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nmz-archiv
nmz 2005/03 | Seite 45-46
54. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Streifenblende und Schmatz-Beat
Multimediale Glocken-Klang-Bilder im ZKM · Von Silke Blume
Handglockenchor, ökumenische Gottesdienste und öffentlicher
Glockenguss – das Programm der Europäischen Glockentage
2004 in Karlsruhe war bunt und vielfältig und umfasste Ausstellungen,
Vorträge und viel interessante Musik vom Gambenconsort bis
zu multimedialen Glockenimpressionen.
Ein Stipendium winkte dem Gewinner des internationalen Kompositionswettbewerbes,
den das Institut für Musik und Akustik des ZKM (Zentrum für
Kunst und Medientechnologie) aus Anlass der Glockentage ausgeschrieben
hatte. 21 Komponisten beteiligten sich und letztlich wurden drei
Stipendien statt einem vergeben. Als Grundlage der jeweils circa
20-minütigen Werke sollten die klanglichen Eigenschaften von
Kirchenglocken und deren elektronische Manipulation dienen. Die
drei Stipendiaten haben bereits zahlreiche Preise eingeheimst. Der
aus Argentinien stammende Komponist Mario Verandi studierte Musik
und Informatik und erwarb 2001 seinen Doktortitel im Fach Komposition
an der University of Birmingham. Er gewann den Wettbewerb mit „Bellscape“
einem „akusmatischen“ Zwei-Kanal-Stück, aufgeteilt
auf 14 Lautsprecher, einer Reise durch eine sich ständig verändernde
Klanglandschaft. Verandi hat sich vor allem mit dem unharmonischen
Frequenzspektrum von Glocken und ihren Charakteristika beim Verklingen
beschäftigt. Entstanden ist ein Diskurs zwischen realen und
computergenerierten Glockenklängen. Durch Überlagerungen
gibt es wabernde Halleffekte, oder leichte Tonhöhenschwankungen,
die an die Glasharmonika erinnern. Carillonmelodien im Quintraum
sind zu hören, Glocken, die mit Ruten oder Besen angeschlagen
werden, dazu Klöppeldiminuendo, Becken, elektronisches Blubbern
und Geräusche wie Tröpfeln auf ein Xylophon. Ohrenfutter
mit viel Abwechslung, eine akustische Reise doch ohne Struktur im
engeren Sinne, aber die hatte der Komponist ja auch gar nicht beabsichtigt.
Andre Bartezki erhielt sein Tonmeisterdiplom an der Hochschule
für Musik „Hanns Eisler“ und hat regelmäßig
Lehraufträge zu Themen elektroakustischer Musik. Ihn reizten
an Glocken die polyrhythmischen und Phasen- Verschiebungen. „Einklang“
für acht Lautsprecher und multiples Video (auf elf Monitoren)
beschäftigt sich mit dem Phänomen, dass der Mensch versucht
einen eindeutigen Schlagton „zurechtzuhören“ und
aus den verschiedenen Pendelschlägen eines Geläutes einen
übergeordneten Rhythmus zu erfassen. Ausgangspunkt ist der
Klang eines einzelnen hohen Schlags eines kleinen koreanischen Glöckchens
in Bienenstockform; die große Version wird mit einem Baumstamm
angeschlagen. Bei den Miniexemplaren sind keine Obertöne mehr
wahrnehmbar. Mit diesen hellen, silbrigen Klängen hat Bartezki
Tonaufnahmen aus einer Glockengießerei kombiniert. Auch die
Videos stammen von dort. Eine vertikale Streifenblende verdeckt
zunächst den Großteil; peu à peu nimmt die Breite
des Streifens zu, bis das komplette Bild zu sehen ist. Teils sind
es untypische Bilder von Wasserhähnen und Kabeln, teils typische
von glühendem Erz, prasselndem Feuer oder einer fertigen Glocke
mit der Inschrift „Höret, so wird eure Seele leben“.
Die Bilder werden in der Horizontale gevierteilt und die Streifen
gegeneinander verschoben. Zuweilen korrespondieren Bild und Ton,
wie beim Prasseln. Dann werden die Arbeitsgeräusche neu geordnet:
periodisches Donnern entsteht – das Glockengießergewitter,
eine andere Struk-tur, aber kein „Einklang“.
Frank Niehusmann hat ein Philosophiestudium absolviert und arbeitet
als freischaffender Komponist vorwiegend mit Computern. Sein Live-elektronisches
Konzert für vier Lautsprecher trägt den Titel „Was
da los ist“. Ihn interessiert der „soziale Kontext“,
da Glocken auch als Alarm- und Signaltöne dienen. Die Form
bezeichnet Niehusmann als „Zitat“, denn er steht mit
einem Midi-Keyboard auf der Bühne – wie im guten alten
Konzertsaal. Er arbeitet mit Samples von Kirchen- und Kuhglocken,
lautem Muhen und einem deftigen Schmatz-Beat, Gongs, megaphonverstärkter
Sprache oder Krankenwagensirenen. Bei seiner Live-Performance ergibt
sich ein rhythmisch dichtes Geflecht aus Siebensekundenloops, bei
dem der aufmerksame Zuhörer ständig mit der Frage beschäftigt
ist „Was da los ist“. So war es gedacht.
Die prämierten Werke sind hörenswerte Auseinandersetzungen
mit dem Thema Glocken, Gratwanderungen zwischen Spielereien und
Kompositionen.