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Ausgabe 2005/05
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nmz 2005/05 | Seite 24
54. Jahrgang | Mai
Musikvermittlung

Man hat ein bisschen mehr Liebe für diese Welt

Die Berliner Philharmoniker gehen mit Rattles Projekt Zukunft@BPhil ungewöhnliche Wege

Herzog Blaubarts Burg von Béla Bartók stand auf dem Programm der Berliner Philharmoniker und gab den Anstoß zum Musiktheaterworkshop im Gefängnis. Es ging nicht um das Nacherzählen der Geschichte, sondern um die Struktur: Sieben Türen gibt es in Blaubarts Burg und der Besitzer lädt die hübsche Judith ein, einen Blick hinter die Türen zu werfen. „7 Türen” lautete später der Titel des Musiktheaterstückes, in dem die Inhaftierten ihre Blicke hinter die Türen zeigten.

Sieben Türen öffnen sich in der Kirche der JVA Plötzensee: Fotos: Akinbode Akinbiyi

Sieben Türen öffnen sich in der Kirche der JVA Plötzensee: Fotos: Akinbode Akinbiyi

Man muss vor allem sehr genau zuhören, was mit den Menschen passiert. Ich meine nicht nur das, was sie sagen, sondern wie sie sich geben. Wirklich zuhören und sich selbst zur Verfügung stellen für das, was kommt.“ Der Regisseur Stephen Langridge hat ein Faible fürs Musiktheater, für die Oper. Ob Monteverdis „Orfeo“ oder Bergs „Wozzeck“, er springt mit aller Energie in die Regiearbeit und behält stets einen klaren Kopf, was die Strukturen und das Zeitmaß angehen. Regelmäßig arbeitet er gern mit nicht-professionellen Gruppen. „Das füllt meine Batterien wieder auf, ich brauche das, um mich an diese leidenschaftlichen Bedürfnisse nach Kommunikation zu erinnern. Manchmal denke ich, es könnte nicht schaden, wenn professionelle Opernkompagnien diese Energie hätten, die hier natürlich ist. Und dass diese Leute ein bisschen von diesem professionellen Niveau haben müssten. Das ist ein wechselseitiger Prozess.“

Der Schriftsteller Stephen Plaice, der zweite Trainer dieses Workshops, war mehrfach „prison writer“ und hat in Gefängnissen in Großbritannien mit Inhaftierten gearbeitet. Ihn reizt die besondere Atmosphäre. Nicht der Mythos, der von Außen darauf projiziert wird, mit dem Kitzel einer irgendwie stets lauernden Gefahr, die nach Erlebnis-Camp für Schriftsteller anmutet und ihm den Stoff für die nächsten Romane und Fernsehkrimis liefert. Er ist fasziniert von der Qualität der Texte der Inhaftierten. „Ich habe fast sieben Jahre lang in einem Gefängnis in England gearbeitet – ich war drei Tage in der Woche dort – und ich habe oft gemerkt, dass ein gewisses Licht in der Dunkelheit scheint. Man muss irgendwie diesen Druck haben und diese Finsternis, um diese Bilder zu finden und zu sehen.“

Ruhepol und Motor des Workshops war der Komponist Nigel Osborne. Ein großer breitschultriger Mann, der warmherzig und freundlich wirkt. Wie der Gefängnisseelsorger Eckart Wragge haben die meisten gefühlt: „Ich hatte große Sorge, wie kommen die beiden Seiten überhaupt irgendwie zusammen, aber als ich dann gesehen habe, wie Nigel Osborne sofort auf Menschen zugegangen ist, dann kann ich nur sagen. Alle Achtung!“ Was an Nigel Osborne am meisten begeisterte, beschreibt der Cellist Ludwig Quandt: „Die unglaubliche Gelassenheit und Ruhe, die er ausstrahlt und diese plötzliche musikalische Begeisterung, die aus der Ruhe herausspringt und alle sofort erfasst.”

Henrike Grohs, Organisatorin des von Simon Rattle in seiner Chefposition bei den Berliner Philharmonikern ins Leben gerufenen Projektes Zukunft@BPhil hat mit diesen Trainern ein „Dreamteam“ zusammengestellt. „Wir kennen uns gut genug, um uns zu vertrauen, dass es gut genug ist und wir verwerfen es, wenn es in eine falsche Richtung läuft,“ so die gemeinsame Arbeitsbasis. Und das Ziel ist ein Gemeinsames „Ich glaube, dass wir etwas Menschliches, den Drang, etwas zu schöpfen, etwas Kreatives in die Welt zu bringen, dass wir das möglich machen für die Leute, die in unseren Workshops dabei sind,“ erklärt Stephen Plaice.

Nigel Osborne lud zum ersten Kennenlernen alle auf eine musikalische Reise ein, vorsingen, nachsingen, begleitet von seiner Gitarre, ergänzt durch Rhythmusinstrumente. Stephen Langridge begann mit leichten pantomimischen Übungen. Zum Ausklang des ersten Tages spielte Ludwig Quandt auf seinem Cello. Es war ein wundersamer Moment, in dem alle in der überhalligen Gefängniskapelle von einem beseelten Celloklang eingehüllt wurden und spürten: Hier könnte etwas ganz Besonderes passieren, der Raum steht allen offen, wir müssen uns nur trauen, einzutauchen.

Mit einer Engelsgeduld hat Stephen Osborne Ton für Ton, Akkord für Akkord Melodien und Begleitung mit allen gemeinsam erarbeitet: vorgesungen – gefragt – abgestimmt – noch mal gesungen oder gespielt – abnicken lassen. Ähnlich wurden die Texte und die Pantomime erarbeitet. Die zunächst verunsicherten Inhaftierten wurden motiviert durch die Gewissheit: „Die wollen mit uns gemeinsam was machen.“

Auch die Berliner Philharmoniker wussten nicht, was auf sie zukam. Mitgemacht haben Madeleine Caruzzo, Violine, Rainer Seegers, Schlagzeug, Ulrich Wolff, Kontrabass und Ludwig Quandt, Violoncello. Letzterer gesteht: „Das will ja keine fertige Aufführung sein, es ist ja auch nichts irgendwie aufgeschrieben – und wir haben es doch so gerne, wenn es aufgeschrieben ist und wir genau wissen, was wir zu tun haben. Also das ist für uns eine Herausforderung. Das Einzige, was ich eben für mich persönlich verarbeiten muss, ist die Erfahrung, dass ich das, was vielleicht hier von mir gefordert wird, gar nicht liefern kann, weil ich von meiner Ausbildung her einfach so ein „ganz sturer Orchestermusiker“ bin. Und andererseits macht es auch wieder nichts, alle schwimmen beziehungsweise alle sitzen im gleichen Boot und es kommt trotzdem was Schönes dabei raus.“ Und wieso funktioniert das in dieser zufällig zusammengewürfelten Gruppe so schnell? „Tja, da muss man wahrscheinlich in die Steinzeit zurückgehen, es sind hier alles Männer, Männer neigen dazu, sich zu organisieren und im Team zusammenzuarbeiten.“

Hinzu kamen Stephan Kapitzke, Projektassistent und Saxophon, Jocelyn B. Smith, Stimme und Keyboard, Onnen Block, Stage-Manager, Henrike Grohs und Larissa Israel, Programm-/Projektmanagement, zehn Inhaftierte, darunter ein Rapper, ein Techno DJ, ein Salsa-Sänger und verschiedene semi-professionelle Musiker mit Schlaginstrumenten von der Bongo bis zur Rassel. Auch Diakon Dieter Bakalara und der Gefängnisseelsorger Eckart Wragge machten mit.
Es entstanden Texte wie: „Ich wollte sehen, was dahinter ist, um zu wissen, was draußen passiert. Ich wurde reingezogen von reiner Energie… In den Spiegeln (hinter der Tür) habe ich die Umrisse vom inneren Ich gesehen und ich spürte, dass ich mit mehreren Identitäten und Möglichkeiten meiner Zukunft konfrontiert wurde.“

Abends in der Zelle wurde weiter getextet und gerappt. M., der durch das illegale Graffiti-Sprayen in die kriminelle Szene abrutschte, war glücklich, einen eigenen Rap einbringen zu können. Der Gefängnisseelsorger Eckart Wragge beeindruckt:

„Was ich nie gedacht hätte, dass ein Gefangener seine selbst produzierte CD vorstellen kann, ohne dass es abschätzige Bemerkungen gibt. Das wird eingebaut. Das ist revolutionär! Denn die klassisch geschulten haben immer ein Problem mit der U-Musik gehabt.“ Er erzählt: „Eigentlich bin ich erst durch Sir Simon Rattle so richtig wieder wach geworden, und besonders auch durch den Film ‚Rhythm is it‘. Da bin ich wirklich total begeistert und kann es noch immer gar nicht glauben, dass die Philharmoniker sich so in die Gesellschaft hineinbegeben. Ich weiß zwar auch, woher das ganz sachlich kommt, dass sie eben einen Sponsorenvertrag mit der Deutschen Bank haben, aber in welchem Geist sie das füllen, ist wirklich bemerkenswert.“ Und der Rapper erklärte: „An dem Projekt finde ich gut, dass ich mit Menschen zusammenkomme, mit denen ich im normalen Leben nie was zu tun hätte. Meine Sozialarbeiterin hat mich halt angesprochen, die meinte, ob ich Lust hätte. Und wie gesagt, Philharmoniker, die Philharmonie ist halt weltberühmt, ist auf jeden Fall schon ein tolles Erlebnis für mich, mal mit denen zusammenzuarbeiten. Ich hab das Gebäude schon oft gesehen, das ist das goldene Gebäude irgendwo am Potsdamer Platz, das wollte ich immer besprühen, aber, na ja, jetzt mach ich‘s halt anders, jetzt arbeite ich halt, jetzt probe ich halt mit denen was zu machen.”

Entstanden ist in der abendlichen Freizeit der Inhaftierten in fünf Tagen ein 30-minütiges Stück „7 Türen“ mit einer Burgmusik, der Begrüßung von Judith durch Blaubart und dem Blick hinter sieben Türen, durch Musik, durch Pantomime. Der Sprayer entwickelte gemeinsam mit einem Freund ein Bühnenbild aus dem Titel „7 Türen“, die Tontechnik wurde ergänzt durch Lichtregie. Professionalität auf allen Ebenen. Es gab Eintrittskarten (gedruckt in der Philharmonie), ein Programmheft und am Ende reichlich Applaus – Freunde, Mithäftlinge, Angestellte der JVA, alle waren sichtlich beeindruckt. Bliebe noch zu berichten, dass alle gemeinsam die Generalprobe zu „Herzog Blaubarts Burg” in der Berliner Philharmonie besucht haben. Mit großer Neugier auf die „7 Türen“ in der Musik von Béla Bartòk und einem besonderen Vergnügen daran, die Musiker zu beobachten, die man kennen gelernt hatte.

Zukunft@BPhil – ein Projekt von Simon Rattle, dessen Möglichkeiten und Auswirkungen für die klassische Musik und für unsere Gesellschaft noch gar nicht wirklich diskutiert worden sind. Viele sind überrascht und wundern sich, wie offen die Türen sind. So erklärt der Rapper: „Diese Cellospieler, Geigenspieler, das sind für mich riesengroße Künstler! Ich kann mit meiner Musik mit dem Rap leider nicht so viele Gefühle rüberbringen wie diese Leute mit ihren Instrumenten!“

Margarete Zander

Veranstaltungstipp

Nigel Osborne ist eine Persönlichkeit mit Charisma. Er arbeitet mit traumatisierten Kindern auf dem Balkan oder Flüchtlingen in Georgien. Er geht in Gefängnisse und wird besonders in Großbritannien als Komponist von Opern und Instrumentalwerken gefeiert. Mit den neuesten Ergebnissen aus dem Bereich der Hirnforschung belegt er die Möglichkeiten der emotionalen Stärkung des Menschen durch Musik. Seit Februar ist er Leiter des „Institute for Music and Human and Social Development an der Universität Edinburgh. Sein Arbeitsgebiet: „Music and Medicine”.

Er wird bei den Klassiktagen der Messe Berlin am 15. und 16. September zu Gast sein und von seinen Erkenntnissen und Erfahrungen berichten.

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