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nmz-archiv
nmz 2005/05 | Seite 46
54. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Noch keine Revolution in Sicht
6. Weimarer Frühjahrstage für zeitgenössische
Musik, 30. März bis 3. April
Die Farbe Orange ist in den letzten Monaten zum Symbol der Hoffnung
auf radikale Änderungen und frischen gesellschaftlichen Wind
geworden. Seit ein paar Jahren begrüßen die Organisatoren
der Weimarer Frühjahrstage das Publikum mit dieser optimistischen
Farbe. Obwohl bei dieser sechsten Ausgabe in Weimar die ästhetische
Revolution ausblieb und die meisten Komponisten sich leider noch
nicht vom akademischen Korsett befreien konnten, lohnte der Besuch
in der „klassischen“ Stadt.
Johannes K. Hildebrandt, Chef des noch nicht ganz zur ersten Liga
zählenden Festivals, setzt sich dafür ein, Musik aus verschiedenen
ästhetischen Schubladen zu präsentieren. 13 Konzerte innerhalb
von fünf Tagen vermittelten einen guten Eindruck von dieser
Ausrichtung. Neben zahlreichen Kammerkonzerten waren auch Improvisationen
(Julean Simon und sein Midi Wind Controller), Vokalstücke (das
Ars nova Ensemble mit klassischem A-capella-Repertoire des 20. Jahrhunderts),
Orchesterwerke (Schlusskonzert der Sinfonietta Dresden) und elektroakustische,
im Studio der Musikhochschule Weimar entstandene Werke zu hören.
Zu letzteren stellte außerdem das Duo Arnd Müller und
Janet Rühl eigene getanzte Visionen vor.
Touch oder don’t touch
Eine der interessantesten Aufführungen und gleichzeitig eine
Verbeugung vor dem breiteren Publikum war das effektvolle Konzert
des Kammerensembles Neue Musik Berlin mit den Theremin-Spielerinnen
Barbara Buchholz und Lydia Kavina in der Hauptrolle. Dieses russische
Instrument hat wahrscheinlich das größte theatralische
Potenzial, über das ein Musikwerkzeug überhaupt verfügen
kann. Die malerischen Gesten, schauspielernden Figuren und körperlichen
Tänze der Musikerinnen begleiten den Klang, der irgendwo zwischen
weinerlicher Geige, rührender Säge und vibrierender Stimme
liegt. Auch die zeitgenössischen Komponisten entdecken in diesem
Instrument wunderbare Möglichkeiten. Sie gehen in ihren Erforschungen
in zwei Richtungen: Sie suchen neue Klangfarben, indem sie das Theremin
in ihre eigene komplizierte Musiksprache integrieren, oder spielen
mit Klangeffekten und jonglieren spontan mit klanglichen Erinnerungen.
Caspar Johannes Walter, der stark in seinem Glissando- und Mikrotonalitäts-Idiom
verwurzelt ist, hat in „Vakuum-Halluzinationen“ für
zwei Theremins und Streicher diese beiden Richtungen verbunden.
Dünne und schlitternde melodische Linien formen nicht nur raffinierte
musikalische Strukturen, auch Kadenz-Fetzen und Quasi-Zitate von
Vergangenem klingen an. Eine ähnliche Methode, jedoch konsequenter,
benutzt Michael Hirsch, dessen „Rezitativ und Aria“
eine Mischung aus kurzen Motiven und den Fragmenten jener Phrasen
darstellt, die am Ende des Werkes ein großes Bild formen,
wie ein Puzzlespiel mit tausenden von Teilen. Andere Wege schlugen
Johannes K. Hildebrandt in dem kohärenten, witzigen „Bruchstück
III“ und Moritz Eggert ein. Sein illustratives Stück,
das von Pedda Borowski mit interessanten grafischen Variationen
begleitet wurde, trägt einen Titel, der alles sagt: „The
Son of the Daughter Of Dracula Versus The Incredible Frankenstein
Monster (From Outer Space)“.
Musik für Trios
Namen wie Carin Levine, Pascal Gallois und Peter Veale brauchen
keine Empfehlung. Diese großartigen Interpreten Neuer Musik
können aus nahezu jedem Stück ein Meisterwerk machen.
Nahezu jedem, denn man benötigt dazu auch ein Minimum an gutem
Willen des Komponisten. Man könnte vermuten, dass Sven-Ingo
Koch ein Problem mit zu vielen musikalischen Ideen hat. Seine „Jenseitswanderer“
für Fagott solo und „er schaut die schlange an“
für Flöte, Oboe und Fagott sind Beispiele für eine
Musik, die einen breiten, aber leider ungeordneten Effektkatalog
darstellt. Im Gegensatz zu den jungen deutschen Komponisten steht
der Ungar Peter Köszeghy, der ähnliche Mittel benutzt,
aber ein logisches, dynamisches und dichtes Werk komponierte: „Magma
(Äther)“ für Flöte, Oboe und Fagott. Eine andere
Ästhetik verfolgt der Franzose Joel-Francois Durand. Priorität
in seinem „In the mirror land“ für Flöte und
Oboe hat die Melodie. Die kompositorische Reife spiegelt sich in
der polyphonen Komplizierung, den aufgebrochenen rhythmischen Strukturen
und der lyrischen Atmosphäre.
Das Mondrian Trio aus der Schweiz fühlt sich nicht nur bei
Uraufführungen zeitgenössischer Musik wohl, sondern auch
bei wenig bekannten Werken aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Dieses junge, mit einem glänzenden und tiefen Klang ausgestattete
Ensemble verbindet große musikalische Sensibilität mit
interpretatorischer Bravour. Bisweilen fehlte den Musikern allerdings
die letzte Präzision, um das Ganze in eine Form zu fassen.
Bei Nikolai Roslawez’ zweitem Klaviertrio, in dem die modernistische
Tradition aus Wien auf Expressionismus, Anleihen an den Neoklassizismus
und Elemente der Zwölftontechnik trifft, schienen die Details
wichtiger als das Gesamtbild. Eine ähnliche Situation ergab
sich bei den vielfarbigen und mehrdimensionalen „8 Variationen
über ein griechisches Volkslied“ von Nikos Skalkottas.
Michael Roths spannende „Verinnerung“, mit ihren subtilen
Geräuschen und intimen Flageoletts dagegen waren beim Mondrian
Trio ebenso gut aufgehoben wie die virtuose und wirbelnde „Scène“
von Bettina Skrzypczak.
Meisterwerk aus Tschechien
Schließlich das Finalkonzert mit der Sinfonietta Dresden
unter der Leitung von Ekkehard Klemm: Lothar Voigtländer gönnte
den Zuhörern in seiner „Orchestermusik III“, einer
Collage musikalischer Blöcke, keine Atempause, was in der hochgesteigerten
Expressivität einer Gefühlsmanipulation gleichkam. Peter
Helmut Lang hingegen imitiert in „The scream of the sea“
die Musiksprache von Igor Strawinsky unkritisch, bis zur Aufgabe
eigener Identität. Die Sonate für elf Streicher „Das
Schweißtuch der Veronika“ des Tschechen Marek Kopelent
hob sich da deutlich ab. Die Musik, sorgfältig und kompromisslos
komponiert, ist eine raffinierte Studie in der Verbindung modaler
Akkorde. Wie ein ornamentaler Fächer füllt sie den Raum
mit Klängen von bewundernswerter Schönheit.