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nmz-archiv
nmz 2005/05 | Seite 8
54. Jahrgang | Mai
Medien
Öffentlich-rechtliche Medien unter Druck
Anhörung „Zur Rolle der öffentlich-rechtlichen
Medien für die Kultur“ in Berlin
Die 41. Sitzung der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“
verhandelte am 18. April das Thema die „Rolle der öffentlich-rechtlichen
Medien für die Kultur“ in öffentlicher Sitzung.
Dafür entwickelte die Kommission einen beträchtlichen
Fragenkatalog von insgesamt 28 Fragen, die zugleich an die Vertreter
von ARD und ZDF, das Deutschlandradio Kultur und drei weitere Medienexperten
ging. Um das Ergebnis von hinten aufzuzäumen: In ihrem Abschlusskommentar
fasste die Vorsitzende der Kommission, Gitta Connemann (CDU), das
Ergebnis so zusammen. „Die gute Nachricht: Die öffentlich-rechtlichen
Medien verabschieden sich keinesfalls von ihrem Kultur- und Bildungsauftrag.
Und die schlechte Nachricht: Wie dieser Auftrag auszusehen hat,
scheint jeder anders zu definieren.“ Zwei drastische Beispiele
dafür: Die Fernsehreihe „Unsere Besten“ subsumierte
der Programmdirektor des ZDF, Thomas Bellut, zweifellos als Kultursendung;
die ARD setzt übrigens tatsächlich „das Quiz mit
Jörg Pilawa“ dagegen!
Tiefe Unsicherheit auch auf Seiten der Radiomacher. Einerseits
betonte der Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks, Johannes
Grotzky (stellvertretend für die ARD), dass die Messung von
Einschaltquoten im Rundfunk zugegebenermaßen sehr ungenau
sei, insbesondere bei den so genannten Kulturwellen und dass es
ihm, statt um Einschaltquote, um die so genannte Reichweite eines
Programmes gehe. Andererseits wusste er auf die Nachfrage der Enquete-Kommission
nach der unseligen Veränderung bei NDR Kultur nur ein Blick
in die Einschaltquoten entgegenzusetzen und NDR Kultur mit KlassikRadio
zu vergleichen. Ebenso betonte Grotzky, dass man heute auch kein
Kulturprogramm mehr mit der Vorstellung von Krawatte und Kerze machen
könne und verwies in der Stellungnahme schriftlich auch auf
den unseligen Vortrag des Hörfunkdirektors des Hessischen Rundfunks,
Heinz Sommer, aus dem Jahr 2003 hin, dass der traditionelle Kulturbegriff
überholt sei. Sommer sagte, zur Erinnerung: „Der Radiohörer
hört Radio – nicht Kultur… in allererster Linie
Radio und nicht Inhalte“. Also: Krawatte und Kerze seien eben
nicht zeitgemäß und somit „altes Radio“;
im gleichen Atemzug fiel es ihm nicht schwer, die Frage nach der
Zerstückelung von „klassischer“ Musik in Vor- und
Nachmittagsprogramm beispielsweise von NDR Kultur zu beantworten,
dass eben dies doch durchaus Praxis im 18. Jahrhundert gewesen sei.
Der von der Kommission geladene Experte Thomas Frickel von der Arbeitsgemeinschaft
Dokumentarfilm nannte solche Praxis in seiner schriftlichen Stellungnahme:
„In Wahrheit ist das aber keine Kultur, sondern eine moderne
Form der Kulturbarbarei.“
Ja, was denn nun? Connemanns Einwand zur Definition des Kulturbegriffs
in den öffentlich-rechtlichen Medien gilt zu Recht. Wenn jeder
sich seinen Kulturbegriff jeweils nach Lust und Laune bestimmen
kann, dann wird die Aufsicht über die öffentlich-rechtlichen
Medien nach Kriterien von Kultur- und Bildungsauftrag zum Roulette.
Kritik an den Entwicklungen des Hörfunks äußerte
daher auch der ehemalige Wellenchef von NDR3, Wolfgang Knauer. In
seinem schriftlichen Statement betonte er, dass es zweifelhaft sei,
dass die im Hörfunk eingeleiteten „Reformen“ höhere
Einschaltquoten zur Konsequenz hätten. Und zur Entwicklung
in Richtung Formatradio schrieb er: „Ob sich die strenge Formatierung
auf die Dauer für die Kulturprogramme eignet, muss bezweifelt
werden, da sie musikalisch zu stark einengt, tiefer gehende Darstellungen
verhindert und feuilletonistischen Esprit nahezu unmöglich
macht. Hinzu kommt, dass die Übernahme eines für Popwellen
entwickelten dramaturgischen Prinzips auch zur stilistischen Nachahmung
der dort üblichen Darbietungsart verleitet und den Hang zu
Trivialisierung fördert.“
Zu einer anderen Sichtweise wollte schließlich Wolfgang Stock,
Medienanalyst an der Justus-Liebig-Universität Gießen
anregen. In seiner Stellungnahme schrieb er: „Für Fernseh-Konsumenten
ist Wirklichkeit immer mehr das, was sie im Fernsehen sehen –
und das, was sie dort nicht sehen, kann nicht wichtig sein. Die
Medienwirkungsforschung ist sich einig: Medien schaffen nicht nur
Interesse, sondern prägen Meinungen. Daraus folgt: Wenn das
öffentlich-rechtliche Fernsehen Kultur nicht angemessen im
Hauptprogramm und in den Nachrichten plaziert, verliert Kultur in
der öffentlichen Wahrnehmung (und auch in der Politik) an Bedeutung.“
Man müsse sich also im Umkehrschluss nicht wundern, wenn die
Quoten der Kulturprogramme rückgängig seien oder stagnierten.
Der Kulturbegriff der ARD lautet fast in Umkehrung des Hinweises
von Stock: „Nur wenn die Zuschauerinnen und Zuschauer erkennen
können, dass Kultur für sie relevant ist und etwas mit
ihrem Leben zu tun hat, wollen sie sie auch im Fernsehen sehen.“
So gesehen muss man sich nicht wundern, wenn Kulturberichtserstattung
im Wesentlichen auf eine Eventkultur abziele. Wenn man also die
nicht kultige Kultur aus den Nachrichten und dem Hauptprogramm entferne,
entfernt sie sich in ihrer faktischen Breite. In Österreich
habe man diesen Trend mit Erfolg aufhalten können. Das Interesse
an kulturellen Sendungen steige dort feststellbar in entsprechendem
Maße. Und auf etwas anderes wies Stock hin. Die Praxis der
öffentlich-rechtlichen Medien spiegele damit gar nicht die
Reichhaltigkeit der kulturellen Initiativen in Deutschland wieder.
Ein weiterer Schwerpunkt der Sitzung der Enquete-Kommission „Kultur
in Deutschland“ war die Zukunft der Rundfunkklangkörper.
Während die Kommissionsmitglieder der ARD vorwarfen, leichtfertig
diese Kulturträger in ihrem Bestand zur Disposition zu stellen,
verwahrten sich Grotzky und Fuchs gegen den Vorwurf, daran seien
schließlich auch die von der Politik zwangsweise erniedrigte
Erhöhung der Rundfunkgebühren mitschuldig. Man bemühe
sich, den Bestand der Orchester zu garantieren, aber wenn die Signale
der Politik in eine andere Richtung gehen, sei letztlich diese verantwortlich,
nicht der Rundfunk. Dem Vorwurf, dass man dabei die Orchester für
diesen Vorwurf instrumentalisiere, entgegneten die ARD-Verantwortlichen,
dass nicht allein an den Orchestern gespart werde, sondern durchaus
in allen Bereichen des Rundfunks.
Der öffentliche Druck auf die mediale Öffentlichkeit
steigt. Neben all den Problemen der Bewertung von Bildungs- und
Kulturauftrag steht ja auch die Frage nach der Gestaltungsmacht
des Öffentlichen, wie sie in den öffentlich-rechtlichen
Medien stattfindet. Sie sind eben nicht Vollzugsorgane einer anonymen
Masse, sondern – zumindest theoretisch – Organe der
bürgerschaftlichen Öffentlichkeit, eben auch der kulturellen.
Dies lässt sich nicht einfach durch den Verweis auf Auslagerungen
in die so genannten Spartenprogramme (wie etwa Bayern Alpha, die
so genannten „Dritten Programme“, ZDF.info, ZDF.doku,
den ZDF.theaterkanal, oder Phoenix) abwehren. Öffentliche Meinung
und öffentliche Kultur brauchen öffentliche und weit reichende
Programme, eben auch zu „guten“ Sendezeiten in den Hauptprogrammen.
Positiv anzumerken ist das größtenteils hohe und überfraktionelle
Niveau der Fragen der Kommissionsmitglieder. Die Veranstaltung konnte
so zeigen, dass die anwesenden Politiker sich doch noch als Volksvertreter
artikulieren können. Das ist vielleicht die letzte gute Nachricht.