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nmz-archiv
nmz 2005/03 | Seite 11
54. Jahrgang | März
Forum
Erinnerung an die Pflichten des Rundfunks
Jens Cording, GNM, an den Intendanten des SWR, Professor Peter
Voß (gekürzte Fassung)
Unsere Gesellschaft für Neue Musik e.V. hat sich zum Ziel
gesetzt, (Neue) Musik unter Berücksichtigung unter anderem
ihrer gesellschaftlichen Funktion zu fördern. Deshalb hat uns
Ihr Grundsatzpapier mit dem Titel „Zukunft der SWR-Klangkörper“
(vorgelegt am 3.12.2004) beunruhigt.
In Ihrer oben genannten Informationsvorlage kommen Sie zu dem Schluss,
dass die Klangkörper des SWR auf ein „schmaleres Fundament
zu stellen“ seien, und kündigen für den Fall, dass
dies nicht gelinge, „die vollständige Auflösung
einzelner Klangkörper“ an.
Im Namen der Gesellschaft für Neue Musik e.V. muss ich gegen
diese Rationalisierungsforderungen und Auflösungsdrohungen
protestieren und der von Ihnen dafür angebotenen Begründung
widersprechen: Im ersten Teil Ihrer Vorlage an den Rundfunkrat bemühen
Sie sich, die Notwendigkeit Ihrer Vorschläge darzulegen und
zu begründen, dass diese mit dem Auftrag des SWR als öffentlich-rechtlicher
Rundfunkanstalt vereinbar seien. Beides ist Ihnen nach unserer Auffassung
nicht gelungen.
Sie beginnen Ihr Plädoyer für Einsparungen an und in
den SWR-Klangkörpern mit dem Hinweis auf das so genannte SMS-Papier,
mit dem die Ministerpräsidenten Stoiber, Milbradt und Steinbrück
im Rahmen der Gebührendebatte innenpolitische Forderungen formulierten.
Sie nennen dieses Papier einen „Vorstoß, der nach Auffassung
namhafter Verfassungsjuristen gegen das Grundgesetz verstößt“.
Gleichwohl – und darin sehen wir einen Widerspruch –
nehmen Sie es zum Anlass und Vorwand für Ihre Forderung nach
Streichung von Mitteln für die Klangkörper Ihrer Anstalt.
Nur wenige Zeilen nach der Passage Ihrer Vorlage, in der Sie die
Verfassungsgemäßheit des Schreibens der Herren Stoiber,
Milbradt und Steinbrück anzweifeln, zitieren Sie deren an die
Rundfunkanstalten gerichtete Forderungen, „Wirtschaftlichkeitsreserven
auszuschöpfen, insbesondere: Klangkörper zu reduzieren“.
Wir sind hingegen der Meinung, dass es Ihre Aufgabe ist, dem (verfassungsrechtlich
bedenklichen) Sparverlangen der Politik entgegenzutreten.
Doch es ist nicht allein der Mangel an Widerstand Ihres Hauses
gegen politisch oktroyierte Sparzwänge, gegen den wir uns mit
diesem Schreiben wenden. Auch die Begründung, die Sie für
die von Ihnen vorgeschlagenen Einschnitte liefern, greift unseres
Erachtens zu kurz. Zwar stellen Sie nicht in Abrede, dass der SWR
eine kulturelle Aufgabe hat. Sie definieren diese aber zu eng, um
den Betrieb eigener Klangkörper als „mäzenatische“,
also freiwillige Leistung Ihrer Anstalt hinstellen zu können.
Sie schreiben, der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe keinen
über den Programmauftrag im eigentlichen Sinne hinausreichenden
kulturellen Auftrag. Das ist unrichtig. Das Bundesverfassungsgericht
hat wiederholt festgestellt, dass der klassische Auftrag des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks neben seiner Rolle für die Meinungs- und politische
Willensbildung, neben Unterhaltung und über laufende Berichterstattung
hinausgehende Information eine „kulturelle Verantwortung“
umfasse und dass unter anderem darin seine Finanzierung durch Gebühren
ihre Rechtfertigung habe.
Vor diesem Hintergrund erscheint uns die in Ihrem Grundsatzpapier
mit Blick auf die Entwicklung neuer (avantgardistischer experimenteller)
Musik aufgeworfene Frage, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk
den Auftrag habe, selbst Musikgeschichte zu schreiben, oder nur
das, was schon da sei oder neu entstehe, zu vermitteln, falsch gestellt
zu sein. Die Vermittlung des Kulturgutes der Neuen Musik setzt deren
Entstehung und Weiterentwicklung voraus. Deshalb verlangt nicht
nur Ihr Grundversorgungsauftrag, sondern auch die Ihnen von Verfassungs
wegen zukommende „kulturelle Verantwortung“ die Gewährleistung
der Rahmenbedingung, unter denen Kultur geschaffen werden kann,
unter denen (neue) Musik entstehen kann.
Erlauben Sie uns bitte, Sie an diese Pflicht zu erinnern.