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nmz-archiv
nmz 2005/05 | Seite 41
54. Jahrgang | Mai
Bücher
Bewusstsein für Sparte schärfen
Ein Buch rückt den kreativen Kindertanz ins Blickfeld
Katja Schneider: Alle Kinder tanzen gern. Wie Tanzen Kinder fördert
und erfüllt, Beust Verlag, Wiesbaden 2004, 192 S., Abb.,
€ 12,95, ISBN 3-937715-92-4
Ratgeber – Leitfaden – Informationsband zu Theorie
und Praxis des Tanzens – Hintergründe: Dieses Buch, das
sich vorrangig an Eltern wendet, erfüllt zahlreiche Funktionen.
Es bietet Antworten auf viele Fragen, die sich Eltern stellen, wenn
sie eine – stilistisch wie auch immer geartete – tänzerische
Erziehung Ihrer Kinder ins Auge fassen. Katja Schneider ist als
Tanzpädagogin und Tanzjournalistin prädestiniert, das
Thema Tanzen mit Kindern fundiert und bis ins Detail praxisnah (z.B.
welche Kleidung oder Haartracht für welchen Tanzstil und warum?)
darzustellen. Das Buch bietet eine gelungene Balance von Hintergrundinformationen,
Einzelfall-Beschreibungen, persönlichen Erfahrungen der Autorin
und generellen Betrachtungen. Die bunt gemischte Kapitelfolge kann
auch ausschnitthaft gelesen werden, allerdings wäre durch eine
Themenblöcke zusammenfügende Systematik eine klarere Orientierung
gegeben. Einige Kapitelüberschriften machen Appetit auf mehr,
so zum Beispiel „Tanz birgt altes Weltwissen“ oder „Tanzen
macht Musik sichtbar“, aber vielleicht ließ die Zielsetzung
des Buches einen tieferen Einstieg in diese Themen nicht zu. Trotzdem
hat alles auch bei zuweilen sehr knapper Darstellung „Hand
und Fuß“, ist von großer Sachkenntnis getragen
und beschreibt vor allem die Tanzrichtungen differenziert genug,
um sie deutlich zu charakterisieren und voneinander abzugrenzen,
so dass gerade Laien sehr von der Lektüre profitieren können.
Dazu trägt auch der lebendige Schreibstil bei.
Tanzen wird als weitreichendes Phänomen angesehen: Es fördert
Körper und Geist, Kreativität und Sozialkompetenz, dient
also insgesamt der Persönlichkeitsbildung. Unter dieser Maßgabe
werden die verschiedenen Tanzstile betrachtet, wobei Posen einstudierende,
imitative Stile wie MTV- und Videoclip-Dance dann zwangsläufig
in die Kritik geraten und in diesem Buch nur eine marginale Rolle
spielen. Auch die Abgrenzung von Tanz und Sport überzeugt:
Tanz ist eine Kunst, „das tanzende Kind betritt eine imaginäre
Welt, in der es tanzt“, während im Sport auf ein spezielles,
außerhalb vom Kind vorgegebenes Ziel hin trainiert wird. „Tanzen
erweitert die körperlichen Möglichkeiten eines Kindes,
Sport muss sie notgedrungen spezialisieren.“
Die Vielfalt des Kindertanzes wird ersichtlich im Kapitel „Immer
nur Ballett?“ und in der anschließenden Schilderung
von Übungsstunden verschiedener Tanzrichtungen. Sehr wohltuend
und die umfassende Kompetenz der Autorin spiegelnd ist die Tatsache,
dass das in der öffentlichen Wahrnehmung dominierende Ballett
gleichberechtigt neben Modern Dance und Jazztanz steht, dass die
Richtungen wertfrei in ihrer Tradition und Spezifik beschrieben
werden. Unter der Voraussetzung, dass Tanz gut, das heißt
der Anatomie gemäß, kräftigend, gesundheitsfördernd
und die Persönlichkeit stabilisierend unterrichtet wird, ist
die Wahl der Tanzrichtung nach dem Alter, der Interessenausrichtung
und den körperlichen Bedingungen des Kindes zu treffen. Katja
Schneider gibt ganz konkrete Tipps, wie man die richtige Schule
für sein Kind findet und nach welchen Kriterien die Ausstattung
und die Probestunden zu beurteilen sind.
Immer werden auch gesellschaftliche Bedingungen mit reflektiert,
Klischees und geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen hinterfragt,
bei Mädchen mit dem Traum von rosa Tutu ebenso wie bei Jungen
(und Vätern!), für die Tanzen „uncool“ ist.
Eine der wichtigsten Botschaften dieses Buches ist für mich,
dass die Tanzrichtung „Kreativer Kindertanz“ ins Blickfeld
rückt. In ihr verbinden sich Tanz und individuelle Ausdrucks-
und Sozialerziehung auf besonders entwicklungsfördernde Weise.
Es ist zu hoffen, dass dieses Buch dazu beiträgt, das Bewusstsein
für diese gesamterzieherisch ungemein wichtige Sparte zu schärfen
und das Angebot an qualifizierten Kursen zu erhöhen. Tanzen
wird zu Recht als Grundbedürfnis des Menschen angesehen –
aber im Bildungskanon kommt Tanzen nicht vor. Bei aller vordergründigen
Mobilität sind wir auf dem Weg zu einer regungslosen Gesellschaft,
aber das Pflänzchen Tanz „ist an widrige Bedingungen
gewöhnt, gepäppelt wie die bildungsbürgerlichen Traditionsfächer
Musik und Kunst hat man es nie.“ Wer dieses Buch aufmerksam
(und vielleicht nicht nur auf der Suche nach einer schnellen Information
liest), kann viele gute Argumente finden, Tanz als Bildungsgut in
Lehrplänen und öffentlichen Institutionen zu verankern.