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nmz-archiv
nmz 2005/05 | Seite 41
54. Jahrgang | Mai
Bücher
Plädoyer für eine organische Syntax
Die Konfessionen des Klanggestalters York Höller
York Höller: Klanggestalt – Zeitgestalt.
Texte und Kommentare 1964–2003, hg. von Reinhold Dusella
(Musik der Zeit, Dokumentationen und Studien, Bd. 10) Boosey &
Hawkes/Bote & Bock, Berlin 2004, 291 S., € 34,95, ISBN
3-7931-1697-2
Wie
Bernd Alois Zimmermann, der um wenige, aber angesichts von Nazi-Herrschaft
und Zweitem Weltkrieg entscheidende Jahre ältere Kollege der
Darmstädter Serialisten, ist auch sein 1944 in Leverkusen geborener
Schüler York Höller einige Jahre älter als die um
1950 geborenen Vertreter der sogenannten „Neuen Einfachheit“,
so dass er seine Kritik am Serialismus entsprechend früher
formulierte. Seit seiner Examensarbeit „Fortschritt oder Sackgasse?
Kritische Betrachtungen zum frühen Serialismus“ (Pfau
1994), die er 1966 zum Abschluss seines Schulmusikstudiums an der
Kölner Musikhochschule schrieb, war er in seinen Kompositionen
und theoretisch in einer Reihe von Vorträgen und Essays um
einen eigenen musikalischen Weg bemüht in Abgrenzung vom seriellen
Konstruktivismus auf der einen Seite sowie von Indetermination,
Aleatorik, Auflösen des Werkbegriffs und dezidiert politischem
Engagement auf der anderen.
Seine jetzt erschienenen gesammelten Schriften enthalten als Originalbeitrag
eine ausführliche autobiografische Skizze mit zahlreichen Fotos
sowie seine zentralen Texte über „Gestaltkomposition“
(1981/82) und – was dem Band den Titel gab – „Klanggestalt
– Zeitgestalt“ (1998/2003). Anhand konkreter Beispiele
dokumentieren sie Höllers Versuch, auf der Grundlage eines
an wahrnehmungspsychologischen Kategorien (Gestaltwahrnehmung, dynamisches
und zeitliches Unterscheidungsvermögen) ausgerichteten Konstruktivismus
zu einer neuen musikalischen Syntax und nachvollziehbaren organischen
Entwicklungs- beziehungsweise Durchführungsform zu finden.
Hinzu kommen ästhetische Texte, in denen sich Höller zu
den Leitvorstellungen des Schönen, zu „Echtheit, Unverwechselbarkeit,
Klischeefreiheit, Prägnanz (Klarheit) und Schlüssigkeit“
(S. 135) bekennt, und instruktive Kommentare zu seinen sämtlichen
Werken aus vierzig Jahren.
Ergänzt wird der Band durch sechs Sekundärtexte verschiedener
Autoren zur Oper „Der Meister und Margarita“ (1984-89),
den Klavier-, Orchester- und (live-)elektronischen Werken. Es sind
überwiegend ästhetische Betrachtungen, die sich zu eng
an die Selbstäußerungen des Komponisten anlehnen und
kaum eigenständige Analyseansätze bieten. Eine Ausnahme
machen hier – beides Erstveröffentlichungen in deutscher
Übersetzung – Marc Battiers und Thierry Lacinos Ausführungen
zu den Klangsyntheseverfahren am Pariser IRCAM, dank derer Höller
in „Résonance“ (1981) auf der Grundlage digitalisierter
Orchesterklänge fließende Klangfarbenwechsel zwischen
herkömmlichen Instrumenten komponierte, sowie Stanley Haynes
detaillierter Bericht über die Realisierung des 4-Kanal-Tonbandes
von „Arcus“ (1978) mit einem zehnseitigen Anhang zu
den damals am IRCAM eingesetzten Computerprogrammen.
Höllers Schriften sind allesamt verständlich und klar
formuliert, weshalb der Herausgeber auf Anmerkungen komplett verzichtete.
Indes wäre die eine oder andere Fußnote doch wünschenswert
gewesen. Die Verzeichnisse zu Primär- und Sekundärliteratur
im Anhang bieten nur eine Auswahl. Schwerer wiegt das Versäumnis,
dass die Hälfte von Höllers Texten ohne Nachweis der Erstveröffentlichung
bleibt und dadurch die Umfragen zu Bach, Mozart und „Musik
und Mathematik“ ihren ursprünglichen Kontext verlieren.
Tabellarischer Lebenslauf, Diskografie, chronologisches und systematisches
Werkverzeichnis sowie ein Personenregister beschließen den
Band und machen die lesenswerte Einführung in Höllers
Denken von und über Musik zu einer wichtigen Grundlage einer
jeden weiter führenden Beschäftigung mit dem Werk des
Kölner Klanggestalters.