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nmz-archiv
nmz 2005/05 | Seite 6
54. Jahrgang | Mai
Magazin - Musikmesse
Gratwanderung zwischen Tradition und digitaler Moderne?
Parallele Welten auf der Musikmesse Frankfurt
In den einzelnen Ausstellungshallen der Internationalen Musikmesse
Frankfurt scheinen parallele Welten zu herrschen. Auf der einen
Seite die Tradition, auf der anderen die digitale Welt von morgen,
trotzdem gibt es auch befruchtende Berührungspunkte. Der folgende
Streifzug durch die Neuheiten der Musikwelt zeigt anhand ausgewählter
Beispiele, dass der Erfindergeist sowohl im traditionellen Instrumentenbau
als auch in der Computertechnologie weiter ungebrochen ist. Manches
erscheint eher skurril, anderes dagegen hat durchaus seinen Nutzwert.
Wo die kleinen Gitarren
herkommen: Vor allem Gitarrenbauer aus Spanien zeigten ihr
Können in Halle 3. Foto: Juan Martin Koch
Nach einem anstrengenden Tag auf der Musikmesse würde man
sich eine wohltuende Massage wünschen, die das verspannte Verhältnis
zum geschundenen Körper wieder normalisiert. Auch der Musiker
kennt diese Beschwerden, die sich aufgrund ungünstiger Haltung
regelmäßig einstellen.
Abhilfe dafür verspricht der so genannte Massagefinger von
Katharina Apostolidis. Durch Anlehnen des Rückens an eine leichte
Holzkonstruktion, die bequem an diverse Rahmen oder Gestelle fixiert
wird, kann man auf den schmerzenden Muskel einen sanften Druck ausüben,
bis sich die Verspannung löst. Den Massage-Finger kann man
zum Beispiel über den Rücken gleiten lassen, indem man
sich auf und ab oder seitlich bewegt. Assoziationen mit Schwarzkitteln,
die sich an ihrer Lieblingseiche die Schwarte kratzen, sind rein
zufällig, aber nicht auszuschließen.
Wieder entspannt kann man sich dann den anderen Entdeckungen des
Tages widmen. So wurde von der deutschen Firma Wersi eine Tastatur
vorgestellt, die man auf Taschenformat zusammenrollen kann. An beliebigen
Plätzen mit entsprechender Unterlage lässt sich die über
fünf Oktaven reichende schwarz-weiße Gummimatte auslegen
– Kopfhörer anschließen und ab geht die Post. Die
integrierte Sound-Konsole ermöglicht eine Auswahl an 128 Klängen
und 100 verschiedenen Rhythmen. Allerdings bedarf es ein gutes Maß
an Anschlagskraft, um dem Instrument die entsprechenden Töne
zu entlocken. „Keys to go“ nennt sich dieses Taschenkeyboard
und so geht man ein Stockwerk höher und findet dort ein nahezu
identisches Modell eines taiwanesischen Ausstellers vor. Der Unterschied
besteht darin, dass lediglich 37 Tasten, dafür aber zusätzlich
eine USB-Schnittstelle vorhanden sind. Das Kästchen zur digitalen
Klangbearbeitung befindet sich auf der linken Seite, bei dem deutschen
auf der rechten. Das Motto lautet auch hier: „anywhere and
anytime“.
Behaglichkeit und Komfort für den modernen Musiker liegen
auch anderen Ausstellern am Herzen. Roger Zanetti aus der Schweiz
hat das kleinste Alphorn entwickelt, das keine klanglichen Abstriche
verspricht, dafür aber entscheidende Vorteile beim Transport
aufweist.
Traveller Guitar aus Kalifornien wirbt mit seinen in den Ausmaßen
minimalistischen Modellen damit, dass man das Teil sogar mit auf
den Mount Everest oder in die Wüste bequem mitnehmen kann,
um auch an diesen Orten seiner Musikleidenschaft nachzugehen.
Der Koreaner Nam Soo Jung hat in jahrelanger Tüftelei einen
elektrischen Seitenwender entwickelt, der es dem Tonkünstler
erlaubt, ohne Pause vom Blatt zu spielen. Der mit einem Silikonaufsatz
bestückte Greifarm liegt auf der zu blätternden Seite
auf, während zwei weitere Stäbchen (keine Essstäbchen
wohlgemerkt) das Notenheft in Position halten. Beim Blättern
schnappen diese zurück, um nach dem Wendevorgang wieder in
die Ausgangsstellung zu gehen. Die Bedienung kann wahlweise per
Fußschalter oder für die Umgewöhnungszeit per Hand
durch Knopfdruck erfolgen. Der MusicTurnerTM ist durchaus eine gelungene
Sache, die dem Musiker gute Dienste erweisen kann. Einzig im pianissimo
könnte es während des automatischen Umblätterns zu
störenden Motorengeräuschen des Gerätes kommen. Daran
wird aber noch gearbeitet, wie Herr Jung erklärt.
Eine Generation weiter ist das koreanische Produkt MuseBook®,
das „eine neue Ära der digitalen Notenmusik“ einleiten
soll. Statt dem üblichen Notenheft stehen auf dem Pult wahlweise
ein oder zwei Bildschirme, auf denen die vorher eingescannte Partitur
erscheint.
Wie bei dem Seitenwender wird das Umblättern mit Hilfe eines
Fußschalters eingeleitet. Die neueste Entwicklung geht sogar
so weit, dass das System die gespielten Noten erfasst und selbstständig
die nächste Seite aufruft. Die Notenerkennung kann digital
oder analog über Mikrofon erfolgen. Mittels eines elektronischen
Schreibgerätes erlaubt das Produkt auch handschriftliche Notizen
in der Partitur. Der Anblick dutzender von Flachbildschirmen, die
auf den Pulten der Musiker und des Dirigenten in den Konzertsälen
der Welt vor sich hin flimmern, ist wohl eher gewöhnungsbedürftig.
Der Einfluss der digitalen Revolution auch auf traditionelle Bereiche
des Musikinstrumentenbaus ist bekanntlich keine Neuheit. So bietet
Schimmel schon seit längerem einen klassischen Konzertflügel
an, der gleichzeitig stumm geschaltet werden und über Kopfhörer
oder PC laufen kann. Für empfindliche Nachbarn durchaus geeignet.
Selbst der ansonsten traditionsbewusste spanische Gitarrenbauer
Conde Hermanos hat sich den Wünschen der Kunden gebeugt und
eine klassische Gitarre mit integrierter Midi-Konsole in sein Programm
mit aufgenommen.
Aber auch die traditionelle Bauweise kann sich weiterhin behaupten.
50 bis 70 Stunden handwerkliche Arbeit stecken in den Blechblasinstrumenten
des Herstellers Amrein aus Lübeck, bevor sie ihre hohe Qualität
auf der Bühne beweisen können. Für ihre innovative
Weiterentwicklung bekam die Quartposaune des Hauses Amrein im Jahre
2001 den Musikinstrumentenpreis.
Die Zupfinstrumentenwerkstätte Dieter Hopf aus Taunusstein
schafft es, ohne digitale Technik die Klangeigenschaften der Instrumente
zu verbessern. Sie konnte durch bauliche Veränderungen eine
größere Schwingfläche des Korpus der neu vorgestellten
„Wunderton“-Gitarre erreichen, die Dieter Hopf zusammen
mit dem Gitarrenbaumeister Martin Duwe entwickelte. Die Firma Neupert
aus Bamberg spezialisiert sich auf historische Instrumente und stellt
auf der Messe ein neues Cembalo vor, das auf der Grundlage eines
zweimanualigen 16‘-Cembalo aus dem Jahre 1734 gefertigt wurde.
Angepasst an die moderne Praxis des Musizierens wird ein nahezu
authentisches Klangbild angestrebt, wie es zur Zeit von Johann Sebastian
Bach üblich war.
Beide Bereiche sind also in der Lage, Innovationen zu bieten und
auf dem Musikmarkt zu bestehen. Das zeigen nicht zuletzt die Besucherzahlen
der Messe, die gegenüber dem Vorjahr um rund 1 Prozent gestiegen
sind und die Umsatzerhöhung um durchschnittlich 3,5 Prozent
für das Geschäftsjahr 2004, womit der Bundesverband der
Deutschen Musikinstrumentenhersteller (BDMH) aufwarten kann. Trotz
der anhaltend schwierigen Bedingungen sind dies vielleicht hoffnungsvolle
Zeichen für die Zukunft.