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nmz-archiv
nmz 2005/03 | Seite 44
54. Jahrgang | März
Oper & Konzert
Miteinander statt Gegeneinander
Internationaler Wettbewerb Verfemte Musik Schwerin
Wettbewerbe können in Zeiten des harten Musik-Business zur
Beförderung manch vielversprechender Musikerkarriere mehr als
hilfreich sein. Auch, wenn sie dem wirklichen Geist des Musizierens
– wo es doch um ein Miteinander, um Austausch geht –
durch das Prinzip der Konkurrenz und des Leistungsvergleiches eigentlich
widersprechen. Bei einem Wettbewerb, bei dem es um „Verfemte
Musik“ geht, scheint sich diese Problematik noch zu verstärken.
Viele Komponisten mussten während des Nationalsozialismus emigrieren
oder sie kamen in den Gaskammern um. Ihre Musik war in dieser Zeit
verboten und geriet daher in Vergessenheit. Manch überlebende
Zeitzeugen, Musiker wünschen sich heute die Rehabilitierung
der einst verfemten Musik, und vor allem, dass sie Eingang finde
in den so genannten „normalen“ Konzertbetrieb. Bei Komponisten
wie Viktor Ullmann oder Hans Krása zeichnet sich in den letzten
Jahren auch durchaus eine positive Entwicklung ab.
Wird die „Verfemte Musik“ nun bei einem Wettbewerb zum
Thema gemacht, also ausschließlich gespielt, so sollte das
Problem der Ghettoisierung zumindest kritisch bedacht werden. Dass
der von der Jeunesses Musicales Mecklenburg-Vorpommern zum dritten
Mal ausgetragene Wettbewerb (Leitung Volker Ahmels) dieser Gefahr
auf ganz eigene Weise begegnet, sollte zum Nachahmen anregen.
Was den Wettbewerb „Verfemte Musik“ zu einem vielschichtigen
Projekt, zu einer anregenden Stätte der Begegnung macht, ist
das umfangreiche Rahmenprogramm. Neben den Wettbewerbsvorspielen
in den Kategorien Kammermusik, Gesang und Klavier solo gab es zwei
Ausstellungen, Konzerte, Lesungen, eine Filmvorführung, ein
Komponistenportrait, Möglichkeiten des Austausches mit Zeitzeugen.
Eine der bewegendsten Veranstaltungen war etwa die „Hommage
an Brundibar“, ein Abend, der genau am 61. Jahrestag der Uraufführung
(23.9.1943) dieser Kinderoper von Hans Krasa stattfand. „Brundibar“
war im Ghetto Theresienstadt über 50 Mal aufgeführt worden,
ein zauberhaftes Stück, in dem schwache Kinder durch Solidariät
über das eigentlich stärkere Böse triumphieren. Bei
dieser Hommage waren acht Zeitzeuginnen anwesend, die von den Aufführungen
berichteten. Dieselben Zeitzeuginnen sind auch die Hauptpersonen
in einem mehr als lesenswerten Buch: „Die Mädchen von
Zimmer 28“ (Droemer Knaur) der Berliner Autorin Hannelore
Brenner-Wonschick, das vom Alltag der Mädchen in Theresienstadt
berichtet. In Schwerin gab es nicht nur eine Lesung aus dem Buch,
sondern eine hoch spannende Ausstellung mit zahlreichen Dokumenten
und Informationen aus dieser Zeit. Glücklicherweise wird diese
Ausstellung durch viele Städte „weiterwandern“.
Die Vorführung des Charlie Chaplin-Filmes „Der große
Diktator“ von 1940 zeigte den kritischen Blick auf Facetten
des Nationalsozialismus mit komödiantischen Mitteln. Es war
der Sohn von Charlie Chaplin, Michael Chaplin in Schwerin, der über
die Gedanken seines Vaters zum Faschismus und seiner künstlerischen
Antwort darauf einen exzellenten Vortrag hielt.
Die rund 60 Teilnehmer kamen aus aller Welt (aus Israel, Polen,
Frankreich und Deutschland). Dass der Wettbewerb erstmals auch international
war, bedeutete im Vergleich zu den Vorjahren eine erhebliche Niveausteigerung.
Das Graffe Quartett aus Prag bot eine reife Interpretation einer
Fuge von Gideon Klein, mit ungeheurem Gespür für Klangsinn
und dramaturgischer Spannungsdisposition, auch die zweiten Preisträger
– das Bläserquintett der Jungen Deutschen Philharmonie
– agierten auf diesem Niveau. Hervorragend auch der Sieger
in der Kategorie Gesang, der Bariton Matthias Flohr, der unter anderem
feinsinnige Lieder von Viktor Ullmann bot. Vielversprechend der
erst 17-jährige Tscheche Lubos Skala, ein Bariton, der nicht
nur ein wunderbar warmes Stimmtimbre hat, der auch etwa Lieder von
Bohuslav Martinu unglaublich anrührend vorstellte. In der Kategorie
Klavier boten die beiden Preisträger Gints Racenis (Lettland)
und Clemens Berg (Deutschland) absolut professionelle Interpretationen.
Wichtiger aber ist, dass es bei diesem Wettbewerb mehr um das
Miteinander als um das Gegeneinander geht. Die vielfältigen
Möglichkeiten, sich lebendig mit Geschichte auseinander setzen
zu können und damit den Erfahrungshorizont zu erweitern, werden
sich fruchtbar auf das Bewusstsein dieser jungen Künstler auswirken.