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nmz-archiv
nmz 2005/05 | Seite 30
54. Jahrgang | Mai
DTKV Bayern
Gregorianische Melodik und finnische Musik
Unser Komponistenporträt: Jörg Duda – ein vielseitiger
Musiker aus Bayern
300 Frühwerke und etwa 100 neuere Kompositionen unter 47
Opuszahlen umfasst das Werk des 1968 in München geborenen Jörg
Duda. Der als Kirchenmusiker im holledauischen Geisenfeld arbeitende
Komponist konnte sich als Schöpfer von Vokalmusik, jedoch auch
im Bereich der Kammermusik vor allem durch Holzbläsermusik,
welche er strukturell mit der menschlichen Stimme vergleicht, einen
Namen machen. Einer der größten Erfolge war das bereits
dreimal vom Chor der Christuskirche (München) und Roderich
Kreile und Roman Emilius aufgeführte Weihnachtsoratorium „NOË!“
für Soli, Chor und Orchester. Darüber führten ihn
Reisen als Konzertorganist, Improvisator und Kammermusikpianist
nach Italien und Finnland, wo er besonders als Interpret eigener
Werke bekannt wurde. 2004 spielte er in Finnland teilweise mit finnischen
Sängern wie Pirjo Honkanen und Johann Tilli, für welche
er einige Kompositionen schuf. Gleichzeitig ist er Dirigent verschiedener
Ensembles wie der Münchner Harmoniemusik und des Feldmayr Vocalensembles
(Geisenfeld).
Dudas Engagement, aus dem er stets Anregungen für sein eigenes
Schaffen gewinnt, geht in zwei Richtungen: finnische und alte Musik.
Frühe Pfeiler seines kompositorischen Schaffens waren die ausdrucksvolle,
vielschichtige Kontrapunktik Johann Sebastian Baches verbunden mit
der menschlich melancholischen Heiterkeit Mozarts. Einen ersten
stilistischen Umbruch brachte 1989 während des Kirchenmusikstudiums
der Beitritt zum Kammerchor „Junge Kantorei München“
unter seinem Lehrer KMD Roderich Kreile, wo er über Jahre „composer
in residence“ war.
Ein weiterer Umbruch kam 1992 durch die intensive Begegnung mit
dem Schaffen von Jean Sibelius und der allgemeinen Beschäftigung
mit finnischer zeitgenössischer Musik und Kultur. Dabei kam
Dudas Liebe zur finnischen Sprache über Umwege: Bei seinem
Lehrer Peter Kiesewetter begann er sich in eine zunächst unbekannte
Sprache und Denkweise „hineinzukomponieren“ um die stilistische
Bandbreite zu erweitern. Sprachklang, Rhythmus und Vorstellungswelt
gerieten so in einen unmittelbaren Kontext. Finnische Kunst ist
oft vom Gedanken geprägt, dass der Mensch in der Natur aufgehe.
So würden menschliche Eigenschaften in Naturbildern beschrieben.
So entstanden Lieder und Madrigale in finnischer Sprache nach Gedichten
von Lassi Nummi und Viljo Kajava. Der stilistische Wandel eines
Komponisten wie Sibelius wurde für Duda besonders bemerkenswert:
Aus der Spätromantik heraus hatte er sich nach langer persönlicher
Entwicklung mit „Tapiola“ seinen Spätstil geschaffen.
Tradition und Auflösung stehen hier für Duda in einer
fruchtbaren Abfolge. Dies zeigt sich auch bei Sibelius‘ Schüler
Leevi Madetoja, bis hin zu modernen finnischen Klassikern wie Einojuhani
Rautavaara und Joonas Kokkonen. Über das sprachverwandte Estnische
fand Duda auch in der Musik Arvo Pärts Züge seines Umgangs
mit Längen und Kürzen des Sprachklangs.
Dudas Stil verbindet unterschiedlichste Elemente miteinander und
schreitet so zu Eigenem weiter. Einerseits von fantasievoller Schwärmerei
geprägt, mutiert er zu weiträumiger Kargheit, ähnlich
der finnischen Landschaft. Kontrapunkt und lateinamerikanische Rhythmik
gehen Hand in Hand, farbige Harmonik und Serialität, Musizierfreude
und hintergründiger Humor. Hinzu kommt eine Vorliebe für
asymmetrische Rhythmen, die sich aus dem Metrum des finnischen Kalevala-Epos
herleiten. Zusammen mit der finnschen Liebe zum Tango blitzt in
seiner Musik immer wieder augenzwinkernd sein persönlicher
„Kalevala-Tango“ durch. So entstand also ein vor allem
wegen des finnischen Textes ungewöhnliches Werk: das MAGNIFICAT
II als Kantate für Koloratursopran.
An seiner Hallertauer Wirkungsstätte war Duda mit seiner
Finnlandliebe ein Kuriosum, bis sich eine finnische Delegation aus
Jämijärvi im Rahmen eines EU-Projektes in das Hopfenbauzentrum
verirrte um finnische Hopfensorten zu rekultivieren. Hieraus entstand
eine regelrechte Freundschaft der Städte Geisenfeld und Jämijärvi,
bei deren Austausch Duda abermals in Finnland konzertierte. Denn
schon das Kalevala-Epos zollt der Erfindung des Bieres weitaus mehr
Raum als der Erschaffung der Erde.
Bereits als Schüler hatte Duda seine Nase in die staubige
Bibliothek des Klosters Scheyern gesteckt, um interessantes Neues
und Unbekanntes zu entdecken. So stieß er 1991 auf den 1756
geborenen Komponisten Georg Feldmayr welcher zwischen 1781 und 1800
am Fürstenhof zu Oettingen-Wallerstein unter Antonio Rosetti
als Violinist, Tenor und später als „Hofmusicdirector“
wirkte. Erst durch seine Tätigkeit in Geisenfeld beschäftigte
er sich 2003 wieder eingehender mit dessen Musik und stellte fest,
dass die Familie Feldmayr ursprünglich aus Geisenfeld stammt
und brachte das lange im Ungewissen liegende Sterbedatum als den
1. Mai 1834 im Hamburger St.-Georgs-Krankenhaus in Erfahrung. Dies
war Grund genug, 2004 in mehreren festlichen Gottesdiensten und
Konzerten Feldmayrs Kirchenmusik, Kantaten und Bläserserenaden
zur Aufführung zu bringen, um diese in der Holledau wieder
ins Bewusstsein zu bringen. Höhepunkt war ein Konzert im November
2004 mit einem Requiem, einem Miserere und dem „Oratorium“
auf den Tod des Grafen Franz Ludwig zu Oettingen-Wallerstein, bei
dem unter anderem Claes H. Ahnsjö die Tenorpartie übernommen
hatte.
2005 jährt sich auch der Todestag eines Ahnen Feldmayrs:
Johann Feldmayr wurde 1579 in Geisenfeld geboren, kam „Khnabe
von Geisenfeld“ in die Münchner Hofkapelle und als Organist
und Tenorist über Salzburg an das Hochstift Berchtesgaden,
wo in der Pfarrkirche ein Epitaph für ihn steht. Seiner gedachte
das von Duda gegründete „Feldmayr Vocalensemble“
mit a cappella Motetten und dreistimmigen geistlichen Konzerten
der seconda prattica, wie das reizvolle lateinisch-deutsche „Congratulamini
mihi omnes (Es werden mir alle gratulieren)“.
Die intensive Forschungstätigkeit samt der aufführungspraktischen
Bearbeitung alter Meister, hat ihren Tribut gefordert: 2003 sei
er deshalb kaum zum Komponieren gekommen, erst 2004 habe er seine
Schaffensintensität wieder aufgenommen, was sich in seinem
Quintett Opus 45 für Oboe, Klarinette, Horn, Fagott und Klavier
zeigt. Dieses Werk erklingt am 19. November bei der Verleihung des
Kulturpreises der Stadt Geisenfeld erstmals öffentlich.
Dudas musikalische Erfindung schöpft im Ursprung stark aus
der Improvisation. Dazu benötigt er nicht nur die Finger, sondern
auch den Kopf. Und so konzipiert er seine Kompositionen zuerst im
Geist, bevor er sie niederschreibt. Ab dem Moment, wenn er die Werke
aufs Papier bringt, werden sie nur noch ausformuliert und verfeinert.
Manches trägt er Jahre lang im Kopf mit sich herum. Ideen und
Fragmente ohne konkreten Platz finden dann häufig in Auftragswerken
ihren geeigneten Einsatz. Inspirationsquelle ist seine Umgebung
und der Umgang mit Menschen. So ist für ihn die weite der finnischen
Natur eine Möglichkeit den Geist von der Hektik zu reinigen
und die Musik wieder auf sich zukommen zu lassen.
Duda schreibt mit der Hand, Kiesewetters strenge, fast kalligraphische
Notierung habe sich bei ihm fortgesetzt. Entsprechend schwer falle
es ihm musikalisch am Computer zu arbeiten. Es gibt sogar Musiker,
welche seine Handschrift bevorzugen.
Die „Liebe zum Kontrapunkt“ und Gleichwertigkeit aller
Stimmen entstammt dem gemeinschaftlichen Musizieren und der klassischen
Vokalpolyphonie. Kammer- und Chormusik sollen wie ein Gespräch
unter Freunden sein. Durch diese Vielschichtigkeit entsteht harmonisch
oft ein impressionistisches Klangbild, durchsetzt mit Messiaenschen
Modi und zuweilen seriellen Techniken. Ein schwebend-vagierendes
Spiel mit Tonalität ist das Ergebnis. Modi der Kirchentonarten
bringen diese Tonalität zum Klingen und stellen sie gleichzeitig
in Frage. So schließt sich hier der Kreis zwischen gregorianischer
Melodik und finnischer Musik.
Niko Firnkees
Im k.o.m. bühnen- und musikverlag, München sind einige
Werke von Jörg Duda in gedruckter Form erschienen: unter
anderem sein „Christmas Carols Concerto“ für
Orgel, „Quartett“ für Fagott und Streichtrio
und „5 Duettini“ für Bassetthorn und Fagott oder
Fagottino und Fagott.