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nmz-archiv
nmz 2005/05 | Seite 7
54. Jahrgang | Mai
Gegengift
Meinung oder Verbrechen
Ein Journalist, der einen Kollegen denunziert hatte und daraufhin
von diesem als Denunziant beschimpft wurde, zeigte sich nicht einsichtig,
sondern empört: schließlich sei alles, was er der Geschäftsleitung
gemeldet habe, „wahr“ gewesen. Was dieser Mann vollkommen
vergessen (oder nie gewusst) hatte: Auch einem „Kommunisten“
oder „Juden“ ging es im Gestapo-Keller nur dann so richtig
schlecht, wenn der kleine Hinweis des Nachbarn auch tatsächlich,
wie man so schön sagt, ins Schwarze traf. Eine Denunziation
ist eine Denunziation nur dann, wenn sie zutrifft. Ansonsten handelt
es sich um üble Nachrede.
Die bundesdeutsche Bevölkerung ist nach sechzig Jahren konsequenter
Demokratieerziehung unübersehbar meinungsfreudig. Viele Autohecks
nähern sich einer Wandzeitung; schon der flüchtige Blick
erlaubt oft die Erstellung eines Psychogramms. Die Verlautbarungen
erstrecken sich von nützlichen Hinweisen („Ich bremse
auch für Tiere“) bis zu verwegenen Hoffnungen („Jesus
liebt dich“), erlauben die Rekonstruktion von Reiserouten
(„Schöne Grüße aus Rudolstadt“) und
bieten Beiträge zu aktuellen politischen Diskussionen („Kein
Feinstaub auf dem Nockherberg“).
Meinungsfreude bedeutet aber nicht, dass einem jede Meinung recht
ist; oder auch nur zulässig erscheint. Selbst Jugendliche,
die die Dreißig längst überschritten haben, tragen
seit einiger Zeit gern T-Shirts oder Baseballmützen mit dem
knalligen Aufdruck: „Faschismus ist keine Meinung, sondern
ein Verbrechen.“ – und verbinden so äußerst
souverän das moralisch korrekte Erledigen des politischen Gegners
mit einem nonchalanten Bekenntnis zur Meinungsfreiheit. So wie auch
der zu Recht empörte Wirtshausschläger das Blutbad im
Gesicht des Kontrahenten gern durch ein Plädoyer für grenzenlosen
Pazifismus ergänzt: „Ich kann keiner Fliege was zuleide
tun, aber dir muss man einfach ab und zu die Fresse polieren.“
Daraus kann man lernen, dass ein „Verbrechen“ das
ist, was der andere ist oder tut – ganz egal, was er ist oder
tut, wenn es nur hinreichend von unserer Meinung respektive „Überzeugung“
abweicht. Man selbst nimmt sich dagegen in allen Lebenslagen die
entsprechende Meinungs- oder Handlungsfreiheit und will dafür
nicht auch noch scheel angeguckt werden. Unübertroffen der
gerechte Zorn eines amerikanischen Militärsprechers bei der
Pressekonferenz nach einem so genannten „Kollateralschaden“:
Okay, wenn es sich wirklich nicht um einen Terroristenhaufen, sondern
um eine Hochzeitsgesellschaft gehandelt habe, dann tue es ihm leid,
aber damit müsse es nun auch gut sein.
Dass das eigene Herz immerzu rein ist und das des anderen eine
Mördergrube (ersatzweise: ein Irrenhaus), das ist auch die
notwendige Grundlage so mancher flotten Kampagne in den Feuilletons
der Zeitungen und Fernsehanstalten. Die FAZ zum Beispiel will immer
wieder mal Schluss machen mit Schmutz und Schund und scheut zu diesem
Zweck selbst vor flächendeckenden Stalinorgeln in zarten Frauenhänden
nicht zurück, auch wenn deren Geschosse kurz vorm Einschlag
gern ganz erbärmlich jaulen: Die leicht tantenhafte Fernsehliteraturexpertin
Elke Heidenreich sollte eigentlich nur den neuesten Roman des Nobelpreisträgers
Garcia Marquez besprechen, nutzte die günstige Gelegenheit
aber, drastisch kund zu tun, wie sehr es sie seit langem ankotze,
wenn ältere Herren (neben Garcia Marquez hat sie gerade Martin
Walser und Philip Roth im Visier) mit jungen Frauen ins Bett gehen
und schlug, gar nicht mal nur zwischen den Zeilen, vor, doch einmal
genauer zu überprüfen, ob sich das Geschilderte denn überhaupt
mit geistiger Gesundheit und der herrschenden Gesetzeslage vertrage.
Da wollte die jüngere Kollegin vom Ballettfach, Wiebke Hüster,
nicht hintanstehen und begann ihren eigenen Feldzug gegen nackte
Körper und unerhörte Handlungen auf deutschen Bühnen,
die sie wie Elke Heidenreich im moralischen Vollgefühl des
eigenen höheren Rechts halb pathologisierte, halb kriminalisierte
und mit unmissverständlichen Handlungsanweisungen verband:
den Übeltätern ein für allemal den Geldhahn zuzudrehen,
wenn schon mehr im Augenblick leider nicht möglich sei. Was
ist schon eine schlichte Kritik und das mühsame Darlegen von
Argumenten (die am Ende vielleicht auch noch bestritten werden),
wenn man die „licence to kill“ im Dienst der guten Sache
kriegen kann. Mit Meinungs- oder gar Kunstfreiheit hat das Ganze
übrigens nichts zu tun; die sind nicht bedroht, nie und nirgends.
Aber wo das Verbrechen beginnt, da hört sich einfach alles
auf. Selber schuld, wer da Faschist oder Jude ist – oder partout
nackt tanzen und dann noch mit jungen Frauen ins Bett steigen will.