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nmz-archiv
nmz 2005/05 | Seite 40
54. Jahrgang | Mai
Rezensionen
Jede Woche beginnt am Montag
Einen neuen Mut zur traditionalistischen Popabkehr offenbaren
die CD-Veröffentlichungen im Mai
Phonomanager, Plattenkünstler und Politiker sollten sich ebenfalls
dringend einsperren lassen; schließlich möchte der Konsumenten-Mob
weiter unterhalten werden. Versammlungsort: der ICE von Hamburg
nach Berlin (unendlicher Zeitfaktor). Sich duellierende Entertainment-Kardinäle:
Gracia Bauer mit Jeanette Biedermann, Herr Bohlen mit Franz Müntefering,
Herr Gebhardt mit Napster-Gründer Shaun Finn und Nervjaulerin
Yvonne Catterfeld mit Queens of the Stone Age.
Eines bleibt unverrückbar: Jede Woche beginnt am Montag. Zufälliger
Weise gibt es seit vielen guten Jahren eine gleichnamige Band aus
Hamburg: Mon)tag. Mit „Gefallen“ debütierten die
Kameraden vor zwei Jahren, Bombast-Pop der smarten Art war ihre
Selbstdefiniton. 2005 wird es forscher und erwartungsgemäß
richtig richtig richtig gut. Intelligenter Pop, leicht Indie verschämt
grinsend mit humorigen Anleihen der 70er, mit Zitaten der Scherben
oder Steine, mit Austretern Richtung Hamburger Schule. „Sender“,
das zweite Mon)tag Album, ist ein Prachtstück.
Aus dem Schwarzwald surft die Leopold Kraus Wellenkapelle an den
Festland-Strand. Surf- und Beatmusik (zuweilen gesanglich unterlegt)
charakterisieren das Hauptanliegen der Sunnyboys. Schräg darf
das sein, aber auch streng „TexMex/Beat“ – katholisch.
„15 Black Forest Surf Originals“ glänzt musikalisch
durch elegische Hammond-Sounds und auf Verlangen mit Knack-Gitarren.
Vom Schwarzwald zu einer Legende. Robert Plant ist mit Band „The
Strange Sensation“ zurück. „Mighty ReArranger“
darf man als das globale Musikwerk der vergangenen sieben Jahre
bezeichnen. Plant schafft es seine erworbenen Weltmusik-Einflüsse
durchschaubar und stringent in Rockmusik zu transformieren. Die
Riffs strahlen atomar, Plants Gesang stilisiert sich zum Giganten
und dahinter werkelt eine Band, die einem ob ihrer Besessenheit
und Brillanz die Tränen in die Augen treibt. Phantastisch.
Rob Thomas (Matchbox Twenty“- Frontmann, Sänger/Co-Autor
von Santanas Riesenhit „Smooth“) beehrt das Volk mit
seiner samtigen Lederstimme solistisch. „Something To Be“
zeigt sein Talent als Songwriter. Stil sicher findet er den Weg
zwischen anspruchsvollem Pop (Rock, Soul, Blues, Funk), nicht peinlichen
Radio- Refrains und der Gewissheit durch Stimme und Handschrift
unverwechselbar zu sein. Alan McGee, Brite und Manager solcher Größen
wie Oasis oder The Primal Sream, will es noch einmal wissen und
gründet das Label „Poptones“. Auf der erscheinenden
Kompilation „And The Cassette Played Poptones“ wirft
McGee Bands wie „Special Needs, The Paddingtons, The Others
oder Killcity“ ins Haifischbecken der Branche. Angenehm auffallend,
dass sämtliche Bands keine Retro-Hysterie verbreiten und trotz
Unbekanntheit den „The“-Bands das Wichtigste voraus
zu haben scheinen: Understatement. Schöne Platte zum Übergang.
Bereits das dritte Soloalbum der „Nach-Pavement“-Ära
stellt Stephen Malkmus vor. Wie ein Tritt in den Algenteppich vor
Rimini erweist sich die Begegnung mit „Face The Truth“.
Indie, Americana, Folk, Garage, Postrock, Prejazz und Pop in wahrer
Form ziehen sich wie Glibber durch das Album. Zu entkommen fällt
schwer, wenngleich viele Songs ihre Bitterkeit erst nach dem dritten
Hören offenbaren. Seelisch unangenehmer wird Americana nie
sein als bei Stephen Malkmus.
Nachdem die britische Fachpresse kollektiv am Defribillator hängt
und die Kaiser Chiefs als „the next big thing“ führt,
lohnt sich das Anspielen der EP „Oh my God“ schon aus
Oppositionsgründen. Man wird bestätigt: Britische „The
Clash“-Kamellen vermengen sich mit glamourösen „The
Smiths“ Vokallinien, beides ersoffen in Retro-Sauce, die eben
den Briten so schmeckt. Fish’n’Chips musikalisch. Auch
gut, aber im Neuen Europa ohne Chancen.
Das dänische Trio Swan Lee erfreut außerordentlich.
Hier werden Songs geschrieben, ein wenig an „Six Pence Non
The Richer“ mahnend, doch mit weniger Popcharme. Dafür
mit rockigen Ausrutschern, die stets vom Stigma der Reduktion (sparsame
Instrumente, der Gesang hat seine Plätze, die Arrangements
spannen Bögen) geschultert werden. Herrlich plätschernd
und subtil. Maria McKee versorgte einst Tom Cruise in „Days
of Thunder“ mit Musik zum prä-ehelichen Geplänkel
mit Nicole Kidman. „Show Me Heaven“ sang sie und stand
da, wo sie nie sein wollte. „Peddlin’ Dreams“,
ihr sechstes Album, ist weit davon entfernt – Gott sei Dank.
Melancholischen Indiefolk liebt Maria Mc- Kee, wärmend gespielt,
hier eine Steelgitarre, da die Westernklampfe und stets ihre verwandlungsfähige
Stimme als omnipräsente Begleiterin. Wohltuend.
French HipHop ist eine andere Sache. Manau versehen Rap/HipHop
mit einem flexiblen Timbre: Sprachbedingt verhallen die Raps nicht
im HipHop-Kauderwelsch, sondern werden weich gezeichnet, bekommen
Linie und Fluss. Gescheites Rap- und Vier Sterne-Menü. Noch
einmal geht es über den Kanal nach GB. The Futureheads werden
hoch gehandelt; eigenständig seien sie. Ausnahmsweise trifft
das zu. Humorvoll zitieren sie sich durch die besten Jahre des Britrock,
Britpop und Britbeat. Tanzschuppen kompatibel gehalten, brechen
The Futureheads bisweilen aus den gängigen Strukturen aus,
konstruieren ihre Songs auch mal ohne Refrain und verweisen oft
auf The Police, Shed Seven, Franz Ferdinand oder The Knack. Mehr
als gefällig.
EPs pflastern den Weg der englischen Ruhe-Combo Belasco. Sie,
die einst Ruhe zum höchsten Grundwert inthronisierten (Ausbrüche
mit geschrammelten Gitarren garantiert), geben diesmal mehr Gas.
Die Refrains hymnischer, die Stil prägenden Bassläufe
extremer an Adam Clayton (U2) erinnernd und die Gesamtanlage der
Songs optimistischer als gewohnt. Überraschend und im Ohr bleibend
für britische Musik bei einem deutschen Label.
Sven Ferchow
Diskografie
Mon)tag – Sender (Tapete Records, 17. Mai 2005)
Leopold Kraus Wellenkapelle – 15 Black Forest Surf Originals
(Kamikaze Records, 9. Mai 2005)
Robert Plant – Mighty ReArranger (Sanctuary, 2. Mai 2005)
Rob Thomas – Something To Be (Warner, 16. Mai 2005)
V.A. – And The Cassette Played Poptones (Universal/Poptones,
2. Mai 2005)
Stephen Malkmus – Face The Truth (Domino, 23. Mai 2005)
Kaiser Chiefs – Oh my God-EP (B-Unique, 2. Mai 2005)
Swan Lee – Swan Lee (V2, 9. Mai 2005)
Maria McKee – Peddlin’ Dreams (Cooking Vinyl, 30.
Mai 2005)
Manau – On Peut Tous Rêver (Polydor, 9. Mai 2005)
The Futureheads – The Futureheads (Warner, 30. Mai 2005)
Belasco – Something Between Us/EP (Supermusic, 9. Mai 2005)