Aktuelle Ausgabe
Nehmen Sie Kontakt zur nmz auf
Holen Sie sich die nmz ins Haus
Archiv und Sitemap der neuen musikzeitung
Links zum Musikleben
neue musikzeitung interaktiv
Taktlos - Das Musikmagazin des bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung
Fortbildung - Stellenmarkt der nmz
Die nmz als Werbeplattform
zurück zur vorherigen Seite
Startseite der neuen musikzeitung, nmz aktuell
Counter





Ausgabe 2005/05
Inhaltsverzeichnis
Archiv und Suche
[an error occurred while processing this directive]
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

nmz-archiv

nmz 2005/05 | Seite 4
54. Jahrgang | Mai
Magazin - Musikmesse

Zwischen nackter Realität und Illusion

Musikmarkt-Visionen – Überlegungen zu „taktlos“ Nr. 88 – dem Musikmagazin des BR und der nmz

Georg Lukács hat vor knapp 100 Jahren einmal die Frage gestellt: „Es gibt Kunstwerke wie sind sie möglich?“ So eine prinzipielle Frage scheint in die Gegenwart nicht gut zu passen. Dennoch sollte man sie umformulieren: „Es gibt Musikkultur, wie ist sie möglich?“


taktlos-Moderator Theo Geißler (li.), im Hintergrund Regisseur Christoph C. Stechbart. Gäste und Diskutanten waren Peter Hanser-Strecker (li., Schott Musik International), Thomas Rietschel (Musikhochschule Frankfurt) und Sven Gábor Jánszky (forward to business, nicht im Bild). Fotos: Martin Hufner

In Deutschland gibt es mindestens drei Veranstaltungen, die um die Diskussionsmacht in Fragen der Entwicklung unserer Musikkultur buhlen. Alle drei Veranstaltungen zeichnen sich durch eigenständige Profile aus. Die Musikmesse „Prolight + Sound“ im April, die von Köln nach Berlin gezogene Popkomm (mit Kongress) im September und der forward2business-Zukunftskongress im Juni in Halle. Nach eigenen Angaben versteht sich die Popkomm wie folgt: „Der Kongress ist der ThinkTank der Popkomm. Hier wird branchenübergreifend gesprochen, gedacht und ausgetauscht. Hier werden die Lösungen für unignorierbare Probleme gefunden. Hier wird die Zukunft, ja, die Avantgarde von Musikkultur formuliert. Als Diskussionsstoff, als Material für den positiven Diskurs referieren auf den Panels Vordenker aus Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft neue Denkansätze.“ Diskussionsmacht! Musikkultur wird hier verstanden als etwas Machbares, bei dem nur die klügsten Köpfe zusammentreffen müssen, damit die Zukunft der Musikkultur reibungslos läuft. Hier wird entschieden, was wird. So jedenfalls darf man diese Formulierungen doch deuten. Dagegen stehen die Zahlen beispielsweise der letzten Popkomm 2004: 663 Aussteller bevölkern die Popkomm. Denen stehen 15.436 Besucher gegenüber. Das heißt, auf einen Aussteller kommen gerade mal etwa 24 Besucher (im Vergleich die Zahlen der Musikmesse Frankfurt 2005: 1.440 Aussteller, 92.000 Besucher, 64 Besucher pro Aussteller). Auch unter der Maßgabe, dass die Besucher der Popkomm Business to Business-Besucher (B2B) sind, und die Musikmesse sich eher aus dem Consumerbereich (B2C) rekrutieren, wie soll man das interpretieren? Stehen diesem Messeangebot nicht zehn Millionen aktive Musiker und Sänger (Laien und Professionelle zusammen) gegenüber, die weder die eine noch die andere Messe besuchen? Wer entwickelt hier welche Ideen für wen?

Also ein Blick zum Forward2business-Zukunftskongress nach Halle. Hier geht es immerhin positiv eingeschränkt um (nach eigenen Worten) „Zukunftsmodelle der Entertainmentbranche“. Zu diesem Zweck werden etwa 200 handverlesene Gäste aus der Musikbranche, aber vor allem auch aus umliegenden Branchen, eingeladen. Das wirkt zunächst elitär und geheimbündlerisch. Die Idee ist aber nicht schlecht, denn es kommen auf diese Weise zu diesem Kongress nicht Menschen kraft ihres Amtes, sondern weil man ihnen Querdenkerei zutraut. In diesem Jahr sollen diese Gäste beispielsweise an einem Experiment teilnehmen: „Geleitet von Spezialisten für Fantasiegeschichten werden sich die Köpfe der Musikbranche in Zukunftsszenarien führen lassen und die Zukunft ihrer Industrie vordenken,“ liest man da im Programm dieses zweitägigen Kongresses. Und man sucht Trends für 2015. „Wo ist die Richtung im Musikmarkt“, steht über einem Themenkomplex. „Aufbruchstimmung macht sich breit. Es geht wieder voran in der deutschen Musikbranche. Doch wo ist vorn? Was wollen wir nach der neuesten deutschen Welle, nach Schnappi & Co hören? Gelernt haben wir inzwischen: ,Vorn ist, wo die Handyhersteller sind.’… Doch Vorsicht! Nach der Krise ist vor der Krise. Wer heute noch im DVD-Markt gute Geschäfte macht, wird morgen vielleicht jammern. Was kommt, wenn die DVD geht? Welche neuen Kooperationen entstehen?“ Auch im Falle dieses Kongresses fragt man sich, wo er eigentlich angreift und eingreift. Geht es in Zukunft wirklich nur noch um die Zukunft?

Während der Frankfurter Musikmesse fand die 88. Ausgabe des Musikmagazins „taktlos“ des Bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung statt. In der Sendung ging es auch um Musikmarkt-Visionen. Unter der Moderation des nmz-Herausgebers Theo Geißler durchdachten dies Sven Gábor Jánszky (forward2business), Peter Hanser-Strecker (Schott Musik International) und Thomas Rietschel (Präsident der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Frankfurt). Thomas Rietschel, der jahrelange Erfahrungen der Musikkultur auch insofern mitbrachte, als er als Generalsekretär sowohl der Jeunesses Musicales Deutschland als auch dem Deutschen Musikrat vorstand, wehrte sich gegen eine Reduzierung des Umgangs mit Musik und Musikkultur nur unter Aspekten der Wirtschaft. Jánszky entgegnete er: „Ich tue mich unglaublich schwer damit, die Zukunft der Musik oder des Musiklebens und des -marktes darin zu sehen, dass darüber diskutiert wird, wie die Musik eine noch bessere und effizientere Rolle beim Verkauf von Winterjacken und dem Amusement von Straßenbahngästen spielen kann. Musik hat eine ganz wichtige Funktion bei uns in der Gesellschaft, nämlich die, auch als Kunstform genau so etwas zu reflektieren.“ Jánszky fühlte sich missverstanden, wenn man ihn nur auf den Begriff der Wirtschaftszukunft reduziert. Er wolle wirklich nur von den Zukunftsszenarien zurückrechnen, gerade deshalb, um nicht den Anschluss zu verpassen, gerade, damit nicht der Musikmarkt über die Köpfe hinweg die Zukunft gestaltet. Peter Hanser-Strecker verwies andererseits ganz zu Recht auf ein anderes Phänomen. Während nämlich die technischen Medien immer wieder neue Krisen aus sich selbst produzieren, sei die Branche des Notendrucks ziemlich konstant im Geschäft. „Papier bleibt!“, sagte er während der taktlos-Diskussion. Damit wies er darauf hin, dass, wer nur in die Glaskugel der Zukunft schaue, vergesse, was aus guten Gründen lange Zeit Bestand hatte und hat. Noten auf Papier, beidseitig bedruckt, etwas, was für den Konsumenten ganz ohne Strom, ohne Akku, ohne Batterie funktioniert. Ja, so etwas gibt es auch. Und das bringt die Frage auf die Bedeutung der Musikmesse Frankfurt. Diese sei, wie Hanser-Strecker bei taktlos betonte, in erster Linie eine Händlermesse, keine Messe für den kommunikativen Austausch.

leichwohl finden im Rahmen der Frankfurter Musikmesse so genannte Diskussionspanels statt, die sich mit Themen der Musikkultur befassen. Zum Beispiel ein Panel zum Thema „Wirtschaftsmacht Laienmusizieren“. Einmal unabhängig davon, dass diese Panels in einem lieblosen Ambiente angeboten werden, in einem Acrylglas-Kasten mit den Diskutanten oben und einem an Zahl kleinen Publikum mit ähnlichen Verdächtigen auf den „billigen Plätzen“, stehen diese Panels für die Diskussionsrituale einer Musikkultur aus professionellen Musikverwaltern und -bürokraten. Im schlimmsten Fall laufen ihre Inhalte unter dem Stichwort „Pressemeldungsjournalismus“ und kreisen, dabei redundant jammernd (seit Jahren), um Rahmenbedingungen von Politik und böser oder ignoranter Wirtschaft. Dass mit dieser Methode ebenfalls kein Staat zu machen ist, liegt auf der Hand.

Und so kranken alle diese Veranstaltungen und Kongresse eigentlich entweder an der Ignoranz einer Wirklichkeit der musikalischen Praxis, eben der Masse an Laienmusikern und -sängern, deren Verbandssprecher daher permanent ihre wirtschaftliche Bedeutung betonen müssen ohne sie real sichtbar zeigen zu können. Oder sie kranken an jenen Schreibtisch-Entwicklungen einer Massenkultur über die Massenmedien, denen die Inhalte dieser Musikkultur völlig egal sind, solange sie nur einen positiven Jahreswirtschaftsabschluss garantieren – und sei dies auch nur für wenige Monate.

„Es gibt eine Musikkultur oder -leben, wie ist sie/es möglich?“ Die Ausgangsfrage ist so banal wie zentral. Vielleicht liegt die Antwort in ihrer prinzipiellen Unbeantwortbarkeit, weil Musikleben und Musikkultur prinzipiell unplanbar sind. Denn, man darf doch eines nicht vergessen, hinter all der Diskussionsfreude stehen doch mindestens zwei Gesellschaftsgruppen, die überall ausgeblendet werden: die Künstler selbst, die den Musiktank füllen und zweitens vielleicht noch ihre Vermittler.

Geplante Kultur, noch genauer: Geplante Kunst ist ein Widerspruch in sich selbst. Die Künstler und die Künste sind in der Regel am produktivsten dort, wo sie nicht zur Produktivität gezwungen werden. Leider ist genau dies der Grund dafür, warum sie derartige Kongresse meiden wie der Teufel das Weihwasser.

Martin Hufner

Links

taktlos 88: Musikmarkt-Visionen
Musikmesse Frankfurt
Popkomm. Berlin
forward2business
Hochschule für Musik und darstellende Kunst, Frankfurt
Schott Musik International

Und noch ein bisschen Zahlenspielerei

Menschen
2004: 1.903 Teilnehmer beim Bundesendausscheid von „Jugend musiziert“
2004: 11.000 Casting-Bewerber für „Sängerwettbewerb – Popstars“
2004: 60.000 Gema-Mitglieder
2004: 145.000 Mitglieder der Künstlersozialkasse
2005: 5.000.000 Arbeitslose nach Hartz IV

Geld
2004: 800.000.000 € Erträge GEMA
2004: 1.740.000.000 € Umsatz Phonographische Industrie
2003: 6.800.000.000 € GEZ-Einnahmen
2004: 9.070.000.000 € Umsatz Deutscher Buchhandel
2001: 39.700.000.000 € Schulden der Stadt Berlin
2000: 50.000.000.000 € UMTS-Lizenzen-Versteigerung
2004: 552.900.000.000 € Umsatz Land- und Ernährungswirtschaft
2004: 1.400.000.000.000 € Schulden der BRD

 

Social Bookmarking
Bookmark bei: Mr. Wong Bookmark bei: Webnews Bookmark bei: Linkarena Bookmark bei: Newskick Bookmark bei: Newsider Bookmark bei: Folkd Bookmark bei: Yigg Bookmark bei: Digg Bookmark bei: Del.icio.us Bookmark bei: Reddit Bookmark bei: Slashdot Bookmark bei: Netscape Bookmark bei: Yahoo Bookmark bei: Google Bookmark bei: Technorati Bookmark bei: Newsvine Bookmark bei: Ma.Gnolia Information

| top | nmz-start | kontakt |
| aktuelle ausgabe | kulturinformationszentrum | archiv/suche | abonnement | leserbrief |
| © 1997-2008 by neue musikzeitung und autoren | Impressum | Alle Rechte vorbehalten |