiser, Revolution in Orange
oder sonst wie heißen, die Methoden und Ziele sind stets dieselben.
„Die Wahrheit ist nur insofern wertvoll, als sie wirksam
ist.“ Das ist bis heute der Grundsatz jedes Spin Doctors.
Der pragmatische Aspekt der Sprache wird verabsolutiert im Hinblick
auf die angestrebte Wirkung. Der Satz stammt aus dem 1926 erschienenen
Buch „Die Kunst der Massenbeeinflussung in den Vereinigten
Staaten von Amerika“ von Friedrich Schönemann, der später
unter den Nazis eine Universitätskarriere in Berlin machte.
In seiner Serie „Der Zweite Weltkrieg“ schreibt der
„Spiegel“, dass Goebbels dieses Buch als direkte Anleitung
für seine Propagandaschlachten nehmen konnte. Was in den USA
schon damals als Reklametechniken für den Warenkonsum gang
und gäbe war, wurde von ihm „umfunktioniert“ zur
politischen Waffe mit dem Zweck, den Gegner zu vernichten. Statt
Kaufanreizen schürte er Hass, statt der Marke Coca Cola verkaufte
er die Marke Hitler. Es funktionierte prächtig, wie man weiß.
In einer korrumpierten, auf Überredungsstrategien reduzierten
Sprache wird Wahrheit rein instrumental aufgefasst, und Schönemanns
Lehrsatz lässt sich dann auch so lesen: „Nur was wirksam
ist, ist wahr.“ Wahrheit als Funktion des Erfolgs. Wenn Millionen
dem Führer zujubeln, kann er doch nicht irren. Wenn Millionen
die neue Show einschalten, muss der Sender damit doch richtig liegen.
Neulich wurde dieser pervertierte Wahrheitsbegriff auch auf den
zynischen Nenner gebracht: Leute, produziert Scheiße, Millionen
Fliegen können nicht irren!
Die pragmatische Loslösung der Sprache von ethischen Normen
hat eine Vorgeschichte. Schon vor über 120 Jahren zündelte
Nietzsche im stillen Kämmerlein mit seinen frivolen Gedankenspielen
von Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn. Einige
Jahrzehnte später machten große Demagogen wie Lenin und
Goebbels aus den Spielen Ernst. Eine moralfreie Sprache diente ihnen
dazu, die Massen aufzuputschen und ihnen Feindbilder einzubläuen.
In unserer aufgeklärten Gesellschaft verfängt solche Frontalagitation
nicht mehr. Die Methoden der Beeinflussung haben sich verfeinert.
Politik verkauft sich nicht mehr durch das Schüren von Aggressionen,
sondern durch den Appell an Wellness- und Sicherheitsbedürfnisse.
Wohlfühlen setzt Sicherheit voraus, und deshalb toleriere ich
auch gerne all die Schweinereien, die angeblich im Interesse meiner
Sicherheit von militärischen und ökonomischen Special
Forces verübt werden. So lange es nicht vor meiner Haustür
passiert.
Auf dem sich selbst regulierenden Wahrheits- und Meinungsmarkt
sollten die Aussagen möglichst biegsam formuliert werden, damit
kein potentieller Kunde verärgert wird. Vorbilder sind die
aalglatten Nullinformationen der Wirtschaftsbosse. Sie sind die
echten Dialektiker unter den medialen Sätzeproduzenten und
verdrehen noch jeden Pfusch in Imagegewinn, jede Betriebsschließung
in eine arbeitsplatzerhaltende Maßnahme. Da wirkt ein Außenminister,
der trotzig erklärt, er wolle „die Verantwortung für
die Fehler übernehmen“, schon beinahe wieder ehrlich.
Doch so lange er nicht entsprechend handelt, ist auch das nur ein
brillanter Spin.