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nmz-archiv
nmz 2005/03 | Seite 44
54. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Ein Repertoire der Moderne auf engstem Raum
Zum Festival UltraSchall für Neue Musik Berlin 2005
Das UltraSchall-Festival für Neue Musik in Berlin, ausgerichtet
vom DeutschlandRadio Berlin und dem Rundfunk Berlin-Brandenburg
(rbb), hielt „neugierige Zeitgenossen mit offenen Ohren“
in Bewegung. Klangliche Projektionen turbulenten und schwindelnd
zeitgenössischen Denkens zogen in ihren aktuellen Bann. Zwei
Orchester-Konzerte, vier Gesprächsrunden mit Komponist/-inn/-en,
zwei Musiktheater Projekte, eine Klanggalerie, Porträt-, Kammerkonzerte
und Kammermusik – insgesamt 24 Veranstaltungen in zehn Tagen
– hielten auch im Wechsel der Locations auf Trab: von den
Sendesälen des rbb, den multimedialen neuen Studioräumen
im Schinkelschen Konzerthaus bis zu den Sofiensälen/Berlin
Mitte mit ihrem morbiden Charme.
Das Deutsche Symphonie-Orchester
Berlin mit George Benjamin. Foto: Kai Bienert
Seit seiner Gründung 1999 hat UltraSchall sich zu einem wichtigen
Ort für Neue Musik in Deutschland etabliert. Die Draht- zieher
Rainer Pöllmann (DeutschlandRadio Berlin) und Martin Demmler
(rbb) bündeln Werke, die ihre Uraufführung in den letzten
zehn Jahren hatten, mit Klassikern der Avantgarde zu einem inhaltlich
aussagefähigen Programm. Einerseits bildet sich dadurch ein
Repertoire der Moderne, andererseits stellen Wiederaufführungen
die Werke – durch neuen Kontext – auch in anderes Licht.
Dies weist gelegentlich auf Entwicklungstendenzen hin, stellt aber
weniger exlaborierte Ton-Schöpfungen durch (un-)beabsichtigte
Konfrontation auch mal in den Schatten. Gleichwohl fanden heuer
zwanzig Uraufführungen statt.
Die bestens disponierten Stuttgarter Neuen Vocalsolisten faszinierten
mit ihrer packenden wie sprühenden Bühnenpräsenz:
„Musik für imaginäres Theater“ ließ
nicht nur aufhorchen, sondern auch zusehen. Gestische Züge
charakterisieren die Musik und die Darstellungen affektiver Zustände
suggerieren theatralische Handlung. Bemerkenswert die ausgereifte
Mischung von Inhalt, Ausdruck und Form, in „was fliehen Hase
und Igel…“, in der eine Bäuerin spöttisch
ihr eigenes Begräbnis erzählt (Text: Einar Schleef). Der
junge Russe Sergej Newski fand seine überzeugende Klangsprache
von melodramatisch bis ironisch, die unbedingt neben „A-Ronne“
von Luciano Berio Bestand hat. Diese spät von Berio autorisierte
Version, ohne steinzeitliche live Elektronik von 1974, ist so hinreißend
wie verblüffend. Obwohl der Text sich 20-mal wiederholt, fächern
sich Gefühlswelten von A bis Z in Miniaturdramen auf. Scheinbar
aus der Improvisation gewonnen wirken dagegen die fünf (Sicht-)Weisen
zur Situation: „he wants his cowboys to sound like how he
thinks cowboys should sound“ von Jennifer Walshe rätselhaft
stereotyp: durch Rhythmus der Gestik, emotionale Tendenzen, eindimensional
und durch Lichtspots wie gezappt.
Ein eigenes Konzert porträtierte Walshe als Gast des Berliner
Künstlerprogramms des DAAD. Bravourös virtuos, in ungewohnter
Stimmlage und neuartig melodiös interpretierte sie Schwitters
Ursonate (1921) ebenso selbstverständlich wie ihre „natur
data“, eine live Datenbank für circa 200 Tierlaute. „Merzmusik“
im 21. Jahrhundert! Mit heller Freude hätten vermutlich Schwitters
und Walshe zusammen „gemerzt“, heute mit den Reminiszenzen
der Pop-Kultur, alltäglichen Geräuschen (unrein und redundant
bevorzugt) und um theatralische Sinngebung erweitert, bis hin zum
Slapstick für Augen und Ohren: Fäden zerreißen,
Deo sprühen, das Knistern eines Transistorradios, Salz rieselt
auf Papier, so erzählt Walshe „weiblich“ (?) verhalten,
an der Grenze des noch Hörbaren, was bei Mathias Spahlinger
in „éphémère“ (1977)„veritable
Instrumente“: Bierflaschen, Kochtöpfe, Nägel…
krachend repräsentieren. Im Deutschen Herbst entstanden, als
Befreiung des Klangs, mit weiterreichender ästhetischer Sinngebung
und politischer Konnotation. Wer nicht aufmerkte, wurde unter Umständen
gar mit Bonbons beschossen, als „der Klassenfeind“ gegenwärtig
schien, „gesellschaftliche Relevanz“ nicht Worthülse,
sondern Lebenshaltung bedeutete, die ihren Ausdruck aufspürte.
Bei Walshe ist eine verhalten stille Lust an Oberflächlichkeit,
an der vieles abgleitet, wahrzunehmen. Ein Rückzug ins Leise
und „Nicht-Entwickeln“, bis zum Spiel mit offenem Widersinn,
wenn die Percussionistin Daunenkissen vorm Mikro ausschüttelt.
Provokation oder Erneuerung des Hörens? Entledigt sich Musik
nebenbei ihres ureigensten Ausdrucks, des Klangs?
Bemerkenswert aus dem Konzert zum reizvollen Thema „Erinnerung
an die Revolution“ in der garantierten Qualität des ensemble
recherche: Isabel Mundry „traces des moments“ –
Spuren eines Moments im Raum – esonanz und Spiegelungen von
Impulsen feinst ausgehört und durch die Klangfarbenpalette
ausgereizt; Sebastian Clarens formales Experiment mit „Potemkin
I: Baby-Baby“, indem er aus Sergej Eisensteins Filmikone „Panzerkreuzer
Potemkin“ die Schnittfolgen, Kameraeinstellungen in entsprechende
Intensitätsgrade auf musikalische Parameter übertrug.
Zwanzig Minuten konzertante spannende Erzählung, die den Film
nicht dupliziert oder kommentiert, gleichwohl sie unterlegt werden
könnte. In ähnlicher Analyse übertragen, wirkte Clarens
„Charms: Dub“ (UA) indessen amorph, obgleich das Rundfunk-Sinfonieorchester
Berlin unter der Leitung von Lucas Vis im sinfonischen Schlusskonzert
alles gab. Ergreifend spielten sie die pralle Vitalität und
Klangphantasie der Neufassung „On the other side“ von
Adriana Hölszky. Das Orchester und die drei Solisten, gleichwertig
balanciert, generierten in der Qualität der Bewegung einen
Klang, dessen Ordnung der Tonhöhen im Raum und nicht im Rhythmus
anzusetzen schienen, quasi holographisch. Im verhaltenen Eröffnungskonzert
des Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, es dirigierte George Benjamin
ließ die Uraufführung von James Olsens „Quiet enjoyment“
aufhorchen: Beharrlich abgerissener Melodiefluss webt unter flächigen
Strukturen, verschiebt sich permanent und mutiert bis zur Unkenntlichkeit.
Die„szenische Erzählung mit Musik“ St. Jago, als
Referenz zum nahenden 75.Geburtstag von Dieter Schnebel, legt im
Libretto Biografie und Werk Kleists zu Grunde, eine fragwürdige
Verknüpfung. Die szenische Deklamation des Kleistschen Sprachverlaufs,
ohnehin schwierig zu handhaben, ließ in Schwarz-weiß-Stilisierung
und strenger 1:1-Inszenierung durch Cornelia Heger eigene bildreiche
Phantasie vermissen. Eine Qualität, die das Raumschiff „Kommander
Kobayashi“ der Gemeinschafts-Opernsaga von Moritz Eggert,
Helmuth Oehring und Jennifer Walshe im Übermaß aufwies.
Ein Zoomen auf die „Suche nach einer Mission als eigentliche
Mission“ hätte der Odyssee inhaltlich und dramaturgisch
mehr Tiefe verliehen.