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nmz-archiv
nmz 2005/03 | Seite 8
54. Jahrgang | März
Magazin
Kinder, warum klingt ihr alle gleich?
Das Deutschpop-Wunder als Schrecken ohne Ende
Was wurde gefeiert und geschunkelt, als die Band „Wir sind
Helden“ mit ihrem Album „Die Reklamation“ 2003
in die Vormachtstellung des angloamerikanischen Popsongs krachte.
Eine Sängerin, Gitarre breitbeinig „im Anschlag“,
eine männliche Band dahinter und Texte, ja Texte, die selbst
Harald Schmidt veranlassten, die „Helden“- Frontfrau
Judith Holofernes in seine damalige SAT1-Show einzuladen, um ihre
Konsum- und Gesellschaftskritik näher zu erläutern. Ein
Märchen schien das zu werden, denn viel zu lange schon suchten
den Phono-Konsumenten die Casting-Stars heim.
Original oder Fälschung?…
Ein Märchen, das insbesondere die darbende nationale Phonoindustrie
wieder wach küsste. Wenn eine Band wie „Wir sind Helden“
einmal funktioniert, dann lässt sich das mit Sicherheit öfter
reproduzieren. Fortan war es kaum wichtig, was auf dem Demoband
der jungen einheimischen Band zu hören war, die Peripherie
musste passen: Junges Mädchen singt frech-frivole Texte, junge
Burschen mit Fußballerfrisur spielen im Hintergrund Instrumente.
Schon gesehen oder gehört? Klar, bei Nena und dem Rest der
NDW. Wo also nun „Wir sind Helden“ einen Ansatz lieferten,
deutschsprachige Musik in unserem Dichterland salonfähig zu
machen oder gar mit Würde zu gestalten, aasten bereits die
Plattenmanager in sämtlichen Proberäumen der Nation und
modellierten sich ihre Bands zurecht. Und da lag der erste Fehler,
der zur Überstrapaze führte, denn es musste nur „in
etwa“ so klingen wie „Wir sind Helden“ oder „Sportfreunde
Stiller“, dem Trio aus München mit dem größten
Vorreitereffekt.
… Oben die Band „Wir
sind Helden“, hier die vermeintlichen Trittbrettfahrer
„Silbermond“. Fotos: Labels Berlin/BMG
Reingefallen sind alle auf die Masche der Manager: Konsumenten,
Journalisten, Nachwuchsbands. Im Deutschpop-Rausch gefangen verloren
alle den Boden unter den Füßen und den Bezug zur Realität.
Hauptsache deutscher Text, zwei Silben gegen den Staat, drei Statements,
die man zur Not als Konsumkritik im allerweitesten Sinn zurechtbiegen
konnte und aus dem Schwips wurde Ekstase. Völlig von Sinnen
wurden Labels gegründet, die vornehmlich und in Massen deutschsprachige
Musik veröffentlichten. Enthusiasmiert wurden Internet-Plattformen
geschaffen, die ausschließlich Deutschpop in allen Aus-wirkungen
(Musik, Film, Literatur) kannten. Ganze Open-Air-Festivals wurden
2004 mit deutschsprachigen Künstlern besetzt. Und natürlich
mussten auch Beamte des Staates ihre Profilneurose pflegen und entfachten
runde Tische, die eine Quote für deutschsprachige beziehungsweise
in Deutschland erstellte Musik forderte. In Wahrheit entpuppen sich
jedoch seit Jahren dahinsiechende Deutschpopper, die selbst im Hype
nicht zum Zuge kamen, als ständige Quotendrängler. Und
um dem Phänomen wirtschaftlich gerecht zu werden, gründeten
mehr oder wenige wichtige Leute aus Branche und Politik noch das
Musikexportbüro, das die nun einschlagenden Phonogüter
ins Ausland tragen sollte.
Alle ließen sich blenden und folgten dem Tunnelblick. Scheinbar
alle mittelmäßigen Bands wurden mit Plattenverträgen
ausgestattet und zu Sprachikonen wie Komponisten hochgejubelt. Schlüpfrige
Aussagen („Mach’s dir selbst“, Silbermond) als
Botschaft verkauft und das Merkmal Qualität wurde hemmungslos
ausgerottet. Qualität, die nicht nur im Trend Bestand hat,
sondern als Haltung über Jahre fungiert und sowohl Musik, Text
als auch Einstellung betrifft. Einst meinte man damit Künstler
wie „Fehlfarben“, „Ton, Steine, Scherben“,
ja vielleicht auch Lindenberg, Kunze und Reinhard Mey. Doch wenn
wir heute die vom Schampus verklebten Augen öffnen, wird uns
doch sukzessive bewusst, mit welch sich simpel wiederholenden Stilmitteln
sich die jungen Wilden darstellen, egal ob sie nun Silbermond, Juli,
Tele, Die Springer, Virginia Jetzt!, Klee, Mia oder Mohnblau heißen.
Wenn sie nicht gerade alle nach „Nena“ oder „Extrabreit“
klingen, geht es zunächst darum, eine eindeutige Linie zwischen
Strophe und Refrain zu ziehen. Gerne nimmt man die Mutter aller
Girliebands, „Garbage“ mit Sängerin Shirley Manson,
als Maßstab und initiiert das alte Dynamik-Spielchen: leise
Strophe-lauter Refrain mit geschrammelten Gitarren, denn das werden
die Jungs in Trainingsjacken hinter dem Girlie live noch auf die
Reihe kriegen. Dann gibt es die Verniedlicher im „Nena“-Stil.
Da ist die Aussprache der Laute wichtig. Es heisst nämlich
„ü“, nicht „i(e)“. Nicht „Liebe“
sondern „Lübe“. Ein „t“ am Wortende
wird lautmalerisch verschluckt, im schlimmsten Fall heisst es nun
also „nüch“ anstatt „nicht“.
Nun, diese Lautproben blieben noch verkraftbar, wären da nicht
die in zunehmendem Maß peinlicher werdenden Texte. Sicher,
vor einem Jahr wurden sie alle gefeiert, weil sie so „frei
Schnauze“ dichteten. Doch die Jung-Goethes wurden übermütig
und Schmerz unempfindlich, doch Texter der Plattenfirmen konnten
nicht helfen. Die sind nämlich „wech“. Entlassen.
Und weil man die Texte aller Künstler hochjubelte, servieren
uns beispielsweise „Virginia Jetzt!“ 2005 einen besonderen
Leckerbissen zum Thema Lübe: „…wahre Liebe ist
ein Produkt der Fantasie. Was du auch tust, sie erreicht dich einfach
nie“. Da heisst es schlucken, denn wie unpathetisch klingt
dagegen ein „Manchmal möchte ich schon mit Dir“
von Roland Kaiser aus dem Jahr 1982. Gereimt wird, was „Google“
unter dem entsprechenden Suchbegriff ausspuckt: „Ja ich weiß,
es war ’ne geile Zeit, uns war kein Weg zu weit“, stelzen
sich Juli durch den Text ihrer Siegerhymne des Bundesvision Song
Contest. Und wenn Silbermond verschmitzt zweideutig werden, reicht
es immerhin noch im Refrain zur schalen Anzüglichkeit: „Mach’s
dir selbst, Überleg nich, Mach’s dir selbst, Besser geht’s
nich, Du willst viel und noch mehr, Es kommt nichts von ungefähr,
Jetzt liegt es in deiner Hand…“.
Damit aber nicht genug der „Dr. Sommer“-Lyrik. Lebensweisheiten
und Psychokram werden frei Haus dazu verkauft. Regelrecht belästigt
wird man mit verödeten Romanzen der jungen Menschen, die da
offensichtlich einen ungesunden Verschleiß haben. Es ist schlicht
von allem zu viel geworden. Zu viel der Popliteratur in deutschen
Liedtexten, zu viele durchgestylte Bands, zu viele Reißbrett-Songs.
Und nun, da der Kater langsam einsetzt, wird man unsicher. Wer will
und kann noch nach Qualität und Nachhaltigkeit entscheiden?
Es gibt hunderte von Bands in Proberäumen, die entweder schon
immer wie Juli, Silbermond oder Sportfreunde Stiller klingen oder
plötzlich nach ihnen klingen müssen, um gehört zu
werden. Butterweiche Fundamente werden von der Phonoindustrie wieder
vernichtet. Aus Profitgier, Ekstaselust und Angst, bald selbst vor
die Hunde zu gehen. Dann doch lieber den Trend vernichten. Doch
wenn Bands, die mit Coverversionen der „Ramones“ begannen
und plötzlich deutsch singen sowie aus Punk Pop machen, bereits
in diesem Stadium beginnen, alles zu verleugnen, was sie vielleicht
zur Musik brachte, dann ist das ein klassischer musikalischer Schwangerschaftsabbruch.
Ja, es war ’ne geile Zeit
Doch wir sind nie gefeit
Das Ende zu verstehen
Wenn Träume so subtil vergehen…