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nmz-archiv
nmz 2005/05 | Seite 9
54. Jahrgang | Mai
Pädagogik
Richtungsweisende Bedeutung
Kommentar I zur Studie der Initiative „Bildung der Persönlichkeit“
· Von Hermann Wilske
Ohne jeden Zweifel gehört die gemeinhin auch Konrad-Adenauer-Studie
genannte Schrift zur Neuorientierung des Musikunterrichts zu den
bedeutendsten Untersuchungen der letzten Jahrzehnte überhaupt.
Sie setzt viele Schwerpunkte grade in solchen Feldern, welche die
Musikpädagogik in der Bundesrepublik Deutschland schon lange
geräumt hat. Der ästhetische Wert der Musik sei ins Zentrum
der musikalischen Bildung zu rücken, ein ausgeprägtes
Qualitätsbewusstsein hinsichtlich Komposition, Interpretation
und technischer Ausführung von Musik zu entwickeln. Subjektives
Musikempfinden und individueller Geschmack stünden objektiver
Analyse und sachlich begründeter Orientierung in der musikalischen
Vielfalt gegenüber.
Als wünschenswerte Rahmenbedingungen werden in der vorliegenden
Studie zuweilen Forderungen erhoben, die selbst die Musikpädagogischen
Verbände schon verschämt suspendiert haben – etwa
die des zweistündigen Pflichtfachs in allen Jahrgangsstufen.
Bedenkenswert sind auch die Vorbehalte gegen die kurzatmige Förderung
einzelner „Showprojekte“ an Schulen: In der Tat nämlich
ist dem oft voraussetzungslosen Unterricht in der Schule vielfach
eine AG-Situation an die Seite getreten, in der die notwendige Nachhaltigkeit
für Stimmbildung in Chören oder Klangkultur der Orchester
nicht länger gegeben ist.
Als Konsequenz dieser Situation ist eine deutliche Verminderung
des klassischen Repertoires zu beobachten, während die gleichzeitige
Zunahme von Ad-hoc-Produktionen im Pop- oder Musicalbereich keinesfalls
nur Schülervorlieben reflektieren, sondern zugleich Spiegel
all dessen geworden sind, was im Rahmen schulischer Möglichkeiten
noch realisiert werden kann.
Es tut der richtungsweisenden Bedeutung der Studie keinen Abbruch,
wenn die Zusammenfassung musikpädagogischer Konzepte im 20.
Jahrhundert mehr als lückenhaft ausgefallen ist. Gleiches gilt
für den Kanon verpflichtender Musikwerke, der im Anhang aufgeführt
ist – insbesondere im Bereich der Popularmusik wären
obligatorische Unterrichtsinhalte sinnvoll gewesen, die den ambitionierten
Zielvorgaben der Studie weitaus besser entsprochen hätten als
ein Kompendium von überwiegend kommerziell geprägter Rockmusik.
Entscheidend in diesem Zusammenhang ist vielmehr die Formulierung
eines Kanons an sich, ganz im Sinne jener bedenkenswerten Kritik
an den in jüngster Zeit formulierten Lehrplänen und Bildungsstandards
(„zu wenig konkrete Formulierungen und inhaltlich zu große
Freiheit; das führt schnell zu Beliebigkeit und ‚Gleich-Gültigkeit‘“).
In ihrer Gesamtheit ist die Studie nichts Geringeres als eine Steilvorlage
und Diskussionsgrundlage überall dort, wo an Perspektiven zur
Verbesserung des Musikunterrichts gearbeitet wird – auch und
gerade für Verbandsvertreter im Diskurs mit dem zuständigen
Ministerium.
Exemplarisch sei abschließend das Singen herausgegriffen,
dem in der Studie wieder eine deutliche Präferenz eingeräumt
wird. Mehr als je zuvor ist Eltern und Bildungsplanern in jüngster
Zeit offenbar schmerzlich bewusst geworden, was man durch den Verlust
des gemeinsamen Singens verloren hat. Diese Studie ist ein Glücksfall
für den nötigen Aufbruch in der Schulmusik. Die aus ihr
resultierenden Möglichkeiten sollten nicht verpasst werden.