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nmz-archiv
nmz 2005/05 | Seite 1
54. Jahrgang | Mai
Leitartikel
Unzeit, zeitlos
Eine Krähe hackt der anderen mal kurz ins Auge: Ach, Du liebe
ZEIT. Fast hatte man ihr Feuilleton schon wieder geschätzt,
bei all dem Gen-Genöle in der FAZ und spiegelianischem Event-Gelabber.
Was allerdings Musikredakteur Claus Spahn gerade aus den beiden
Filmen „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ und „Rhythm
is it!“ für den Zustand zeitgenössischer Musikerziehung
ab- und verzapft, ist durch genau jenen Journalisten-Dünkel
getrübt, der eine vernünftige Beziehung zwischen Pädagogik
und Feuilleton seit Jahrzehnten arrogant verhindert.
Als oberste Gerichtsbarkeit und Moralapostel wird mal wieder Theodor
W. Adorno bemüht, dessen Satz aus der frühen Nachkriegs-Ära,
Musik als soziale Funktion sei dem Nepp verwandt, den Beweis dafür
liefern soll, dass die zitierten Lichtspiele üble Volksverblödung
seien, von Kinder korrumpierenden Education-Programmen unserer Orchester
und Verbände ganz zu schweigen. Solche Maßnahmen werden
mit einem saloppen Satz niedergemacht. Damit Sie es nicht so weit
haben, Herr Spahn: Hamburgs Musikschule veranstaltet jede Menge
fantasievolle Kinderkonzerte in durchaus erzieherischer Absicht.
Vielleicht sollten Sie mal einen Blick auf die dort eingesetzten
Folterinstrumente von Mollenhauer, Meinl oder Sonor werfen und sich
das heimtückisch erschlichene Kinder-Lachen zu Gemüte
führen, von gelegentlicher vermutlich mental erknüppelter
Ernsthaftigkeit ganz zu schweigen…
Weil Ihnen das aber wahrscheinlich auf Ihren Gedankenflügen
zwischen Salzburg, Bayreuth und Savonlinna zu popelig anklopft,
ein kurzer Verweis auf einen kulturpolitischen Vorgang ebenfalls
in Ihrer nächsten Nachbarschaft: Schleswig-Holsteins neue Landesregierung
will das Kultusministerium abschaffen. Künftig soll für
Kulturfragen die Staatskanzlei zuständig sein. Und der zukünftige
Ministerpräsident Peter Harry Carstensen denkt ernsthaft darüber
nach, als Beauftragte der Staatskanzlei für den Kulturbereich
die neue ehrenamtlich arbeitende Minderheitenbeauftragte Caroline
Schwarz (CDU) zu ernennen. Das könnte Ihnen doch gefallen,
Herr Spahn. Ist Kultur letztlich nicht immer ein Minderheiten-Phänomen,
eine Angelegenheit der Eliten? Raus mit der Kultur aus den verknöcherten
Amtsstuben und rein in die offene Wildbahn. Soll sich erhalten,
was überlebt, mehr Stahl ins Blut. Und das Niedere, das Politische
an der Kultur sollen ruhig die professionellen gewählten Müllkutscher
der Nation erledigen. Einer, der sich für Kärrnerarbeit
im Dienst der Sache nie zu schade war, dem die ZEIT vermutlich keine
Zeile widmet, der 34 Jahre lang mit dafür gesorgt hat, dass
Musikpädagogik längst die einst von Adorno angefeindeten
Kuschelwinkel höchst erfolgreich hinter sich gelassen hat,
verlässt seine „Amtsstube“. Rainer Mehlig, Bundesgeschäftsführer
des VdM geht in den Ruhestand. Im Rahmen seiner 80-Stunden-Woche
war er offiziell immer nur halbtags angestellt. So hatte er in den
24 Monaten seines Arbeitsjahres auch die Zeit, immer wieder neue,
kreative und vor allem auch umsetzbare Modelle für die Musikvermittlung
zu entwickeln. Danke, und eine wirklich gute Zeit – wünscht
im Namen der nmz: