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nmz-archiv
nmz 2005/05 | Seite 46
54. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Der göttliche Reichtum im innersten Inneren
Wilfried Hillers Augustinus-Oper in der Münchner St. Lukas
Kirche uraufgeführt
Musiktheater geht heute, der erstarrten Vermittlungsformen im Opernhaus
oftmals überdrüssig, neue Wege. Es sind nicht nur Wege
nach vorn ins Unerschlossene, sondern auch solche, die sich rückbesinnen
auf alte theatrale Vermittlungsstrukturen wie Jahrmarktspiele oder
kirchliche Mysterienspiele. Auch der Münchner Komponist und
Orff-Schüler Wilfried Hiller hat immer wieder eigene Wege des
Musiktheaters gesucht, hin zum Kinder- und Parabelspiel, hin zu
biografischen Werkanlagen, wo sich Leben und Denken der behandelten
Person überschneiden. Seine Kirchenoper über Augustinus
ging hier noch einen Schritt weiter.
Es war ein Auftrag. Bier und philosophische Gedanken sind in Bayern
schon immer eine segensreiche Verbindung eingegangen. So taten sich
auch Augustiner-Brauerei und Augustinum zusammen, um ein Werk über
den Namenspatron an Wilfried Hiller in Auftrag zu geben. Es wurde
eine Kirchenoper in sieben Bildern, ein klingendes Mosaik, wie der
Untertitel besagt. Und das Segensreiche daran: „Augustinus“
ist die bislang stärkste Partitur des ohnehin gefragten und
erfolgreichen Komponisten.
Die Kirche St. Lukas war bis auf den letzten Platz (und noch einiges
darüber hinaus) gefüllt. Der architektonisch eindrucksvolle
Raum mit seinen hohen, rundum gelagerten Emporen gehört fast
mit zur Komposition. Denn Hiller hat die Gegebenheiten vor Ort genau
studiert und unterschiedliche Raumklangeffekte ausgelauscht: Aber
nicht, um den Hörer durch Massierung zu erschlagen, sondern
um luzide Schichten zu erzeugen. Denn in vielem blieb er sparsam.
Der jeweilige Klang, den er sich vorstellte, wurde akribisch gesucht,
alles Überflüssige aber weggelassen. Der Lehrer Carl Orff
wirkt hier nach. So stellte Hiller ein kleines Instrumentarium aus
Flöte, Violine, Zither und Harfe zusammen und ergänzte
es durch einen ausgesprochen opulenten Schlagapparat, der von vier
Schlagwerkern zu bedienen war. Vor allem Glocken- und Glasklänge
wurden reich ausdifferenziert. Dem standen zwei Soprane und ein
Knabensopran gegenüber (Mutter Monnica, die Geliebte Stella,
das Kind Adeodatus), eine Gruppe von sechs Männerstimmen und
schließlich der mannigfach gegliederte Lukas-Chor.
Von Winfried Böhm, Ordinarius der Uni Würzburg, wurde
ein intelligentes, genau disponiertes, von Augustinus-Zitaten durchsetztes
Libretto erstellt, das gelungen Balance zwischen philosophischen
Gedankenspielen und dramatischen Elementen hielt. Und Hiller hat
eine genau gehörte Musik geschrieben, changierend zwischen
Sprechen und Sprechgesang, gregorianischen Melodieelementen und
abgeklärten Gesangssätzen mit chromatisch wandernden Terz-
und Quintklängen (wunderschön gesungen von den Singphonikern).
Eine Aura der räumlich-zeitlichen Ferne, zu Beginn auch der
fast brutalen, götzenartigen Nähe entstand und wurde farbenreich
verschränkt. Hiller dachte bei der das Leben von Augustinus
skizzierenden Komposition an mittelalterliche Mysterienspiele, die
über die Plastik der Gestaltung Geheimnisse des Denkens und
des Glaubens mitteilen. Das gelang beeindruckend konzentriert in
geradezu asketischem Reichtum, also dem augustinischen Reichtum
der Innerlichkeit. Allen weiteren Ballast hatte das Stück radikal
getilgt. Rundum eine starke Leistung, die auch von der Sicherheit
des zwölfjährigen Dominik Manz (Adeodatus) und von der
strahlenden, in höchsten Lagen angesiedelten Klarheit von Regina
Klepper (Monnica) gestützt wurde.