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nmz-archiv
nmz 2005/05 | Seite 48
54. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Endlich das Ende der Alten Deutschen Welle
„Wir sind Helden“ beschließen die Pophysterie
mit einem souveränen zweiten Album
„Von hier an blind“ heißt das zweite Album von
Wir sind Helden und die sympathische Truppe setzt ihren Weg unbeeindruckt
fort. Ohne Blindheit hätte dieses zweite Album gar nicht funktioniert,
denn die Sicht auf die aktuelle Lage der Deutschpop- Szene, die
ach so boomt und Plattenfirmen gesund stößt, hat nun
mal – ob man will oder nicht – gar nichts mit Wir sind
Helden zu tun. „In allererster Linie sind wir Musiker, die
sich über ihre Musik definieren und wenn das alles in einem
Hype verschwimmt und es fast egal wird, dann ist das doof“,
bringt es Jean-Michel Tourette (29, Keyboard, Gitarre) im nmz-Interview
bodenständig auf den Punkt.
Nichts wäre einfacher gewesen als ihre Erfolgstour nun fortzusetzen,
weil sich selbst Kopieren stets der sichere Weg ist (Stichwort U2),
doch man überrascht mit einem abgeklärten Album, das trotzdem
unheimlich kühl, neugierig und unmissverständlich zeigt:
Ätsch, nichts mit Konsumkritik, wenig mit Gesellschaft, das
hier sind die „Helden“ wie sie auch 2003 waren, ohne
all die hoch gestelzten Erwartungen. Zwar räumt Jean-Michel
Tourette ein, dass „die Erwartungen an die Platte der Band
bewusst waren, aber das wurde pragmatisch mit Arbeit verdrängt“.
Wenig erinnert an „Die Reklamation“: Keine plakativen
Mitgröhl- Songs für die Studis, stattdessen Musik im Stil
der 20er- oder 30er-Jahre („Gekommen um zu bleiben“)
oder schwere Kost, die nicht gleich im Ohr bleiben will („Zuhälter“).
Auch die Bafög-Melancholie wurde entschärft, hier walten
nun echte Sehnsüchte und emphatische Traurigkeiten („Ich
kann es halten“, „Elefant für dich“, „Von
hier an blind“) die im Vergleich zur ersten Platte gefestigt
wurden. „Für uns war es in der Songwriting-Phase wichtig,
aufrichtig und real abzubilden, wie es uns gerade geht und was wir
gerade für Musik machen wollen“, blickt Jean-Michel Tourette
auf die Entstehung des Albums zurück. „Man hat sich von
Song zu Song gearbeitet und jedem Song das gegeben, was er verlangt
hat. Erst in der Studiophase haben wir begonnen, allen Liedern den
größten möglichen gemeinsamen Nenner zu geben, der
natürlich bei manchen der Stücke nicht zu erreichen war
und vor allem nicht im Hinblick auf eine Anknüpfung an ‚Die
Reklamation’. Das hätte der Sache nicht gut getan.“
Und so bemerkte man gar nicht, dass man scheinbar leichtfüßig
die Klischee-Klippen umschiffte. Wo andere mit rohen Dynamik-Spielchen
durch die Charts pflügen, belassen es „Wir sind Helden“
mal mit der guten alten Fender Rhodes („Mein Leben lang üben“)
im Zentrum des Songs. „Einen großen Anteil daran hat
sicher unser Produzent Patrik Majer“ ergänzt Tourette,
„er versucht noch stärker als wir an den Klischees vorbei
zu schippern – solange es musikalisch Sinn macht. Das passiert
dann eben mal mit dem Rhodes oder Wurlitzer, aber diese kleinen
Dinge tragen dazu bei, glaube ich, dass man so ein wenig den eigenen
Sound kreiert“. Mit diesem eigenen Sound der Unterscheidung
wäre nun die Voraussetzung gegeben, Wir sind Helden mit dem
zweiten Album mal bewusst zu hören. Ohne Medienhype, denn der
dürfte mittlerweile Konsumenten-Routine sein. Dass dieses neue
Konzept klappen wird, ist klar, denn „Von hier an blind“
ist selbst mit exakter Nachstellung der Bandmitglieder nicht zu
vervielfältigen. Wir sind Helden lassen wieder die Musik sprechen,
stellen Intentionen und Interpretationen hinten an und zeigen deutlich,
dass sie nie mehr oder weniger waren als Musikerinnen und Musiker.
Und solange sie nicht taub werden, könnten Wir sind Helden
das noch ganz lange sein.