Nur sehr viel – ehrenamtliches – Engagement macht
es möglich, dass die Weimarer Frühjahrstage für Zeitgenössische
Musik (s. Konzertbericht von Daniel Cichy, S. 46) in diesem Jahr
bereits zum sechsten Mal stattfinden konnten. Organisator ist der
Verein via nova in Kooperation mit dem Landesverband Thüringen
des Deutschen Komponistenverbandes. Den Vorsitz für beide Vereine
bildet die „Personalunion“ Johannes K. Hildebrandt,
der sich federführend um das erfolgreiche Gelingen des Neue
Musik-Festivals kümmert. Darüber hinaus ist der eher kleine
Verband Veranstalter einer Konzertreihe für Neue Musik im ganzen
Land. Hier erhalten Ensembles aus dem Land Thüringen Auftrittsmöglichkeiten;
in Kooperationen mit anderen Kultursparten werden außerdem
neue Konzertformen ausprobiert.
Ziel der „Frühjahrstage“ ist es, durch das Engagement
von Spitzenensembles einem breiteren Publikum Neue Musik zu präsentieren.
Ein löblicher Wille, dem allenfalls teilweise Erfolg gegönnt
ist. Waren am ersten Abend, dem „Theremin“-Konzert recht
viele Neugierige der Einladung gefolgt, so war der zweite wohl eher
ein Treffen von Insidern. Eine Konzertlänge von drei Stunden
schreckt da vermutlich ab, obwohl die offene Konzertstruktur ein
Kommen und Gehen ermöglichte. In der Regel, so Hildebrandt,
ist jedoch jeweils ein Konzert mit der Weimarer Staatskapelle fester
Programmbestandteil der Frühjahrstage. Dieses lockt dann an
die 400 Besucher in die Konzerthalle, auch solche, die normalerweise
lieber einen gediegenen Bruckner oder Mozart konsumieren.
Verdienstvoll ist dieses Engagement für zeitgenössische
Musik allemal, verdienstvoll auch die Idee, das abendliche Konzertprogramm
durch Podiumsdiskussionen am Nachmittag anzureichern. Auch hier
trifft sich lediglich eine Insider-Szene. Angesichts der sehr speziellen
Thematik ist das weder verwunderlich noch wirklich zu beklagen.
Schließlich geht es hier um einen fachlichen Austausch, der
sicher auch im kleineren Kreis Nutzen bringt. Den einen oder anderen
Vertreter eines Zeitungs-Feuilletons sollte man dennoch erwarten
dürfen, bergen doch diese Diskussionen einen Fundus an Fachwissen
aus erster Hand.
„15 Jahre nach der Deutschen Wiedervereinigung – Nähe
und Distanz zwischen Komponisten in Ost und West,“ lautete
eine der Fragestellungen. Der Titel veranlasste den Moderator allerdings
zunächst zur Frage, ob dieses Thema mehr als 15 Jahre nach
Mauerfall und Wiedervereinigung überhaupt noch eines sei –
und ob die Diskutanten wirklich bereit dazu seien. Sie waren ganz
offensichtlich. Dabei ging es nicht nur um die Gegenwart, sondern
auch um die Vergangenheit, die das heutige Geschehen noch deutlich
beeinflusst. Einiges müsste hier wohl aufgearbeitet werden.
Zunächst galt das Interesse der Vor-Wende-Zeit. Komponisten
aus dem Osten waren wesentlich besser über die West-Situation
informiert als umgekehrt. Diese Beobachtung von (West-)Komponist
Moritz Eggert wird auch nicht durch die Tatsache widerlegt, dass
einige Ost-„Leuchttürme“ wie Siegfried Matthus
und Udo Zimmermann auch vor 1989 in der BRD gespielt wurden.
Reinhard Schulz, Journalist, sah die Hoffnung auf eine gegenseitige
Befruchtung, die sich nach der Wende breit machte, schnell enttäuscht.
Im Westen sei, so Schulz, fast gar nichts passiert, Ost-Komponisten
dagegen hätten sich vorschnell angepasst. Die Chance zu einem
gemeinsamen Aufbruch sei damit verpasst worden. Auf Seiten der Kreativen
aus der gerade zusammengebrochenen DDR machte sich, so (Ost-)Komponist
Lothar Voigtländer, eine tiefe Verunsicherung breit: Alle „Infrastruktur“
wie Kontakte zu Verlagen, Theatern, Rundfunkanstalten mussten neu
aufgebaut werden, neue Strukturen wollten verstanden und genutzt
sein. Einen Zeitraum von zehn Jahren setzte Voigtländer dazu
an, die älteren Komponisten konnten den Anforderungen der „neuen
Zeit“ teilweise nicht mehr gerecht werden. Andererseits mussten
Komponisten aus der BRD erleben, dass sich ihre Pfründe in
Form von Fördermitteln, Preisen und Stipendien plötzlich
auf Ost und West verteilte. Der Anfang ist, so (West-)Komponist
Eckart Beinke auch von Neidgefühlen besetzt gewesen.
Nicht kulturpolitische, sondern auch ästhetische Fragen wurden
angesprochen. Kann man heute, konnte man früher wirklich hören,
aus welchem Deutschland eine Komposition stammt? Spätestens
in den 90er-Jahren habe sich eine Egalisierung vollzogen, die Ost-
oder Westherkunft ununterscheidbar mache. Haben DDR-Komponisten
„politisch“ komponiert? Muss nicht jeder Komponist Revolutionär
sein?
Sicher nicht – hier waren sich die Diskutanten einig. Einige
Fragen blieben offen und geben Raum zu weiteren Diskussionen. Ergebnis
ist jedenfalls eines: Zusammengewachsen ist längst noch nicht
alles, was Ost und West ist.