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nmz-archiv
nmz 2005/03 | Seite 14
54. Jahrgang | März
Musikwirtschaft
Der Bedarf der Menschen an Musik steigt
Stimmungsbild von der Midem Cannes, Januar 2005
So viel Trägheit kann erschüttern. Seit ein paar Jahren
verändert sich das Verhalten von Musikhörern signifikant,
doch die Branchenriesen scheint das nicht aus ihrem Verdauungsschlaf
nach dem Milliarden-Mahl der Compact-Disc-Ära zu wecken. Jedenfalls
hatte man bei den Diskussionen, die während des 39. International
Music Market in Cannes (Midem) auf Panels und an den Ständen
im Palais des Festivals geführt wurden, den Eindruck, dass
den Vertretern der bislang den Markt dominierenden Major Companies
der Ernst des Strukturwandels noch nicht bewusst ist.
Immer schön legal bleiben:
Napster auf der Midem 2005. Foto: Midem/CA/Rougier
Vielmehr verkündete der neue Chairman und CEO des internationalen
PhonoverbandesIFPI (UK) John Kennedy voller Stolz, dass man bereits
45 Millionen Abmahnungen per E-Mails an die bösen Benutzer
der so genannten P2P-Networks verschickt und einige davon auch vor
Gericht gezerrt habe. Natürlich gehe es in erster Linie um
Erziehung, konnte man außerdem vernehmen, was allerdings ein
wenig seltsam anmutete angesichts der Tatsache, dass die Branche
potentielle Kunden verklagt, anstatt ihnen etwas zu verkaufen, und
angesichts der Nervosität, mit der zum Beispiel der Grokster-Prozess
am US Supreme Court erwartet wurde, der Ende März 2005 darüber
urteilt, ob Tauschbörsennutzer für Urheberrechtsverletzungen
wirklich verantwortlich gemacht werden können. Im Hintergrund
der angeheizten Diskussion steht nämlich der pure Überlebenskampf
der herkömmlichen Plattenindustrie, die sich durch Vernachlässigung
ihrer Businesspflichten aus dem Umsatzkuchen des Musikgeschäfts
zu katapultieren droht. Anstatt sich auf die klassischen Aufgaben
der Entdeckung und des Aufbaus von Künstlern und der Bündelung
von Produktions-, Verteilungs- und Marketingkompetenzen zu konzentrieren,
wurde jahrelang auf das schnelle Geld der Quartalszahlen geschielt,
das sich kurzfristig auch mit Einwegsternchen und Soapklonen machen
ließ. Wenigstens, solange der Katalog sich anstandslos auf
traditionellem Weg verkaufte.
Schiefes Feindbild P2P
Dabei wird immer deutlicher, dass das von der IFPI kommunizierte
Feinbild P2P nur das Symptom, nicht die Ursache der Krise trifft.
Denn hinter dem Aufstieg der Tauschbörsen standen handfeste
Interessen von Konkurrenten, die ganz andere Vorstellungen an die
Musik herantragen als das bisherige Funktionsgeflecht aus Labels,
Verlagen, Verwertungsgesellschaften, Ver-trieben und Offline-Handel.
Da sind erstens die Internet Service Provider. Sie wollen Anschlüsse,
Serviceleistungen, Onlinezeiten und Downloadmengen verkaufen. Da
ist zweitens die Geräteindustrie. Sie will Hardware an die
Kunden bringen, die um so attraktiver ist, je mehr sie kann. Beide
Geschäftszweige haben ein unmittelbares Interesse daran, dass
Musikfiles als Datensätze im Internet hin- und hergeschoben
werden. Songs werden damit schon mal zu Vehikeln kaum kaschierter
Promotion für andere Produkte wie im Fall des Download-Portals
iTunes Music Store. Seit seiner Einrichtung im Herbst 2003 durch
die Computerfirma Apple (nicht durch ein Musikkonzert, wohl gemerkt!)
wurden allein über diese Adresse mehr als 250 Millionen Songs
verkauft. Der unmittelbare Gewinn daraus ist gering, dafür
gehen die dazu passenden Abspielgeräte weg wie warme Semmeln.
Drittens sind da auch noch die Musikhörer. Sie sind es leid,
mit verwechselbarem Repertoire zu saftigen, nicht nachvollziehbaren
Preisen abgespeist zu werden (eine Zahl am Rande: Von einer CD,
die im Laden für 17 Euro verkauft wird, bekommt der Künstler
etwa einen Euro. Der Rest bleibt an der Wertschöpfungskette
hängen) und haben den Prozess der Verteilung demokratisiert.
Die Resultate dieser heimlich harmonierenden Interessen sind an
der Krise der Plattenfirmen während der vergangenen drei Jahre
deutlich abzulesen.
Kulturelle Flatrate
Sieht man auf der Midem also genau hin, so erkennt man die Zeichen
der Zeit. Der Musikmarkt verändert sich grundlegend. Jeder
bessere Rechner kann heute in ein kleines Studio verwandelt werden.
Die Verteilung von Songs besorgen Internet-Plattformen. Für
Marketing und Promotion sorgen Fan- und Community-Seiten. Die Bezahlung
kann über so genannte Footprints – Algorithmen, die automatisch
von Datenbankprogrammen erkannt und an Portale weitergeleitet werden,
egal ob der Song illegal oder legal downgeloaded wird – oder
über eine kulturelle Flatrate abgewickelt werden, wie sie vom
inzwischen rehabilitierten P2P-Erfinder und diesjährigen Midem-Sponsor
napster und dessen Mitstreitern im Laufe dieses Jahres über
so genannte Subscription-Modelle an den deutschen Markt herangetragen
werden. Da kann man sich dann für einen geringen monatlichen
Pauschalbetrag in eine große und ständig wachsende Online-Jukebox
einklicken, die Millionen von Musikstücken immer und überall
auch auf mobilen Geräten zum Anhören verfügbar macht.
Geht man davon aus, dass in wenigen Jahren die westliche Welt und
der Boom-Markt China selbstverständlich ständig online
sind, dann wird das Brennen ebenso überflüssig wie das
Downloaden, denn jede mögliche Plattensammlung liegt bereits
bequem im Netz. Außer in den enzyklopädisch und nostalgisch
veranlagten Nischen wie Klassik oder Jazz werden physische Tonträger
daher verschwinden und der CD-Käufer entwickelt sich wie der
Vinyl-Freak zum Randphänomen, das zwar nicht ausstirbt, aber
an Bedeutung für das große Geschäft verliert. Für
die Independents ist das eine Chance, sowohl die Community-Bindung
als auch die Identifikation mit ihren Produkten (= Kaufbereitschaft
der Kunden) zu stärken und damit die eigene Existenz vorläufig
zu sichern. Die Saurier des Geschäfts aber könnten ohne
alternative, kundenfreundliche und realistische Businessmodelle
demnächst im kulturgeschichtlichen Museum landen, weil sie
ihre relevanten Geschäftsfelder schleichend an Technologie-
und Kommunikationskonzerne übertragen haben. Der Bedarf der
Menschen an Musik jedenfalls steigt weltweit ständig. Wer ihn
adäquat zu bedienen weiß, wird sich in den kommenden
Jahren zeigen.