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nmz-archiv
nmz 2005/03 | Seite 34
54. Jahrgang | März
Deutscher Kulturrat
Das Erbe von Präsident Prodi
Was Kultur mit der Dienstleistungsrichtlinie zu tun hat ·
Von Olaf Zimmermann
Ein Erbe der alten EU-Kommission unter Präsident Prodi, deren
Amtszeit im Herbst des letzten Jahres zu Ende ging, ist der Vorschlag
einer EU-Richtlinie zu Dienstleistungen im Binnenmarkt, kurz EU-Dienstleistungsrichtlinie
genannt. Der damalige Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein hat
den Richtlinienvorschlag unterbreitet, der sich nun im parlamentarischen
Verfahren des Europäischen Parlaments befindet.
Von der geplanten EU-Dienstleistungsrichtlinie verspricht sich
die EU-Kommission einen Wachstumsschub für den europäischen
Binnenmarkt. Die Staats- und Regierungschefs hatten bei ihrem Gipfel
in Lissabon im März 2000 vereinbart, den europäischen
Binnenmarkt bis zum Jahr 2010 zum dynamischsten wissensbasierten
Wirtschaftsraum weltweit zu entwickeln. Bereits heute gehören
die Dienstleistungsbranchen zu den wichtigen Wachstumsmärkten.
Kernstück der EU-Dienstleistungsrichtlinie ist ihr horizontaler
Ansatz. Das heißt, alle Dienstleistungen, egal ob es sich
um Unternehmensberatung, Steuerberatung, Autovermietung oder aber
um Kultur handelt, werden über einen Leisten geschlagen. Dabei
versteht die EU unter Dienstleistung jede Leistung, der eine wirtschaftliche
Gegenleistung gegenübersteht. Das heißt, in dem Moment,
in dem eine Eintrittskarte für den Eintritt in ein Museum,
ein Konzerthaus oder ein Theater gelöst wird, beginnt die Dienstleistung.
Gleiches gilt für Jahresgebühren von Bibliotheken, für
Elternbeiträge für Musikschulen und so weiter. Dabei interessiert
auf der europäischen Ebene nicht, ob die Entgelte einen tatsächlichen
Beitrag zur Deckung der Kosten leisten können. Allein die Tatsache,
dass ein Entgelt erforderlich ist, reicht zur Klassifizierung als
Dienstleistung. Ausgenommen sind rein hoheitliche Handlungen, bei
denen kein Entgelt verlangt wird.
Zweiter Ansatz
Der zweite wesentliche Ansatz der geplanten EU-Dienstleistungsrichtlinie
ist das so genannte Herkunftslandprinzip. Das heißt, der Dienstleistungserbringer
soll ausschließlich den Rechtsvorschriften seines Herkunftslandes
unterliegen. Dieses gilt für Tarif- und Sozialstandards genauso
wie für Qualitätsstandards oder die erforderliche Ausbildung.
Ein Architekt aus einem EU-Mitgliedsstaat könnte nach einer
Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie in Deutschland aktiv
werden, auch wenn er nach geltendem deutschen Recht hier nicht planerisch
tätig werden dürfte beziehungsweise Bauten betreuen könnte.
Auch würde ein Orchester aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat,
das in Deutschland statt eines deutschen Orchesters arbeitet, ausschließlich
den Rechtsvorschriften und Tarifbindungen seines Heimatlandes und
nicht mehr den deutschen unterliegen. Ebenso könnten ausländische
Verwertungsgesellschaften, die keiner so strengen Kontrolle wie
die deutschen unterliegen und qua Gesetz keine kulturelle und soziale
Verantwortung übernehmen müssen, auf dem deutschen Markt
auftreten.
Waren besonderer Art
Der Deutsche Kulturrat hat in seiner Stellungnahme „Deutscher
Kulturrat warnt vor Verabschiedung der EU-Dienstleistungsrichtlinie“
(abrufbar unter http://www.kulturrat.de)
davor gewarnt, die EU-Dienstleistungsrichtlinie in der jetzt vorliegenden
Form zu verabschieden.
Kunst und Kultur sind zwar teilweise auch Waren, sie sind aber
Waren besonderer Art und bedürfen daher eines besonderen Schutzes.
Der horizontale Ansatz der geplanten EU-Dienstleistungsrichtlinie
kann und will den Besonderheiten der einzelnen Wirtschaftsbereiche
nicht gerecht werden. Eine Anwendung der geplanten EU-Dienstleistungsrichtlinie
auf den Kulturbereich könnte großen Schaden anrichten
und das bestehende ausdifferenzierte, kulturelle Leben in Deutschland
gefährden.
Es ist daher sehr erfreulich, dass Bundeskanzler Schröder
bei seinem Treffen mit Kommissionspräsident Baroso im Februar
dieses Jahres angeregt hat, einzelne Sektoren aus dem Anwendungsbereich
der geplanten EU-Dienstleistungsrichtlinie herauszunehmen. Zu diesen
Sektoren, für die es Ausnahmeregelungen geben soll, gehört
neben dem Bildungs- auch der Kulturbereich. Dennoch ist die Frage,
ob eine Ausnahmeregelung den Kulturbereich dauerhaft schützen
kann. Sobald erste Klagen beim Europäischen Gerichtshof vorgelegt
werden, wird sich erweisen müssen, wie belastbar eine mögliche
Ausnahmeregelung sein wird.
Vorerst sind aber die Abgeordneten des Europäischen Parlaments
am Zug. Wie zu hören ist, sind bei der zuständigen Berichterstatterin,
der deutschen Abgeordneten Evelyne Gebhardt, eine Vielzahl von Änderungsanträgen
eingegangen. Der Widerstand gegen die geplante EU-Dienstleistungsrichtlinie
auch aus anderen gesellschaftlichen Bereichen, wie zum Beispiel
dem deutschen Handwerk, wächst, und neben Deutschland bestehen
noch in anderen EU-Mitgliedsstaaten solche Bedenken.
Überzeugungsarbeit leisten
Ebenso wie die Abgeordneten des Europäischen Parlaments werden
auch die Bundestagsabgeordneten noch ein gewichtiges Wort vor einer
möglichen Verabschiedung der EU-Dienstleistungsrichtlinie mitzureden
haben. Bis dahin ist es die Aufgabe des Kulturbereiches, Überzeugungsarbeit
zu leisten, dass Kulturdienstleistungen nicht mit dem Transport
von Waren von A nach B verglichen werden können. Der Deutsche
Kulturrat wird sich daher weiterhin für Ausnahmeregelungen
für den Kulturbereich stark machen.