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nmz-archiv
nmz 2005/03 | Seite 14
54. Jahrgang | März
Gegengift
Gegengift
Kunst oder Kultur(hauptstadt)
Wenn ich das Wort Kultur höre, entsichere ich meinen Revolver.
So oder so ähnlich äußerte sich einst der Surrealist
André Breton. Diversen Nazi-Größen gefiel der
Spruch so gut, dass sie ihn später gern wiederholten.
Wenn aber der gleiche Satz aus verschiedenen Mündern kommt,
meint er meistens nicht dasselbe. Während Göring, Goebbels
und Konsorten an der Kultur empörte, dass sie ihrer ungenierten
Parteinahme für die Barbarei Widerstand leistete, störte
Breton gerade das Barbarische an der Kultur, genauer: die Kunst-
und Lebensvernichtung, die im Namen und mit den Mitteln der Kultur
betrieben wird.
Göring, Goebbels und Co. sind (hoffentlich!) erledigt, der
hellsichtige Breton dagegen bekommt von Tag zu Tag mehr Recht. Wenn
beispielsweise eine Kulturhauptstadtbewerberin am so genannten Valentinstag,
der dummerweise auch der Tag der Bombardierung Dresdens ist, ihre
Konkurrenten vom Hubschrauber aus mit Bratwürsten und Bonbonnieren
bewirft, dann kann man nur froh sein, dass man aus guten Gründen
keine Browning in der Nähe hat, die man entsichern könnte;
und dass sich die Assoziationsmaschinerie im Hirn rechtzeitig verhakt,
ehe sie allzu Übles ausspuckt: Früher ging man mit Senfgas
auf seine Bewerber los, heutzutage begnügt man sich als kultiviertes
Kulturhauptstadtbewerberkomitee mit Senf.
Was Regensburger Naturdarminhalte und Sättigungsbeilagen
aller Art mit Kultur zu tun haben? So kann nur fragen, wer die Diskussion
der letzten Jahrzehnte rund um den so genannten „erweiterten
Kulturbegriff“ verschlafen hat. Deren Resultat kann man so
zusammenfassen: Alles ist Kultur. Oder zumindest alles, was der
Mensch „als“ soziales Wesen tut oder nicht tut.
Dass man sich zum Beispiel wäscht, wenn man schmutzig ist,
das ist Kultur. Oder dass man eine Bratwurst isst, wenn man hungrig
ist, das ist Kultur. Und wenn man dabei noch bei einem Stadtteilfest
auf einer Bierbank hockt und sich mit seinem Nachbarn unterhält,
dann ist das fast schon Hochkultur.
Und wenn man als Kulturhauptstadtbewerberin für 30.000 Euro
Hubschrauber anmietet, dann beweist das, dass man mehrere unentbehrliche
Zivilisationstechniken beherrscht, vom massenhaften Geldtransfer
in Gestalt immaterieller Zahlungsströme bis zur hochtechnologischen
Umsetzung der uralten Einsicht, dass alles Gute von oben kommt.
Und seine Feinde dadurch fertig zu machen, dass man sie „liebt“,
das zeugt auch von einer kommunikativen Kompetenz, folglich Kultur,
auf neuestem Niveau.
Alle die, die auf höchstem BAT- oder Pensionszusicherungslevel
Kultur von Berufs wegen als Kulturverwaltung respektive „management“
verstehen, werden solche Worte böse machen (oder „traurig“,
wie man heutzutage korrekter und wirkungsvoller zugleich sagt),
denn für sie ist Kultur doch das, was versöhnt und nicht
„spaltet“.
Da konnte man dann 1914 wie ein Mann („keine Parteien mehr,
nur noch Deutsche“, hieß das bei Kaiser Wilhelm) im
Namen der Kultur gegen den Franzmann ins Feld ziehen, so kann man
heute wie ein Mann und eine Frau (die Zeiten ändern sich und
die Bezeichnungen mit ihnen) einen „Aufstand der Anständigen“
gegen Neo-Nazis und ähnliches Geschmeiß inszenieren.
Die Botschaft bleibt dieselbe: Kultur ist da, wo wir sind. Kultur
stiftet Identität (auch: „Heimat“) und wo die anderen
sich aufhalten, da fängt jeweils die Barbarei an. Kultur bedeutet:
dass man miteinander spricht beziehungsweise kommuniziert und dass
es „andere“ gibt, mit denen man nicht spricht. Kultur
bedeutet, dass man ein gutes, nein das beste Gewissen hat, auch
wenn man gerade wieder einmal so „durchsetzungsfähig“
ist, dass vom anderen nichts übrig bleibt. Kultur, das weiß
man von jeder ambitionierteren Festtagsrede, verbindet und vereint.
Sie ist gewissermaßen die Geschäftsgrundlage. Auch beim
Fremdenverkehrsgeschäft handelt es sich zweifellos um Kultur,
beim „Fremden“ selbst dagegen eher um ein Problem. Zum
Menschen wird er, insofern er die materielle Verkörperung eines
ansehnlichen Zahlungsstromes ist. Wer nicht derart an unserer Kultur
teilnimmt, den kann höchstens eine Schleuserbande zu uns geschleust
haben, sofern er sich nicht selber ein Visum erschlichen hat.
Kultur also, das ist das (Un)Schöne an ihr, verbindet, wenn
sie nicht gerade trennt – und sie verbindet gerade dadurch,
dass sie trennt. Während Künstler, auch Lebens-Künstler
im Sinne der Surrealisten, immer schon unzuverlässige und vaterlandslose
Gesellen waren, notorische Einzelgänger, die jedem Argument
und jeder Verlockung folgen, ganz egal wo sie herkommen, die zu
keiner Identitätsbildung bereit, dafür vom Widerspruchsgeist
erfüllt sind, haben selbst dann nocheine andere Meinung, wenn
es gerade „gemütlich“ zu werden beginnt. Also auf
den kürzesten Nenner gebracht: Kultur vereint, Kunst trennt.
Was Kultur meint, versteht jeder, zumindest jeder Zeitgenosse (oder
er bekommt ein Problem), während Kunst keiner verstehen kann,
es sei denn, ein Museumspädagoge erklärt, das heißt
„resozialisiert“ sie, indem er sie in Kultur für
alle verwandelt. Kultur ist da, wo das Geld ist. Wer Kunst macht,
soll schauen, wo er bleibt.